Verleihung der Wissenschaftspreise 2018
Exzellente Nachwuchsforschung aus Wirtschafts- und Geschichtswissenschaft und aus der Physik
Augsburg/KPP – Aus der Geschichts- und der Wirtschaftswissenschaft und aus der Theoretischen Physik stammen die drei Dissertationen, die 2018 mit den drei – jeweils mit 1500 Euro dotierten – Wissenschaftspreisen der Stiftung der Universität Augsburg ausgezeichnet wurden. Bei aller Verschiedenheit ihrer Disziplinen, Themen und Methoden verbindet sie eines: Wie sie die Forschung in ihrem Fachgebiet voranbringen und wie sie für weitere Forschungsfortschritte neue Grundlagen bieten und Impulse schaffen, zeugt von ihrer herausragenden wissenschaftlichen Qualität. _______________________________________ Dr. Matthias Menter: Dr. Matthias Menter befasst sich in seiner Dissertation mit der Effektivität und Effizienz selektiver staatlicher Politikmaßnahmen zur Förderung von Innovationen, Unternehmensgründungen und des Wissenstransfers. Von Politik und Wissenschaft wird stets ein Mangel an empirischer Evidenz wirtschaftspolitischer Maßnahmen kritisiert. Die zu erwartenden positiven Effekte der Ziele solcher Maßnahmen stehen gewissermaßen von vorneherein fest, ihre Quantifizierung oder gar eine Beobachtung etwaig negativer Effekte findet praktisch nicht statt. Menter greift diese Kritik und den mit ihr einhergehenden Ruf nach einer evidenzbasierten Wirtschaftspolitik auf. „Durch die Anwendung neuer Methoden und ökonometrischer Verfahren der Evaluationsforschung gelingt es ihm, zu einem besseren Verständnis der Wirkung wirtschaftspolitischer Initiativen beizutragen“, betont sein Gutachter Prof. Dr. Erik E. Lehmann. Menter setzt sich nicht nur kritisch mit gängigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen auseinander, sondern zeigt auch Alternativen zum linearen Innovationsmodell traditioneller Ansätze auf. So stellt er etwa der Förderung strukturschwacher Regionen oder der generellen Förderung von als zukunftsträchtig definierten Branchen den Ansatz des „Picking the Winners“ (Auswahl von Gewinnern) gegenüber, der darauf basiert, dass die zu fördernden Einheiten – Regionen, Cluster oder auch Universitäten – in einen Wettbewerb um die staatlichen Subventionen treten. Ein solcher „Beautycontest“ soll als marktlicher Mechanismus die Nachteile eines hierarchischen Vergabeverfahrens staatlicher Hilfen beseitigen. Der Spitzencluster-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder sind Beispiele für den "Picking the Winner"-Politikansatz. An ihnen zeigt Menter, dass sich eine selektive staatliche Förderung auf wettbewerblicher Grundlage durchaus positiv auf die Neugründungsrate und das regionale Wachstum auswirkt. Die Effektivität der Maßnahmen für die geförderten Institutionen oder Regionen sowie die Erreichung der mit der Subvention verfolgten Ziele lassen sich bestätigen. Menter weist aber auch adverse Effekte, negative Auswirkungen also nach, die dazu zwingen, die Effizienz der Maßnahmen zu hinterfragen. So führt die erfolgreiche Förderung einer ausgewählten Region in den direkt benachbarten Regionen zu einem signifikanten Rückgang der Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere auch im Vergleich zu nicht geförderten Regionen, auch wenn diese nicht in der Nachbarschaft zu geförderter liegen. Wurde bisher unterstellt, dass die Förderung ausgewählter Regionen zu Spillover-Effekten, zu positiven Auswirkungen also auch auf die Nachbarregionen führt und somit als Rechtfertigung für die Förderung bereits erfolgreicher Regionen dient, ist diese Annahme aufgrund der Ergebnisse, zu denen Menter kommt, zumindest kritisch zu hinterfragen. Menters Studie mahnt also zur Vorsicht vor unbeabsichtigten adversen Effekten. Sie sollte Anstoß sein für eine Diskussion über mögliche Kompensationsformen, die verhindern, dass der "Picking the Winner"-Ansatz Ungleichheiten zwischen Regionen verstärkt und verstetigt. _______________________________________ Dr. Christopher Schliephake Dr. Christopher Schliephake geht in seiner Doktorarbeit der kulturellen Erinnerung an Alexander den Großen entlang der sogenannten „north-west frontier“ Britisch-Indiens in der Zeit zwischen 1780 und 1920 nach. Er untersucht, wie sich britische Entdecker, Reisende, Soldaten und Wissenschaftler bei ihren Unternehmungen in dieser Region auf den makedonischen Feldherren bezogen und das Motiv, in seinen ‚Fußstapfen‘ zu reisen, aufgegriffen haben, um ihr eigenes Tun vor einem literarischen Publikum zu repräsentieren. Für britische Reisende in Alexanders Nachfolge waren diese kulturellen Aspekte bedeutsam, da sie den Beginn der Geschichte einer Region markierten, die Indien, das östliche Persien, Belutschistan und Sindh umfasste. Die Geschichte der Reisenden mit einer persönlich gefärbten Alexanderrezeption bringt verschiedene Bereiche zusammen – Geographie/Kartographie, Diplomatie und militärische Unternehmungen, kulturelle und archäologische Nachforschungen und koloniale Kultur- und Identitätspolitik. