Online-Bibliothek: Verschwörung und Religion
Thomas Hausmanninger
Analyse und Interpretation der frankobelgischen Comicserie "Le troisième testament", Grenoble: Glénat 1997-2002, (dt. "Das Dritte Testament", Carlsen 2002-2003)
Der nachfolgende Text umfasst die Analyse und Interpretation der Comicserie „Le troisiéme testament“ von Xavier Dorison und Alex Alice und bildet das 3. Kapitel meines aktuellen Buchprojekts: Th. Hausmanninger: „Verschwörung und Religion. Religionsbezogene Verschwörungserzählungenin den francobelgischen, amerikanischen und deutschen Comics“. Da die Vollendung des Buches noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, das Thema aber aktuell ist, biete ich dieses Kapitel als Preview im Netz an. Es kann entsprechend zitiert werden als: Th. Hausmanninger: Der Aufstand gegen die metaphysische Geschichte der Welt
3. DER AUFSTAND GEGEN DIE METAPHYSISCHE GESCHICHTE DER WELT
Ähnlich wie der Film ist der Comic ein synästhetisches Phänomen, das nicht nur den Körper im Raum, sondern ebenso die Handlung in der Zeit darstellt, darüber hinaus Diskurse entfaltet und dennoch auch nicht-diskursive, handlungslose Anschauung sequenzialisiert oder Sequenzen zu einer transtemporalen Kopräsenz zusammenführt. Diese Vielschichtigkeit der Comicsverschafft ihnen einen schweren Stand bezüglich der Anerkennung ihres künstlerischen Charakters – den sie bei dezidierten Kunstcomics eindeutig besitzen, an dem jedoch auch die Genrecomics als Teil der medialen Populärkulturnicht weniger partizipieren, als etwa der Film des Erzählkinos am Kunstfilmoder die Genreliteratur an der so genannten ´Hochliteratur´. All dieseProdukte aus dem Feld der Gebrauchs- oder ´Unterhaltungsmedien´ bedienensich seit jeher bei Kunst und künstlerischen Techniken und wirken insbesonderein der späten Moderne oder Postmoderne auch deutlich auf diese zurück. Entsprechend schwierig ist die Grenzziehung und entsprechend fließend sind die Übergänge. Die synästhetische Vielschichtigkeit der Comics erschwert damit jedoch auch ihre Analyse. Wiederum ähnlich wie beim Film bedarf es dazu eines methodenpluralen Zugangs. Im Unterschied zur Film- und Fernsehanalysegibt es hierzu noch kaum Zusammenfassungen entsprechender Methodenzu einem konsensfähigen Instrumentarium oder gar ein Lehrbuch der Comicanalyse. Systematische Bemühungen um ein solches Instrumentariumbleiben bislang noch vereinzelte Unternehmungen ohne entsprechende Konsense. So bemühen sich beispielsweise Ulrich Krafft (1978) und Thierry Groensteen (1999/2007) um die Begründung einer semiotischen Comicanalyse, können sich gleichwohl nicht wirklich durchsetzen. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass die Semiotik mit ihrer sehr speziellen Terminologie trotz ihres universalen Anspruchs gegenüber anderen disziplinären Zugängen als Engführung erscheint. Die gleichfalls mit einem umfassenden Anspruch vorgelegten Arbeiten von Will Eisner (1985/2006) und Scott McCloud(1993/2000/2001) sind Reflexionen von Comic-Autoren, die zwar gerade deshalbwichtige Einsichten enthalten, jedoch kein wissenschaftlich begründetes Instrumentarium bilden. Auch die jüngst in Deutschland erschienen Monographienvon Stephan Packard (2006), Martin Schüwer (2008) und Jakob Dittmar (2009) können nicht beanspruchen, allgemein konsensfähige Systematiken derComicanalyse zu sein. Ein Indiz dafür ist nicht zuletzt, dass die jeweils späterenauf die Zitation der früheren Werke verzichten. Auch die Tatsache, dass es sich dabei jeweils um Qualifikationsschriften handelt, belegt, wie sehr die Comicanalyse methodologisch noch in den Kinderschuhen steckt. Obschondie Zugänge durchaus partielle Überlappungen erkennen lassen, bilden sie in Methodologie und Terminologie differente Zugänge, deren Synthese noch aussteht. Zu dieser Synthese scheint es freilich noch ein längerer Weg zu sein: Bislang herrscht zwischen den Autoren wechselseitige Ausblendung und bei Rezensenten Abgrenzung vor, mit welcher jeder seinen Zugang als den einziglegitimen darzutun versucht. Wer Comics analysiert, muss sich daher sein Instrumentariummehr oder weniger selbst zurecht legen.So weit es um erzählende Comics geht, können dabei Elemente aus der Literaturwissenschaft und der Theaterwissenschaft (Dramaturgie) verwendet werden, die durch Analysemethoden aus der Kunstwissenschaft ergänzt werden. Die Film- und Fernsehanalyse, die einst vor demselben Problem stand, hat zudem inzwischen ebenso konsensfähige wie komprehensive methodische Zugänge entwickelt und sich dabei gleichfalls in anderen Wissenschaftszweigen bedient. Die Verwandtschaft zwischen Comics und Film legt es deshalb nahe, Elemente der Film- und Fernsehanalyse auch für die Comicanalyse fruchtbar zu machen. Nicht zuletzt die Entwicklung der Systemtheorie hat in den Sozialwissenschaften darauf aufmerksam gemacht, dass das begriffliche und methodische Instrumentarium der Analyse ebenso den jeweiligen Fragestellungenwie den in Blick genommen Gegenständen flexibel angepasst werden muss, um zu differenzierten sachgerechten Ergebnissen zu gelangen. Es empfiehlt sich daher, auch bei der Comicanalyse ausgehend von den Gegenständenund dem forschungsleitenden Erkenntnisinteresse jeweils die Methoden einzusetzen, die die Analyse am besten voranbringen. Gleichzeitig aber bedarf die Analyse als Vorgang der zerlegenden Rekonstruktion einiger rahmengebender Konstanten und grundsätzlicher Unterscheidungen, die eine Auseinanderlegung der Gegenstände und eine entsprechende Fokussierung der Aufmerksamkeit sowie die zusammensetzende Rekonstruktion zum besseren Verständnis des Gegenstands, seiner Eigenart und seiner Bedeutung ermöglichen. Die hier beabsichtigte Comicanalyse ist eine Werkanalyse bzw. werkanalytische Rekonstruktion, d.h. sie nimmt sich die publizierten Comics selbst zum Gegenstand. Entsprechend geht es ihr nicht um