Ein päpstliches Briefformular

Beschreibung

In mehreren kirchenrechtlichen Sammlungen der Spätantike und des frühen Mittelalters (Collectio Italica [Sanblasiana], Collectio Diessensis, Collectio Colbertina, Collectio Vaticana in Vat. lat. 1342, Collectio Dionysiana adaucta) ist ein päpstliches Briefformular ("Probabilibus desideriis nihil") überliefert, das Vorschriften für einen neugeweihten Bischof enthält. Es wird in den Handschriften jeweils Gelasius (492-496) zugeschrieben. Geregelt werden unter anderem der Zugang zum Klerus, die Verteilung der kirchlichen Einnahmen und Weihe- und Tauftermine. Das Formular ist in der Folge mehrfach verwendet worden - insbesondere von Gregor dem Großen und Gregor II. - und schließlich in den Liber diurnus eingegangen.


Die Entstehung des Formulars ist mangels einer kritischen Edition des Gesamttextes bisher noch ungeklärt. Inhaltlich, aber nicht in den Formulierungen weist der Text etliche Bezüge zum "Generale decretum" des Gelasius auf. Vergleichbares gilt für zwei im Wortlaut nahezu identische Gelasiusbriefe, die hochmittelalterliche Kirchenrechtssammlungen (Collectio Britannica, Anselm von Lucca) überliefern.

 

Ziel des am Lehrstuhl für Kirchengeschichte von Dr. Johannes Isépy durchgeführten Forschungsprojekts ist eine historisch-kritische Edition des Textes in Verbindung mit einer digitalen Modellierung der Überlieferungsbezüge. Dazu kooperieren wir für die hochmittelalterlichen Sammlungen sowie die HTR-Erschließung der projektrelevanten Handschriften mit Christof Rolker (Bamberg), für die Modellierung der Überlieferung im Graph mit Andreas Kuczera (Gießen).

Bisherige Ergebnisse des Vorhabens sind insbesondere: Die beiden hochmittelalterlichen Gelasiusbriefe setzen (gegen die bisherige Forschung) nicht das Formular "Probabilibus desideriis nihil", sondern ein davon verschiedenes weiteres Formular ("Concesso vobis antistite") voraus. Anders als "Probabilibus desideriis nihil" ist dieses Formular nicht als solches überliefert, konnte aber von uns rekonstruiert werden. Etliche Indizien (einschließlich cursus) sprechen dafür, dass die beiden Formulare "Probabilibus desideriis nihil" und "Concesso vobis antistite" von unterschiedlichen Autoren stammen. Möglicherweise ist das erstgenannte Formular aus dem anderen erarbeitet worden. Dabei ist noch zu diskutieren, ob diese Redaktion in den Gelasiuspontifikat zu setzen ist oder sich mit der Erarbeitung der Collectio Italica unter Hormisda (514-523) verbindet. Unter Gregor dem Großen dürften beide Formulare gewirkt haben, bevor sich das Formular "Probabilibus desideriis nihil", soweit sich das aus der Überlieferung ersehen lässt, durchsetzt. Dies hat Folgen: Die nur in "Probabilibus desideriis nihil" enthaltene anachronistische Warnung vor nordafrikanischen Manichäern, die den Eintritt in den Klerus erstreben, wird noch von Gregor II. gegenüber dem Germanenmissionar Bonifatius vorgetragen.

 

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