Maschinelles Lernen löst komplexes Quantenproblem
Optimierungsverfahren ermöglicht Berechnungen in der Quantenphysik von neuer Qualität
Durch ein neues Verfahren können künstliche neuronale Netze, wie sie beim maschinellen Lernen eingesetzt werden, künftig wesentlich schneller trainiert werden und nun erstmals komplexe Probleme in der Quantenmechanik lösen. So lassen sich beispielsweise bisher ungeklärte Eigenschaften eines besonderen Materiezustands, der Quantenspinflüssigkeit, berechnen – was mit allen bisherigen Verfahren bisher nicht gelang. Möglich wird dies durch ein neues Optimierungsverfahren, das am Institut für Physik der Universität Augsburg entwickelt wurde. Am Ende handelt es sich um eine ganz kleine Änderung. Ein paar Zeilen in einem Code, der etwa 10.000 Zeilen umfasst. Und plötzlich lässt sich ein künstliches neuronales Netz so viel schneller trainieren, dass sich im Rahmen sogenannter neuronaler Quantenzustände ganz neue Möglichkeiten auftun. Diese sehr wirkungsvolle Optimierung wurde von Ao Chen entwickelt, Doktorand aus der Arbeitsgruppe Theoretische Physik III: Korrelierte Quantenmaterie am Institut für Physik der Universität Augsburg „Die Umformulierung, die Ao Chen gefunden hat, modifiziert leicht ein schon bekanntes numerisches Verfahren, die so genannte stochastic reconfiguration. Chens Umformulierung ist so einfach, dass man sich fragt, warum davor noch niemand darauf gekommen ist. Tatsächlich aber ist die Idee neu, und das Potenzial immens“, sagt Prof. Dr. Markus Heyl, Professor für Theoretische Physik III. Er betreut Chens Doktorarbeit. Die Ergebnisse haben beide Wissenschaftler nun in einem Artikel zusammengefasst, der soeben in der renommierten Fachzeitschrift Nature Physics erschienen ist. So ist im Allgemeinen die Berechnung quantenmechanischer Systeme vieler Teilchen extrem kompliziert – selbst auf den größten Supercomputern dieser Welt. Das betrifft insbesondere Systeme sogenannter frustrierter Quantenmagnete, die bei tiefsten Temperaturen einen besonderen Materiezustand realisieren können: die Quantenspinflüssigkeit (Quantum spin liquids, QSL). Anders als bei fast allen anderen typischen Quantenmagneten bildet sich entgegen allen Erwartungen kein tatsächlicher Magnet, sondern ein hochgradig quantenmechanisch verschränkter Zustand. Diese Verschränkung macht QSL sehr robust – eine von vielen Eigenschaften, wegen der QSL sich unter anderem für Anwendungen in der Quanteninformation eignen können. Dies konnte Ao Chen nun mit dem neu entwickelten Optimierungsverfahren berechnen. Sein Ergebnis: Es besteht keine Anregungslücke in QSL dieser frustrierten Heisenbergmagnete. Diese Erkenntnis ist ein erster wichtiger Schritt dahin, die Eigenschaften von QSL noch genauer zu verstehen und zu berechnen, künftig einmal experimentell nachzuweisen und später sogar gezielt herzustellen und zu nutzen. Ao Chen and Markus Heyl: Empowering deep neural quantum states through efficient optimization cg
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Einfache Optimierung, große Wirkung
Mit Chens optimiertem Verfahren gehen Berechnungen jetzt sehr viel schneller bei gleichbleibender Genauigkeit, was in der Physik als quantitativer Wissenschaft von großer Bedeutung ist. Durch das effizientere Vorgehen können wesentlich größere künstliche neuronale Netze als bisher trainiert werden: Netze mit etwa einer Million künstlicher Neuronen, also um einen Faktor 100 mächtiger als das, was bisher im Rahmen von neuronalen Quantenzuständen machbar war. Damit lassen sich nun erstmals komplexe quantenmechanische Probleme lösen, die davor nicht zugänglich waren.Wenig erforschter Materiezustand
Eben weil QSL theoretisch so schwer zu beschreiben sind, fehlt es bisher in vielen relevanten Systemen auch an Modellierungen, die einen experimentellen Nachweis ermöglichen würden. So war bislang zum Beispiel unklar: Weisen QSL in sogenannten frustrierten Heisenbergmagneten, einer wichtigen Subklasse der Quantenmagnete, eine sogenannte Anregungslücke auf? Also, wie viel Energie wird benötigt, um in einem QSL eine fundamentale Anregung zu erzeugen?Neue Erkenntnisse mit viel Potenzial
Der neue Ansatz birgt viel Potenzial, ist sich Heyl sicher. Denn er erschließt viele bisher unzugängliche Problemklassen. „Es gibt Grenzen, aber wir verstehen noch nicht ganz, wo diese liegen“, gibt Heyl zu. „Die Hauptfrage ist für uns derzeit, herauszufinden, wo diese Grenze ist.“ In den kommenden Monaten möchten beide Forscher den Zugang auf Systeme wechselwirkender Elektronen anwenden, danach auf weitere Probleme aus der zweidimensionalen Quantenmaterie.
Zusätzlich zur Publikation stellen die beiden Forscher auch das von Ao Chen optimierte künstliche neuronale Netz im Repositorium Zenodo des CERN zur Verfügung, einer frei zugänglichen Datenbank aktueller Forschungsdaten aus der Physik.Die Veröffentlichung
www.nature.com/articles/s41567-024-02566-1
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