die Aneignung (Rezeption) der Comics durch ihr Publikum. Allerdings spielt die Aneignung insofern eine Rolle, als die ästhetische Anmutung und die konstituierten Bedeutungen erst im Prozess der Aneignung für ein Subjekt entstehen können. Die Werke müssen insofern auf die in ihnen fixierten Elemente einer werkgerechten Aneignung hin betrachtet werden (Dittmar 2009, 11). Dies kann nicht anders geschehen,als dass einerseits das analysierende Subjekt seinen eigenen Aneignungsprozessmethodisch kontrolliert auch als einen prototypischen Prozessreflektiert. In dieser Hinsicht liegt der Analyse notgedrungen erst einmal mein eigener Aneignungsprozess zugrunde. Zum anderen muss zugleich eine im Werk fixierte ästhetische und bedeutungsstiftende Intentionalität und damit eine gewisse Unbeliebigkeit unterstellt werden, die das Werk erst zum Werk,d.h. einem für die Aneignungen nicht schrankenlos flexiblen und plastischenMaterial macht. Diese Intentionalität (oder Intentionalitäten) freizulegen, ist die eigentliche Absicht einer Werkanalyse, die daraus ihre die subjektive Aneignungüberschreitende ´objektive ´ Bedeutung gewinnt (Packard 2006 bemüht sich hier um eine psychosemiotische Objektivierung). Das hindert freilich nicht, konkrete Fragen an das Werk heran zu tragen und der Analyse einen spezifischen thematischen Fokus zu geben. Aus einem bestimmten forschungsleitenden Interesse heraus wird so eine Perspektive entwickelt, die das Werk auf bestimmte Aspekte hin befragt. Es versteht sich,dass damit dann keine komprehensive Totalanalyse des Werks vorgelegt wird, sondern eine thematisch begrenzte werkanalytische Rekonstruktion. Mein forschungsleitendes Interesse richtet sich auf die religionsbezogenen Bedeutungenund Geltungsansprüche sowie den davon konstituierten religionsbezogenen Diskurs der von den zu untersuchenden Comics vorgelegten Verschwörungserzählungen. Damit sind die zwei zentralen rahmengebenden Konstanten benannt: Es geht um die Werke, nicht um die Rezeption, und die werkanalytische Rekonstruktion geschieht unter dem genannten thematischen Fokus, beabsichtigt also keine Totalanalyse. Unterschieden werden kann dabei zwischen drei Analyseebenen, die rekonstruktivaufeinander zu beziehen sind: die Ebene der Ästhetik, die Ebene der Erzählung und die Ebene des Diskurses. Auf der Ebene der Ästhetik geht es zunächst einmal um die Besiedlung der Panelfläche (das gerahmte oder rahmenlose Einzelbild) mit Figuren, Gegenständen, Raumeindrücken, Farbe,Text- und Bildzeichen. Komposition, Farbwerte, Perspektive und Raumtiefe spielen hier eine Rolle sowie die Verteilung des Texts, die zu einer Integrationdes Textlesens in die Bildwahrnehmung nötigt. Das Panel kann dabei so gestaltetsein, dass es wie das Tafelbild zur verweilenden Kontemplation einlädt; in der Regel jedoch wird es vorwärts orientiert auf den Übergang zum nächsten Panel und so funktionales Element einer Sequenz sein. Will Eisner definiertdie Comics daher geradezu als sequenzielle Kunst (sequential art; Eisner2006). Für den Übergang stehen im Prinzip sechs Möglichkeiten zur Verfügung: (1) von Augenblick zu Augenblick, (2) von Handlung zu Handlung, (3) von Gegenstand zu Gegenstand, (4) von Szene zu Szene, (5) von Gesichtspunkt zu Gesichtspunkt und (6) die Paralogie (McCloud 2001, 82). Organisiert werden zugleich bildnerische Analogate zur Geschwindigkeit (Bildrhythmus, Tempo und Dynamik im Panel sowie seiner Sequenzialisierung, die auch das´ Lesetempo´ organisieren), zur Lautstärke (ein auf kleine Panels folgendesgroßes Panel ist ´lauter´ als diese oder kann die hohe Geräuschintensität einer Umgebung mit versinnbildlichen und umgekehrt) und zu Zeitqualitäten (psychische im Unterschied zur physischen Zeit, paradoxes Zeitempfinden,´ zeitlose´ und zeittranszendente Phänomene etc.; dazu auch Schüwer 2008). Zu betrachten ist sodann die Verteilung der Panels auf der Seite, also neben der Montage im Nacheinander ebenso die Anordnung zur Seitenkomposition (Layout), wobei auch Doppelseiten und im Einzelfall ausklappbare Seitenerweiterungenoder sogar Pop-ups verwendet werden können, um bestimmte Effekte zu erzielen. Es geht hier um den Gesamteindruck der Seite bzw. ihrer Erweiterungen, die im Einzelfall die Sequenzialität der Panels aufhebt, oder synthetisch überschreitet in ein Superpanel hinein, das nach der Sequenz als Abschlusspanel oder „Metapanel“ (Eisner) betrachtet und entziffert werden muss. Die Seitenkomposition kann dabei auch einen ästhetischen Metatextstiften, der die Binnenästhetik der Seite (oder des ganzen Comic) überschreitet oder kommentiert. Besondere Bedeutung kommt bei der Ästhetik der Comicsden Leerstellen zu, die vor allem als freigelassener, meist weißer, mitunter aber auch schwarzer oder farbiger Raum zwischen den Panels erscheinen und deren Verhältnis und Übergang organisieren. Als Phänomen des Übergangsbildet auch der Wechsel von einer Seite zur nächsten – insbesondere im Aktdes Umblätterns – eine solche organisierende Leerstelle und zugleich ein ästhetischesPhänomen eigener Art. Auch dieses Phänomen ist als ästhetisches Element des Werks zu betrachten – dieses ist in Seiten aufgeteilt und auf das Umblättern hin angelegt. Leerstellen können jedoch auch im Panel auftreten, etwa als bewusst weggelassener Hintergrund, um etwa die fast schwerelose Körperaktion einer Figur oder die Expressivität einer Mimik deutlicher zu akzentuieren. Schließlich kann sich die Analyse der Ebene der Ästhetik noch insgesamt der Stilistik, dem spezifischen Stil eines Zeichners oder der Zugehörigkeitzu einer Stilschule widmen. Wo es hilfreich ist, wird die Analyse zudem Kontexte einbeziehen, etwa aus der Kunstgeschichte, aber auch aus derästhetischen Geschichte der Comics, des Films als verwandtes Medium etc., um ästhetische Anleihen, Zitate, Verweise und Konnotationen verdeutlichen zu können.Die