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt Schliephake Alexanders Bedeutung für die ideologische und praktische Ausgestaltung des britischen Empire in Zentralasien auf, um zugleich die Rolle von Reise- und Entdeckungsliteratur für Prozesse der Antikenrezeption zu reflektieren. Besonders mit der Frage, warum Alexander für britische Reisende ein attraktives Geschichtsmodell und ein neues Paradigma neben dem römischen Reich bot, betritt Schliephake Neuland: Man sah in Alexander dem Großen einen „Europäer“, der erstmals westliche Zivilisation und Kultur in den Osten gebracht habe. Zudem boten die antiken Quellen die nahezu einzigen Informationen über eine bislang kaum von Europäern bereiste Großregion. Mit Iskander bzw. Sikander – so die arabisch-persische Form des griechischen Namens Alexander – stießen die Reisenden freilich auf einen anderen Alexander als auf denjenigen aus der bekannten Überlieferung, zumal indigene Gruppen sich sogar als seine direkten Nachfahren verstanden. Schliephake zeigt, dass die britische Alexander-Rezeption auf einem immensen Vertrauen in die Textüberlieferung und auf einer eurozentrischen Sichtweise basierte, dass aber der Kontakt mit indigenen Traditionen zu Sikander auf die britische Erinnerung an Alexander zurückwirkte: Sie wurde zu einem multidirektionalen, intersubjektiven Ort der Verhandlung kultureller Identität, von dem aus die britische imperialistische Ideologie bestärkt oder herausgefordert werden konnte. „Mit diesem theoretischen Blickwinkel, der Erinnerungs- und Identitätsstudien, Literaturtheorie und Kulturgeschichte verbindet, leistet Christopher Schliephake in seiner Dissertation einen über die bisherige Forschung hinausweisenden Beitrag zur Konzeptualisierung antiker Rezeptionsgeschichte“, ist Prof. Dr. Gregor Weber überzeugt. Zugleich handle es sich um eine Grundlagenarbeit, die aufgrund ihrer Originalität und Innovation weiter anregend sein werde. ________________________________________ Dr. Sebastian Tölle: Zur weiteren Erforschung spintronischer Phänomene, die in zwei- und dreidimensionalen metallischen oder halbleitenden Materialien mit starker Kopplung zwischen dem magnetischen Moment der Elektronen („Spin“) und deren Bahn-Freiheitsgraden auftreten können und die ein großes Anwendungspotential u. a. für die Informationstechnologie haben, hat Sebastian Tölle mit seiner Dissertation einen signifikanten Beitrag geleistet. Diese Spin-Bahn-Kopplung ermöglicht es, die magnetischen Eigenschaften von Metallen und Halbleitern durch Anlegen und Messen einer Spannung oder eines elektrischen Stroms mithilfe elektrischer Methoden zu kontrollieren und auszulesen. Aufgrund dieser Kontrollmöglichkeit ergibt sich ein hohes Anwendungspotential, zum Beispiel in der Informationsspeicherung und -verarbeitung, bei der die Einstellungsrichtung des Spins einer Null oder einer Eins entspricht. Ein besonders vielversprechender Effekt für die Realisierung zukünftiger spintronischer Bauelemente ist der bekannte Spin-Hall-Effekt. Bei starker Spin-Bahn-Kopplung werden die Ladungsträger beim Anlegen eines elektrischen Stroms senkrecht zur Stromrichtung abgelenkt, abhängig von der Orientierung ihres Spins: Es entsteht ein reiner Spinstrom senkrecht zum elektrischen Strom. Ziel der Arbeit war eine detaillierte theoretische Behandlung verschiedener, experimentell relevanter Konfigurationen und die Berechnung der Koeffizienten, die die Kopplung von Spin- und Ladungsströmen in Abhängigkeit von Materialparametern und als Funktion der Temperatur beschreiben. Ausgangspunkt war eine modellhafte Beschreibung der jeweiligen Systeme. Darauf aufbauend wurden mithilfe einer mikroskopischen Theorie die gekoppelten Transportgleichungen für die Spin- und Ladungsverteilungsfunktionen hergeleitet. Zur Lösung dieser Gleichungen werden bestimmte Annahmen gemacht, die für die experimentell untersuchten Materialien realistisch sind. Es ist dabei entscheidend, sowohl den intrinsischen Beitrag zur Spin-Bahn-Kopplung (Rashba-Effekt) zu berücksichtigen, als auch extrinsische Beiträge, die mit Defekten in der Kristallstruktur zusammenhängen. Letztere sind durch den Herstellungsprozess bedingt. Die jeweiligen Rand- oder Anschlussbedingungen spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle. Sebastian Tölles theoretische Rechnungen liefern nun eine einheitliche Beschreibung der gemessenen Widerstandskurven, einschließlich deren Temperaturabhängigkeit, in guter Übereinstimmung mit experimentellen Befunden. Ihm ist damit „eine wesentliche Erweiterung der Theorie Spin-Ladungs-gekoppelter Heterostrukturen gelungen, die nicht nur deutlich über bisherige phänomenologische Beschreibungen hinausreicht, sondern auch verschiedene Experimente überzeugend erklärt“, resümiert Prof. Dr. Ulrich Eckern.
Picking the Winners – Public Policy Strategies for Knowledge-Based Economies
Gutachter: Prof. Dr. Erik Lehmann, Lehrstuhl für Unternehmensführung und Organisation
Sikander‘s Footsteps: Literature of Travel, Exploration, and the (Trans-)Cultural Memory of Alexander the Great along the North-West Frontier of British India
Gutachter: Prof. Dr. Gregor Weber, Lehrstuhl für Alte Geschichte
Spin-Ladungs-gekoppelter Transport in zwei- und dreidimensionalen Rashba-Systemen
Gutachter: Prof. Dr. Ulrich Eckern (Lehrstuhl für Theoretische Physik II)