Pressemitteilung 66/24 - 04.06.2024

Orte der Bibel besser verstehen

DFG-Projekt untersucht mehr als 150 Ortsnamen aus dem Alten Testament

Das theologische Forschungsprojekt „Die Ortsnamen im Buch Josua“ untersucht Ortsangaben im Alten Testament. Dabei kombiniert es historisch-topografische mit literarisch-topografischer Analyse und setzt dafür modernste Mittel ein. Etwa 170 Ortsnamen stehen bei der aktuellen Projektphase im Fokus. Das Projekt ist an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg angesiedelt und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.



 
Stadtvignette von Jerusalem auf der Mosaikkarte von Madaba aus dem 6. Jahrhundert. Quelle:„Byzantinisches Jerusalem“ von Ktiv/CC BY-SA 4.0

Es ist schon eine sehr unwahrscheinliche Geschichte: In einer einzigen Nacht trägt Simson die Stadttore von Gaza nach Hebron – also über 70 Kilometer Luftlinie. So steht es im Alten Testament, Buch Richter (Ri 16,1–3). Die geografischen Fakten stehen dabei im offenkundigen Widerspruch zum geschilderten Geschehen. Doch gerade die Spannung zwischen historischer Topografie und erzählter Handlung macht die Geschichte aus wissenschaftlicher Sicht interessant – und schafft Raum für Deutungen der literarischen Aussage: Simson vollbringt das Unmögliche, er ist ein Held.

Neuer Zugang zum Alten Testament

Diese Spannung zwischen Orten und erzähltem Geschehen ist der Ansatzpunkt des Forschungsprojekts „Die Ortsnamen im Buch Josua“. Es untersucht Ortsnamen, die in der Bibel vorkommen, und verbindet dabei historisch-topografische und literarisch-topografische Analyse. Die Kombination ist in der Bibelforschung innovativ und bringt wertvolle Erkenntnisse. Deshalb wird das Projekt von der DFG bereits zum wiederholten Mal gefördert. Seit 2018 werden unter der Leitung von Prof. Dr. Erasmus Gaß die Ortsnamen des Buchs Josua untersucht. In der aktuellen, seit 2022 laufenden Projektphase erforscht Gaß, der den Lehrstuhl für Alttestamentliche Wissenschaft innehat, gemeinsamen mit seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Jakob Luz y Graf einen Teil des Buchs Josua (Jos 16–19).

Dieser Abschnitt der Bibel enthält zahlreiche Ortsangaben, weil darin die Verteilung des Landes auf die Stämme Israels dargestellt wird: Kapitel Jos 19 umfasst etwa 135 Ortsnamen, die Kapitel Jos 16–17 etwa 35 Ortsnamen. Wie viele Orte es genau sind, wird noch untersucht: „Bei manchen Ortsangaben ist nicht klar, ob es sich lediglich um eine Geländebezeichnung oder tatsächlich um den Eigennamen des Ortes handelt. Beispielsweise kommt es vor, dass ein Ortsname lediglich ‚Hügel‘ oder ‚Abhang‘ bedeutet, sodass sich die Frage stellt, ob es ein Ort oder nur eine geographische Angabe ist“, sagt Gaß.

Modernste Mittel

Um die Orte zu lokalisieren und damit teils lang bestehende Forschungsfragen zu klären, kommt auch modernste Technik zum Einsatz. So galt es bisher als unsicher, wo sich der in Jos 16,6 und Jos 17,7 erwähnte Ort Michmetat befindet. In der Forschung konkurrierten mehrere Vorschläge. Nun hat Jakob Luz y Graf mit einem KI-basierten GEO-Informations-System die Suche so weit eingegrenzt, dass nur der Höhenzug vom Karm el-Bēše zum Ǧebel eṭ-Ṭuwānik in Frage kommt. Anhaltspunkt dafür war, dass Michmetat laut Bibeltext „in Sichtweite“ des Ortes Sichem liege – mittels Sichtfeldanalyse konnten die übrigen Vorschläge ausgeschlossen werden.

Neue Erkenntnisse wie diese tragen dazu bei, die Texte des Alten Testaments neu zu erschließen und ihnen neue Deutungen abzugewinnen. „Biblische Texte sind schwer zu verstehen, schließlich sind sie mehr als 2000 Jahre von uns entfernt“, gibt Gaß zu bedenken. „Ziel unserer historisch-kritischen Lektüre ist es, die Kluft zu den Texten zu überwinden.“ Wichtig ist ihm hierbei, dass die historisch-topografische Analyse vorrangig erfolgt und sich die literarisch-topografische Analyse daran anschließt – also zunächst die geografischen Fakten etabliert werden und erst danach etwa die theologische Bedeutung eines Ortes herangezogen wird.

Denn: „Ortsnamen wurden von den Redaktoren der Bibel nicht willkürlich eingesetzt, sondern verbanden sich für sie mit einer bestimmten Bedeutung. Diese zu verstehen, hilft uns heute, gleichsam hinter die Texte zu schauen: Was wollten sie eigentlich sagen?“, erläutert Gaß den Forschungsansatz. Gern würde er diesen weiter fortsetzen: „Mein langfristiger Wunsch ist es, alle Ortsnamen der Bibel zu bearbeiten. Das sind um die 560 Orte. Davon haben wir im Rahmen des Projekts etwa 400 bereits bearbeitet“, sagt Gaß.

Die Ergebnisse werden fortlaufend in der Datenbank „Ortsangaben der Bibel“ (odb) veröffentlicht – und mit Kartenmaterial anschaulich aufbereitet.

 

cg

 

Datenbank „Ortsangaben der Bibel“ (odb)

https://www.odb.bibelwissenschaft.de/

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