Analyse der Ebene der Erzählung betrifft die erzählte Handlung in derZeit, die dabei etablierten Kausalzusammenhänge und Ursache-Wirkungs-Ketten, aber auch die Arbeit mit Parallelen und Oppositionen, mit Korrelationenanstelle von Kausalitäten, mit Analogien zwischen Geschehnissen, Handlungen und Schicksalen etc. Der analytische Blick richtet sich vor allem auf die Narration und die Dramaturgie: Die Narration betrifft in erster Linie das „Was“ der Handlungen und Ereignisse in der Zeit. Erzählt wird im Modus von „erst war dies, dann kam jenes und geschah das und dann tat jemand dieses und dann das und dann jenes…“ Die Analyse der Narration zeichnet nach, was die Erzählung in welcher Reihenfolge präsentiert und erarbeitet auf diese WeiseInhalt und Erzählstruktur, ein Muster, in dem der zeitliche Verlauf, die verschiedenen Erzählstränge, Haupthandlung und Nebenhandlungen, der Umgangmit der erzählten Zeit (Rückblenden, Parallelhandlungen, gegebenenfalls Vorausblicke) deutlich werden. Hier geht es entsprechend auch um die Topologieder Erzählung, narrative Stereotypen, Einführung des Anfangs und Begründungdes Schlusses einer Geschichte. Ebenso erarbeitet die Narrationsanalyse, welche Handlungen und Ereignisse aus dem Gesamtzusammenhangder Geschichte ausgewählt und – in narrative Stationen aufgeteilt – exemplarisch dargeboten werden, um Inhalt und Verlauf der Geschichte deutlich werdenzu lassen. Im Unterschied dazu geht es bei der Analyse der Dramaturgie um das „Wie“ der Erzählung unter dem Gesichtspunkt der Erzeugung von Involvement beim Rezipienten. Dieses Involvement kann primär kognitiv oder emotional sein. Auf der kognitiven Ebene geht es um Wissen, das im Verlauf der Erzählung durch die strategische Verteilung von Informationen hervorgebrachtwird. Die allmähliche Erlangung von Wissen macht das spezifische Rezeptionsinteresseauf dieser Ebene aus und ist daher der Weg, auf dem Spannungbzw. Beteiligung erzeugt wird. Auf der emotionalen Ebene geht es um die Weckung von Gefühlen, von Heiterkeit und Freude bis zu Mitleid, Angstund Grauen. Dramaturgie erreicht das durch Inszenierung und Strukturierungder Ereignisse und der Handlungen in der Zeit, indem sie Höhe- und Wendepunkte, progredierende und retardierende Momente setzt. Zentrale Elemente der Dramaturgie sind dabei der Konflikt, die (tragische, schreckliche oder komische) Diastase zwischen Charakteren (Figurentypen) oder zwischen ihnen und Ereignissen, das Unvorhergesehene, die begonnene und noch nicht zu Ende geführte Handlung oder Entwicklung, auf deren Vervollständigung sich die Erwartung der Rezipienten richtet, genrespezifische Strukturen und Figurentypologien, die diese Erwartung vorstrukturieren etc. Narration und Dramaturgie stehen dabei in einem engen Verhältnis zueinander und lassen sich in derAnalyse oft schwer trennen. In der Film- und Fernsehanalyse werden sie daher oft gemeinsam methodologisch vorgestellt und zusammengenommen analysiert (Hickethier 2001, 110-128; Mikos 2003, 123-154). Die Analyse der Ebene des Diskurses im Comic erarbeitet die durch Bild, Bildfolge und Text produzierten Bedeutungen und deren werkinternen Zusammenhangsowie die Wertpositionen und die Aussagekonstruktion (message),die Geltungsansprüche der Aussage(n) und Werte sowie ihre argumentative, ästhetische und narrative Begründung. Diskurse sind sinnbezogen und sinnproduktiv; sie verdeutlichen daher auch, ob und weshalb die einzelnen Handlungsverläufe und Positionen sinnvoll oder unsinnig sind sowie worin die sinnhafte Gesamtbedeutung einer Erzählung liegt. Prinzipiell lassen sich verschiedene Diskursebenen voneinander unterscheiden: Narrationsimmanente Diskurse umfassen die Bedeutungen, Aussagen und Werte, die von einzelnen Figuren im Verlauf der Erzählung vorgebracht oder verkörpert werden. Ihre Verknüpfung miteinander in den Interaktionen der Figuren sowie ihre Gewichtung durch die ästhetische Konfiguration, Figurentypologien und die Erzählungals ganze bringt dabei in der Regel entweder einen der Diskurse zur Durchsetzung bzw. nimmt Partei für diesen oder konstituiert aus einer auktorialen Erzählerposition einen übergeordneten Diskurs, der in der Message ausmündet. Man kann diesen als den werkimmanenten oder werkspezifischenDiskurs bezeichnen. Davon unterscheidbar sind kontextuelle Diskurse, die inden realweltlichen und medialen oder auch comicspezifischen Kontexten situiert sind und die Aussageproduktion mit bedingen. Hier geht es also um die Diskurse, auf die sich der Diskurs der Erzählung bezieht. Dies können zeitgenössische, aber auch historische Diskurse sein. Die Erzählung kann mit ihren Aussagen entweder zu diesen Diskursen einen eigenen Beitrag leisten, indem sie Stellung zum Thema dieser Diskurse bezieht (beispielsweise zu den politischenKonsequenzen bestimmter religiöser Positionen). Sie kann aber auch diese Diskurse als ganze thematisieren, also Position zu diesen Diskursen als Diskursen, zu ihrem Vorkommen in einer bestimmten Zeit und Gesellschaftüberhaupt beziehen (beispielsweise zum Hexen-Diskurs im 15. Jahrhundert; dies unterscheidet sich dann von einer Teilnahme an der Diskussion des Themasdieses Diskurses). Im erstgenannten Fall ist sie ein diskursiver Beitragund so selbst Teil des betreffenden Diskurses; im zweitgenannten Fall bildet sie einen Metatext zu diesem Diskurs bzw. eröffnet einen Metadiskurs. Dem forschungsleitenden Interesse entsprechend geht es mir in den nachfolgenden Analysen hauptsächlich um die dritte Ebene, die Ebene des Diskurses. Analysen zu den beiden anderen Ebenen werden daher in erster Linie nur so weit vollzogen, wie sie für die Erarbeitung des Diskurses nötig sind. Entsprechend richtet sich die Analyse der Ästhetik und der Erzählung vorrangigauf die dadurch produzierten Bedeutungen, Wertpositionen, Geltungsansprücheund Aussagen sowie die Message insgesamt.
