Staatszerfall, Kolonialgeschichte und sozialer Protest

Mit einer interdisziplinären Tagung an der Universität Augsburg hat das Bayerische Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung seine Arbeit aufgenommen. Themen waren der Umgang mit Kolonialgeschichte, Staatszerfall und Konflikte im Zusammenhang mit sozialen Protestbewegungen. Die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth hielt den Impulsvortrag

Staatsministerin Claudia Roth (r.) mit Christina Pauls (wiss. Mitarbeiterin), Jürgen Enninger Referent der Stadt Augsburg für Kultur, Welterbe und Sport sowie Prof. Dr. Christoph Weller (v.l.) © Universität Augsburg

Über zwanzig Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trafen sich kürzlich an der Universität Augsburg, um sich zum aktuellen Stand der bayerischen Friedens- und Konfliktforschung auszutauschen und zu vernetzen. Die Tagung war der erste Meilenstein des im Jahr 2022 neu gegründeten Bayerischen Zentrums für Friedens- und Konfliktforschung.

Augsburg sei als Friedensstadt ein bedeutender und passender Tagungsort, sagte der städtische Referent für Kultur, Welterbe und Sport, Jürgen Enninger. Ein Beispiel dafür seien die intensivierten städtischen Bemühungen um eine Erinnerungskultur, die auch postkoloniale Dimensionen einbeziehen und in dem gemeinsamen Projekt mit dem Lehrstuhl für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität von Prof. Dr. Christoph Weller mündeten, mit dem die Stadt generell eine sehr enge Zusammenarbeit verbinde.

Kolonialismus-Aufarbeitung leistet Beitrag zum Frieden

Impulsrednerin Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, griff dieses Thema auf. Zu den kürzlich an Nigeria zurückgegebenen sogenannten Benin-Bronzen sagte sie: „Diese Kunstwerke und Artefakte besitzen nicht nur einen hohen kulturellen Wert, sie erzählen eine Geschichte, die geprägt ist von Gewalt, Raubzügen, Unterdrückung und Entfremdung. Eine Geschichte, aus der wir lernen können - und müssen! Die Bundesregierung hat sich zu dieser Verantwortung bekannt. Wir wollen lernen aus der Aufarbeitung unserer Kolonialgeschichte. Und wir wollen Verantwortung übernehmen.“ Nicht wenige Konflikte im globalen Süden, sagte Roth, wurzelten in der Kolonialgeschichte. Die Aufarbeitung der kolonialen und postkolonialen Vergangenheit erleichtere auch den Dialog unter Konfliktparteien und leiste somit Beiträge zum Frieden.

Kolonialgeschichte Augsburgs

Das Etablieren einer postkolonialen Erinnerungskultur knüpft inhaltlich an die Ausrichtung des Forschungsverbundes unmittelbar an. „Deutungskämpfe im Übergang“ sind hier das zentrale Thema. „Gerade in Augsburg steht die Perspektiven-Erweiterung auf die dunklen Seiten des Kolonialismus im Zusammenhang der frühen Handelsimperien der Welser und Fugger noch am Anfang“, sagte Christoph Weller.

Veranschaulicht wurde dies von Christina Pauls, Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Friedens- und Konfliktforschung, anhand von Perspektiven aus Venezuela, wo in völlig anderer Weise an die gewaltsame Eroberung und Plünderung des Landes durch die Welser im kolonialen 16. Jahrhundert erinnert wird. Der Film „Mamparo“, so Pauls, vermittle Perspektiven aus der venezolanischen Stadt Coro, ehemals „Neu Augsburg“. Es sei notwendig, sich in Augsburg weiter mit den venezolanischen Akteuren zu vernetzen.

Konflikte interdisziplinär betrachtet

Die insgesamt 16 wissenschaftlichen Beiträge der Tagung bildeten viele Facetten des Themas Konflikte ab: Theorien und Methoden der Konfliktanalyse oder ihre Behandlung im Kontext der Lehre waren ebenso Themen wie Konflikte im Zusammenhang sozialer Protestbewegungen, von Staatszerfall oder bei Differenzen in der Geschichtsschreibung. Die jeweils interdisziplinär zusammengesetzten Panels - beteiligt waren Forschende der Geographie, Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Regionalstudien, Sozialen Arbeit, Sozialpsychologie, Soziologie, Technikfolgenforschung und Theologie - produzierten viel Diskussionsbedarf und zugleich reichhaltige Anregungen, die jeweiligen Konflikte in disziplinär unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Weitere Informationen

Das Bayerische Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung: Deutungskämpfe im Übergang

… ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für vier Jahre gefördertes Regionalcluster der Friedens- und Konfliktforschung. Seit April 2022 bringt der Verbund Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Augsburg, Bayreuth und Erlangen-Nürnberg sowie des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) zusammen, die ihre Forschung vernetzen sowie die Friedens- und Konfliktforschung in Bayern stärken und strukturell weiter verankern. Hierzu macht der Verbund auch Vernetzungsangebote für alle Forschenden, die in Bayern Friedens- und Konfliktforschung betreiben.

Das gemeinsame Thema des interdisziplinären Forschungsverbunds mit insgesamt acht sozial- und geschichtswissenschaftlichen Einzelprojekten sind „Deutungskämpfe im Übergang“ (conflicts.meanings.transitions), also gesellschaftspolitische Konflikte um Deutungen, die besonders am Ende einer Gewaltherrschaft, beim Übergang vom Krieg zum Frieden oder im Zuge der Neubewertung gewaltvoller Vergangenheiten stattfinden. Deren Verlauf und Ergebnisse sind – so die im Verbund geteilte Ausgangsannahme – von großer Bedeutung für den aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Frieden. Im Fokus stehen verschiedene thematische Schwerpunkte wie „Deutungskämpfe um Friedensstrategien nicht-staatlicher Akteur*innen“, „Deutungskämpfe um Gewalt“ sowie „Deutungskämpfe um universale Rechte und Diversität“.

 

Weitere Informationen:

Website des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung

Website der Bayerischen Universitätenkonferenz

Website zum Vernetzungsworkshop an der Universität Augsburg

Bayerische Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung: Deutungskämpfe im Übergang

Website "conflicts.meanings.transitions"

Wissenschaftlicher Ansprechpartner

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Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung

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