„Le Troisième Testament“
Das erste Werk, das ich in Blick nehme, ist die in vier Bänden vorgelegte epische Miniserie „Le Troisième Testament“ von Xavier Dorison und Alex Alice, die in Frankreich zwischen 1997 und 2002 publiziert wird (dt. „Das DritteTestament“ 2002-2003). Dorison (*1972) und Alice (*1976) zählen zu einer jungen Generation von Comic-Machern, die multimedial aufgewachsen ist, den Comic als eine Ausdrucksform neben anderen begreift und sich souverän mit der eigenen Kreativität in den Bedingungen der liberalen Ökonomie bewegt. Dorison wie Alice absolvieren vor ihrer Zusammenarbeit ein Studiumbzw. eine Ausbildung an einer Elitewirtschaftsschule. Dorison arbeitet danach bei Barclays und entwickelt seine ersten Comic-Szenarien in seiner Freizeit, um später dann sein eigenes Unternehmen, die Script Company, zu gründen, eine Tochterfirma der Videospielschmiede Darkworks, die sich auf die Entwicklung von Szenarien für elektronische Spiele spezialisiert. Alice setzt 1998– parallel zu seiner Arbeit an „Troisième Testament“ – ein Szenario zu „Tomb Raider“ in einen Comic um. Dorison nennt als Vorbilder seiner Arbeit als Autoren u.a. Stephen King und Michael Crichton und bekennt seine Liebe zum amerikanischen Film (Pissavy-Ivernault 2007; Alvarez 2007b). Alice sieht seine Arbeit an „Troisième Testament“ eher in der Nähe von Conan als bei genuinhistorischen Comics wie „Alix“ von Jaques Martin (Alvarez 2007b). Diese multimediale Vertrautheit schlägt sich deutlich in „Le Troisième Testament“ nieder. Dorison und Alice entwickeln den Comic dabei nicht in strenger Arbeitsteilung, gemäß welcher der Szenarist das Drehbuch schreibt und der Zeichner dieses umsetzt; vielmehr arbeitet Alice auch am Szenario mit. „LeTroisième Testament“ ist für beide die erste Arbeit im Comic-Bereich, wird in Frankreich jedoch bereits mit dem ersten Album zu einem viel beachteten Erfolg (Alvarez 2007a). Die in sich abgeschlossene und nicht auf ein Sequel angelegte Serie steht zudem am Beginn einer ganzen Reihe von religionsbezogenen, esoterischen und verschwörungstheoretischen Comic-Erzählungen, für die der französische Verlag Glénat schließlich mit „La Loge Noire“ ein ganzes Label schafft (Pissavy-Ivernault 2007). Besonders Dorison siedelt sich auch mit einigen seiner weiteren Arbeitenim Comic-Bereich in der Nähe religionsbezogener Geschichten an. Mit Mathieu Lauffray als Zeichner startet er 2000 die Serie „Prophet“, die sich zwischen Satire und Horror bewegt und ausgehend vom Alten Testament die „Folgen des menschlichen Hochmuts“ (l´orgueil) auslotet (Alvarez 2007b). Parallel dazu beginnt er 2001 mit Christophe Bec „Sanctuaire“, eine an Howard Lovecraft erinnernde Horrorgeschichte, die optisch deutlich an RidleyScotts „Alien“ anknüpft und sich dabei auf die prä-abrahamitischen Religionen bezieht. Zusammen mit Fabien Nury als Autor und Christian Rossi als Zeichner schreibt Dorison ab 2003 außerdem die Serie „W.E.S.T.“, die das Sujet einer magischen Verschwörung nutzt, sich primär im Horrorgenre bewegt, aber auch Randphänomene des Religiösen – wie die Amalgamierung von Katholizismen und Voodoo in der Santeria – thematisiert. Alice hingegenwendet sich 2007 mit „Siegfried“ einer sehr persönlichen Adaption des Ring des Nibelungen von Richard Wagner zu und verbindet dies mit Elementen aus dem Fantasy-Genre. Die Handlung von „Le Troisième Testament“ wird von Dorison und Alicezu Beginn des 14. Jahrhunderts angesiedelt. Die Autoren legen dabei Wert darauf, die in Frankreich damals übliche Jahreszählung zu verwenden, die das jeweils neue Jahr zu Ostern beginnen lässt (I, 2; die Zitation der Comics geschieht im Folgenden mit Band- und Seitenzahl, wobei nicht die Comicseite, sondern die Seitenzahl der gedruckten Veröffentlichung verwendet wird). Das Gros der Geschichte spielt entsprechend zwischen Ostern 1306/07 und dem Ende des Jahres 1307. Dazu treten ein Vorspiel im Jahre 1286 und von einzelnen Charakteren erzählte Ereignisse aus der Vor- und Frühgeschichte des Christentums und der Zeit der Kreuzzüge, die teilweise verbunden mit Rückblenden vorgestellt werden. Der Hinweis der Autoren auf die zeittypische Datierung des Jahresbeginns auf Ostern verweist schon vor Beginn der Erzählung darauf, dass diese zumindest auch eine historische Erzählung ist und historisches Material verarbeitet. Bei der Erarbeitung ihrer Geschichte beziehen sich die Autoren auf einen Text aus dem 19. Jahrhundert, die „schottische Übersetzung eines Manuskripts, das von Elisabeth von Elsenor redigiert“ ist (Alvarez2007a). Die genannte Redaktorin gibt dabei den Namen für die weibliche Hauptfigur des „Troisième Testament“ ab. Davon abgesehen jedoch ist diese Hauptfigur fiktiv und wird von den Autoren bewusst anachronistisch mit den Zügen eines modernen weiblichen Selbstbewusstseins ausgestattet. Mittelbare Bezüge ergeben sich durch die Verbindung mit dem männlichen Protagonistengleichwohl auch zu Elisabeth von Thüringen (1207-1231); die Parallele beschränktsich freilich auf deren selbstbewusste Haltung als eine Gestalt der mittelalterlichen Frauenbewegung. Der zentrale männliche Protagonist nun ist Conrad von Marburg (im Folgenden zur Unterscheidung von der historischen Person wie im Comic mit französischem „C“ geschrieben) und bewusst an den realen Konrad von Marburg (1175/90-1233) angelehnt, eine durchaus schillernde historische Figur. So pflegt Konrad Verbindungen zu den Prämonstratensern und den Bettelordenund steht der religiösen Armuts- und Frauenbewegung nahe. Ab 1226 ist er geistlicher Beistand der Elisabeth von Thüringen, wird 1228 ihr päpstlich bestellter geistlicher und weltlicher Vormund sowie Leiter ihres Marburger Hospitals (Werner 1981; 1997, 281). Mit seinem sozialen Engagement, dem Einsatz in der Kirchenreform und der Befürwortung der Frauenbewegung ist er aus heutiger Perspektive betrachtet eine fortschrittsorientierte Persönlichkeit. Gleichzeitig aber macht sich Konrad einen Namen als Kreuzzugsprediger, wird 1227 im päpstlichen Auftrag Visitator und Reformator des Ordens und Weltklerus und davon ausgehend Ketzerinquisitor sowie 1231 selbstständiger Ketzerrichter. Mit ihm nimmt deshalb die Inquisition in Deutschland ihren Anfang und Konrad zeigt sich dabei als brachialer Rigorist (Werner 1981;1997, 281). Bezüglich seines Fanatismus und der Frage, ob Konrad sich über die (sich gerade erst etablierenden) Regeln des Ketzerinquisitionsverfahrens hinwegsetzt, gehen die Urteile der Geschichtswissenschaft auseinander (etwa:Patschowsky 1981, 666 versus Kurze 1993, 173); zweifelsfrei scheint aber zu sein, dass Konrads Ketzerinquisition in seiner Zeit ein Novum an Gnadenlosigkeit und Brachialität setzt, das der späteren spanischen Inquisition kaum nachsteht (so auch Patschowsky 1981, 666-668). Dies bringt ihn zunehmendin Gegensatz zu Heinrich VII. und zu den mittelrheinischen Adeligen, eine Konfliktsituation, die 1233 nach einem gescheiterten Prozess gegen den Grafen Heinrich III. von Sayn in der Ermordung Konrads resultiert (Werner 1997,281). Dorison und Alice nehmen von der historischen Figur seine Rolle als Inquisitor und Theologe sowie auf der Ebene der Namen die Verbindung mit Elisabeth von Thüringen allusiv auf. Darüber hinaus gestalten sie auch ihren Conrad als schillernde Figur mit fanatischen Zügen. Das Scheitern des Ketzerprozesses gegen den Grafen von Sayn nutzen sie in der Exposition für die Etablierung der backstory wound, verlegen den Prozess jedoch ins Jahr 1286, also 53 Jahre nach dem Tod des realen Konrad. Entsprechend stellen sie auch keinen Anspruch, die historische Figur zutreffend zu zeichnen, sondern nehmen lediglich Elemente davon für die Modellierung ihres fiktiven Charakters. Weitere historische Bezüge ergeben sich durch die Aufnahme einzelner Daten aus der Geschichte der Templer, insbesondere ihre Gründung in der Kreuzzugszeit, ihren Aufstieg und die Tätigkeit als Bankiers sowie die davon motivierten Begehrlichkeiten Königs Phillipp IV. von Frankreich. Auch diese Daten werden jedoch hauptsächlich genutzt, um damit und dahinter kunstreich eine fiktive Geschichte zu weben. Vor allem durch die Figur des Conrad von Marburg ergeben sich außerdem Bezüge zur Inquisition. Hintergründig spielt darüber hinaus die kirchliche Bücherzensur eine Rolle. Obschon der Index erstim 16. Jahrhundert geschaffen wird, nehmen die Autoren auch Bezug auf diesenund spielen dabei auf eine entsprechende zensurierende Macht der Inquisitionan. Sie konstruieren außerdem eine geheime Bibliothek weggesperrter, der Öffentlichkeit vorenthaltener Bücher in Spanien. Damit entsteht eine zusätzlicheanachronistische Allusion, nämlich an die spanische Inquisition ab dem späten 15. Jahrhundert und ihre protototalitäre Macht, die wiederum freilichgerade kein rein kirchliches Phänomen ist, sondern gewissermaßen durch die Verstaatlichung der Inquisition entsteht. Bedeutsam ist des Weiteren der Übergang vom Hochmittelalter zur Renaissance, der eine Art paradigmatischenhistorischen Hintergrundbezug für die Erzählung als ganze bildet. In diesem Zusammenhang spielt die Erzählung auf ein neu gewachsenes Selbstbewusstsein der Gebildeten und die Gründung der Universitäten im 12. und13. Jahrhundert an. Wiederholt bezieht sich die Erzählung schließlich noch auf Qumran. Der Leser kommt dabei in den Genuss, die in den Höhlen versteckten Tonkrüge mit den Qumran-Texten in intakter Gestalt im Bild zu sehen. Erzählt wird außerdem von einem Handschriftenfund. Den historischen Bezugspunktdafür bildet möglicherweise die Auffindung der Damaskusschrift, deren im 19. Jahrhundert bei Karäern in Kairo entdeckte Abschriften aus dem 10.und 12. Jahrhundert auf einen solchen Fund von Qumran-Schriften im Mittelalterhindeuten (Stegemann 2007, 102f).
Inhalt
„Le Troisième Testament“ erzählt folgende Geschichte: Der erste Band eröffnet 1286 mit einem Prozess gegen Conrad von Marburg auf dessen Burg in Gegenwart des Grafen von Sayn. Conrads Gemahlin Kristine ist bereits auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Während des Prozesses versuchen vorerst unbekannte Personen, Conrad zu befreien. Dieser sträubt sich dagegen und will den Freitod wählen; daraufhin interveniert anscheinend der Graf von Sayn, ohne dass der Ausgang dieser Intervention zunächst deutlich wird. 20 Jahre später, im Dezember 1306, wird im Franziskanerkloster von Veynes bei Ausgrabungen hinter einer Mauer der Krypta der Klosterkirche ein geheimnisvollergoldener Schrein gefunden. Die Ausgrabungen sind von rätselhaftenTodesfällen begleitet und der Schrein ist von Kreuzen mit apotropäischer Funktion umgeben. Später trifft sich einer der Mönche mit unheimlichen maskierten Gestalten und verrät den Fund; statt dafür die erwartete Belohnung zu erhalten, wird er getötet. In Paris empfängt zwei Monate später Bischof Charles von Elsenor Graf Conrad von Marburg, der bis dahin zurückgezogen in einem alten Schloss in der Bretagne gelebt hat. Im Haus des Bischofs lebt Elisabeth von Elsenor, die der Bischof 17 Jahre zuvor als ausgesetzten Säugling gefunden, zu sich genommen und erzogen hat. Der Bischof erläutert nun Conrad, dass im Kloster von Veynes Manuskripte gefunden worden seien, die von den Essenern verfasst worden, jedoch jeglicher kirchlicher Katalogisierungbislang entgangen seien. Das Kloster wiederum sei vor zwei Monaten niedergebrannt und alle Mönche seien ermordet worden. Nun befasse sich die Inquisition mit der Sache und es drohe die Gefahr, dass das Massaker dazubenutzt werde, den Franziskanerorden und die Kirchenreform in Misskredit zubringen. Außerdem stellten die Manuskripte eine Gefahr für die kirchliche Dogmatik dar. Bischof Charles bittet daher den ehemaligen Inquisitor Conradum Hilfe. Conrad lehnt zunächst ab, jemals wieder für die Inquisition zu arbeiten.Am Folgetag jedoch wird der Bischof von Unbekannten in Notre Dame gekreuzigt und bittet Conrad im Sterben, sich um Elisabeth zu kümmern. Die Kirche ist voll mit schwarzen Rabenvögeln. Conrad gerät in Verdacht, der Mörder des Bischofs zu sein, und flieht zusammen mit Elisabeth.Um diese Zeit trifft ein Mönch namens Tessingher einen vorerst noch namenlosenTempelritter in einer verfallenen Kirche und verrät ihm, dass gewisse Nachforschungen Fortschritte machen und sein Herr vom Erwachen des Löwen gesprochen habe. Auch hier ist ein Rabe zu sehen. Conrad und Elisabeth reiten indes in die verschneiten Pyrenäen, um dort einen Prior namens Honorius zu treffen, der in dem einsamen Herrenhaus von Tourmalet zurückgezogen lebt. Conrad stellt in den Bergen einen Verfolger, der angibt, von„Kuttenträgern“ beauftragt zu sein, und die Verfolgten kurz vor seinem Sturz in den Abgrund davor warnt, dass nicht nur er, sondern auch „der Teufel und die gesamte Hölle“ hinter ihnen her wären (I, 33). Vor dem Sturz greifen Rabenden Verfolger an; ein Rabe fliegt zu einem Unbekannten zurück und landet auf dessen Faust. Von Honorius erfahren Conrad und Elisabeth dann die Legende des Julius von Samarien (eigentlich Samaria, hier liegt wohl eine unpräzise Übersetzung aus dem Französischen vor): Als Gelehrter habe Julius an das ultimative Wissen gerührt und daraufhin von Gott eine Truhe erhalten mit dem Auftrag, diese an dem geheimsten Ort der Erde zu verstecken, ohne sie zu öffnen. Julius habe am Ende jedoch der Versuchung nicht widerstehen können und den Deckel der Truhe angehoben, woraufhin sich die Erde auftat und ihn verschlang. Danach erzählt Honorius seine eigene Geschichte: Von der Kirche ins Heilige Land geschickt, habe er Manuskripte aus der Gegend von Qumranabgeholt, darunter ein goldener Schrein. Nach einer von rätselhaften Todesfällenbegleiteten Rückreise habe er als Prior des Klosters von Veynes von der Kirche den Auftrag erhalten, die Manuskripte zu zerstören. Er habe jedoch nur die weniger Wichtigen dem Feuer übergeben und die Übrigen in einer alten Krypta versteckt. Ein Blick in das Manuskript in dem goldenen Schrein habe ihn jedoch eines Besseren belehrt und er habe, erschrocken über den Inhalt, den Schrein einmauern lassen und sich auferlegt, den Inhalt des Manuskriptszu vergessen. Darin nämlich befände sich der Schlüssel zum ultimativen Wissen, niedergelegt in den Reiseaufzeichnungen des Julius von Samarien. Nachts recherchiert Elisabeth in Honorius´ Bibliothek über Conrad und die Inquisition. Am Folgetag greifen maskierte Reiter – begleitet wieder von Raben – die Einsiedelei an, fragen nach Conrad und töten Honorius. Conrad und Elisabeth reisen weiter nach Spanien.Der zweite Band beginnt mit der Folter eines Abgesandten von Gerhard Steiner, der als der inoffizielle Kopf der „Kirchenspione“ bezeichnet wird (II,4). Zusammen mit einem anderen Spion, Trevor O´Neill, hatte der Gefolterte den Auftrag, Beweise für eine Verschwörung und den Schmuggel von Pergamenten im Kloster von Stornwall zu sammeln. Trevor O´Neill scheint es gelungenzu sein, einen beweiskräftigen Brief an sich zu bringen und im Unterschied zu dem Gefolterten aus Stornwall zu entkommen. Der Gefolterte wird nach seinem Geständnis von Raben zerfleischt. Inzwischen trifft sich Trevorin Toledo in Spanien mit einem weiteren Agenten und entkommt dann knapp einer Verhaftung durch die Templer. Es ist Juni 1307; inzwischen treffen auch Conrad und Elisabeth in Toledo ein und suchen Gerhard Steiner auf, zu dem Conrad alte Beziehungen hat. Unter der Stadt befindet sich in Höhlenanlageneine geheime Bibliothek, in welcher hohe Würdenträger der Kirche während des vierten Kreuzzugs eine Vielzahl von Manuskripten eingelagert haben, fürdie sie das christliche Abendland noch nicht als reif erachteten. Conrad zählt offensichtlich zu diesen Würdenträgern und hat sich der Bibliothek als Inquisitor gelegentlich bedient, bevor diese zugemauert wurde. Er will mit Steiners Hilfe einen Zugang finden, da er Abschriften der Manuskripte aus Veynes dort vermutet. Nachts unterhalten sich Conrad und Steiner über die maskierten Horden, die die Einsiedelei des Priors überfallen haben, und Conrad erzählt von Berichten über ähnliche Vorfälle, die jedoch bereits 130 Jahre zurückliegen. Am Folgetag trifft Trevor bei Steiner ein, übergibt das Dokument aus Stornwall und berichtet von der Aktion der Templer. Danach steigen Conrad und Elisabeth in die unterirdische Bibliothek ein und finden dort eine aramäische Version der Reisetagebücher des Julius von Samarien sowie eine Teilübersetzung durch einen Gelehrten namens Anselm von Theben. Berichtet wird darin, dass sich die Apostel zum Begräbnis von Maria in der Nähe der Stadt Gischala getroffen hätten, enttäuscht und verbittert darüber, dass die Welt die Worte Christi nicht annehme und das Leiden der Menschen anhalte. Nach sieben Tagen des Gebets habe Gott sie erhört; sie übergeben ein in einer Bleiröhre aufbewahrtes Pergament an Julius. Conrad erläutert Elisabeth sodann, dass es sich bei dem Pergament um die Aufzeichnungder Worte Gottes handele, ein Drittes Testament, und dass die Vorgängeder Teilübersetzung Bestätigung in den Apokryphen fänden. Nun tauchen die Templer in der Bibliothek auf und geben sich als die Auftraggeber Anselms zuerkennen sowie, dass ihnen die Übersetzung geraubt wurde. Es kommt zum Kampf, in dessen Verlauf auch die maskierte Horde – begleitet von Raben –erscheint und sich das Manuskript anzueignen vermag. Von Steiner erfährt Conrad danach, dass der Anführer der Horde Bischof Uther von Stornwall sei und dass die Templer und die Horde offenbar zwei getrennte, konkurrierende Gruppen bildeten. Zusammen mit Trevor machen sich Conrad und Elisabethauf den Weg nach Stornwall, um das Manuskript zurückzuholen. Von einem Fischer werden sie zu der hoch aufragenden Festungsinsel gebracht, die der schottischen Küste vorgelagert ist, und dringen durch unterirdische Kanäle ein. Im Skriptorium finden sie einen Hinweis auf die Abtei von St. Lukas und ein Siegel, das bei Conrad ein flashback an seinen Prozess und den Grafen von Sayn auslöst. Letzterer steht offensichtlich hinter Bischof Uther und seinen Unternehmungen. Inzwischen ist jedoch Trevor von Uthers Leuten gefasst worden; auch Conrad und Elisabeth geraten nun in Gefangenschaft. Zur gleichenZeit erhält in Rom der Papst das von Trevor aus Stornwall entwendete Schriftstück durch den letzten, nicht von den Templern verhafteten Gefolgsmann Steiners und reicht dies an einen im Dunkeln bleibenden Tempelritterweiter. Der dritte Band eröffnet mit einer Rückblende auf den Prozess Conrads. Dieser erzählt seinen Gefährten, dass es Bischof Charles von Elsenor zusammenmit Gerhard Steiner war, der ihn damals zu befreien versuchte. Conradwird nun jedoch klar, dass er diese Befreiung und sein Überleben wider Willen in Wahrheit dem Grafen von Sayn verdankt. Ebenso erkennt er nun, dass dieser ihn auf eine noch unklare Weise für seine eigenen Pläne benötigt und es eine schicksalshafte Verbindung zwischen ihm und dem Grafen von Sayn gibt.Conrad will den Kampf gegen den Grafen wieder aufnehmen und mit seinen Gefährten erneut versuchen, sich des Manuskripts – der Reisetagebücher des Julius – zu bemächtigen. Inzwischen unterhält Bischof Uther sich mit Tessingher: Uthers Gruppe versucht, sich in den Besitz des Dritten Testaments zusetzen. Sechs von sieben Rätseln sind bereits entschlüsselt, die zusammen den Ort angeben, an dem das Dritte Testament versteckt ist. Der Schlüssel zum siebten Rätsel befindet sich in St. Lukas. Wenig später wird Trevor von einemUnbekannten aus Uthers Gruppe befreit und Trevor befreit seinerseits Conradund Elisabeth. Conrad begibt sich verkleidet ins Skriptorium, wo eine von Uther zusammengestellte internationale Gruppe von Gelehrten an der Dekodierung der Rätsel arbeitet. In der Geheimkammer, dem Aufbewahrungsort des Manuskripts, legt er Feuer, um das Manuskript zu vernichten, also gewissermaßenden Auftrag der Kirche an Prior Honorius zu vollenden. Dabei bekommter – an die Wand gemalt – jedoch die Lösung der bisherigen sechs Rätsel zu Gesicht. Mit Mühe gelingt den Gefährten die Flucht aus Stornwall. Dort entlarvt dann Bischof Uther Tessingher als Fluchthelfer der Gefährtensowie als Spion der Templer. Der Herbst zieht ins Land und die Gefährten sind unterwegs nach der Abtei St. Lukas. Auf dem Weg erleben sie die beginnende Verhaftung der Templer. Als sie St. Lukas erreichen, müssen sie erkennen, dass ihnen die Horde zuvorgekommen ist, das Manuskript entwendet und den Mönch Wenzel getötet hat,der an seiner Entschlüsselung arbeitete. Conrad offenbart Elisabeth nun, was er an der Wand der Geheimkammer des Skriptoriums gesehen hat. Trevor warnt Elisabeth vor Conrads Fanatismus. Ein junger Mönch namens Clemens, der mit Wenzel an der Entschlüsselung gearbeitet hat, hat den Angriff derHorde überlebt und löst mit kabbalistischen Mitteln das siebte Rätsel für Conrad und Elisabeth. Als Versteck des Dritten Testaments ergibt sich nun insgesamtein Ort namens Migdalavana. An einem anderen Ort halten Templer eine Frau und ihr Kind gefangen und werden von der Horde überfallen. Inzwischen brechen Conrad und Elisabeth nach Prag auf, um dort Kartographen aufzusuchen, die den Ort Migdalavana bestimmen sollen. Nachts verlassen Trevor und Conrad heimlich das Lager; Elisabeth findet später Conrad in der Ruineeiner Kathedrale, wo er sich mit Mönchen Uthers einen Kampf geliefert und diese bis auf den Prior getötet hat. Von diesem erfahren die Gefährten nun, dass das Dritte Testament mit dem Kommen der Apokalypse und dem Jüngsten Tag verbunden ist, sowie dass Conrad dabei offenbar eine Schlüsselrolle zukommt. Als der Prior Elisabeth ergreift, droht ihm Conrad damit, sich selbst umzubringen und so seiner Rolle zu entziehen und verletzt sich mit einem Dolch an der linken Seite. Der Prior gibt Elisabeth frei, um Conrad am Selbstmord zu hindern, und findet im Kampf den Tod. Conrad eröffnet Elisabeth,dass der Graf von Sayn der Antichrist sei, und beauftragt sie, diesen mit seinem Dolch zu töten. Auf dem Rückweg treffen Conrad und Elisabeth auf die Armeen der Templer, müssen erkennen, dass Trevor sie gegen Geld an diese verraten hat und auch Steiner in den Diensten der Templer steht, weil diese seine Familie gefangen haben. Conrad begibt sich freiwillig in Gefangenschaftder Templer; Elisabeth flüchtet auf dem Pferd und stürzt dabei in die reißenden Fluten eines Flusses. Auf einem Drachenschiff ist während dessender Graf von Sayn im hohen Norden über das Meer unterwegs. Zu Beginn des vierten Bands findet Elisabeth sich in einem Nonnenkloster wieder und erinnert sich dunkel an ihre Rettung aus den Fluten, die sie Conrad zuschreibt. Auf der Suche nach ihm aus dem Kloster laufend findet sie ihn gleichwohl nicht; auch bemerkt sie nicht, dass unweit ihres Standorts Trevor tot auf den Felsen liegt. In der Klosterkirche hat sie ein weiteres Gespräch mit Clemens, der Zweifel an der Richtigkeit der Lösung des siebten Rätsels äußert,und gemeinsam finden sie eine plausiblere alternative Lösung. Dazu müssen sie für das Rätsel, das von den Aposteln und den Stämmen Israels spricht, einen 13. Apostel und einen 13. Stamm annehmen und sich somit in den Bereich eines ´ketzerischen Wissens´ begeben; der neue Ortsname lautet Nidmigiv. Conrad auf der falschen Fährte wähnend, macht sich Elisabeth auf den Weg nach Prag. Conrad aber ist in Wahrheit in Gefangenschaft der Templer und trifft dort auf den namenlosen Tempelherrn, der sich im ersten Band mit Tessingher getroffen hat. Dieser erzählt nun die Geschichte der Templer: Als 1099 die Armeen des ersten Kreuzzugs Jerusalem einnehmen, befinden sich darunter neun Männer mit einer geheimen Agenda. Sie treffen einen „Eingeweihten“, einen „Haschischin“ (IV, 16), der sie in eine Geheimkammer unter dem Tempel Salomons führt, wo sie die Reisetagebücher des Julius finden und sich zu einer verschworenen Gruppe zusammentun, um das DritteTestament zu suchen. Ihr Ziel ist die eigene Herrschaft im Namen Gottes. Sie beauftragen Anselm von Theben mit der Übersetzung der Reisetagebücher, doch dieser bricht sein Werk ab und versteckt das Manuskript. Daraufhin gründen die neun Männer den Orden der Tempelritter, um eine Organisationsstrukturfür die Suche nach dem Manuskript zu besitzen. Dennoch entgeht ihnen der Fund der Abschrift des Manuskripts in Qumran. Der amtierende Großmeister Guillaume von Beaujeu wird 1291 beim Fall der Stadt Akko tödlich verletzt, überlebt jedoch. Er nützt die Chance, um seinen Tod vorzutäuschen,und zieht sich angesichts des territorialen Machtverlusts der Templerhinter die Kulissen zurück, um fortan mit der neuen Identität des Guillaumevon Paris als Vertrauter Philipps IV. die Fäden im Verborgenen zu ziehen. Gleichwohl bleibt er der oberste Herr der Tempelritter und setzt deren Großmeisterein. Als der goldene Schrein im Kloster von Veynes gefunden wird, scheint das Manuskript wieder in greifbarer Nähe zu sein, doch treten nun der Graf von Sayn, Bischof Uther und die Horden auf den Plan und eignen sich das Manuskript an. Mit Tessingher platzieren die Templer einen eigenen Agentenim innersten Kreis dieser konkurrierenden Gruppe. Durch die NachforschungenConrads kompliziert sich die Situation für die Templer, die daraufhin über die Erpressung Steiners und die Käuflichkeit Trevors diesen neuen Mitspieler zu manipulieren versuchen. Als Vertrauter Philipps IV. hat Guillaume zudem die drohenden Entwicklungen gegen die Templer im Blick und nutzt diese, um unter dem Deckmantel der Verhaftungen die Armee derTempler für die letzte Auseinandersetzung mit dem Grafen von Sayn, Uther und den Horden in Böhmen zusammenzuziehen. Um an Conrads Wissen überdas Versteck des Dritten Testaments zu kommen, bietet Guillaume ihm die Zusammenarbeit und Macht in der neuen, von den Templern anvisierten Kirchean. Conrad verweigert sich. Elisabeth ist inzwischen in Prag angekommen und findet mit Hilfe der Kartographendie Lage des Ortes Nidmigiv. Gleichzeitig wird Gerhard Steiner von einem Mitglied der Horde aufgesucht und erfährt, dass seine Familie inzwischen getötet worden ist. Mit Gewalt befreit er daraufhin Conrad aus der Folterkammer der Templer und ermöglicht ihm die Flucht. Elisabeth begibt sich nach Danzig, wo die Armeen der Templer zusammengezogen werden, während Conrad die Burg des Grafen von Sayn erreicht, die auf den Ruinen seiner eigenen Burg errichtet worden ist. Elisabeth gelingt es, zu Guillaume vorzudringen, der inzwischen in Danzig angekommen ist, und bietet ihm eineZusammenarbeit an, da sie sich allein nicht in der Lage sieht, das Dritte Testamentaus Nidmigiv zu holen. Zusammen mit Guillaume erschließt Elisabeth, dass der Graf von Sayn etwas mit dem 13. Apostel zu tun haben muss. Derweiltrifft Conrad in der Burg des Grafen auf Uther, der ihm eröffnet, dass derGraf von Sayn in Wahrheit Jesu Bruder sei und der Bringer der Apokalypse. Conrad tötet Bischof Uther. Elisabeth macht sich mit Guillaume und den Templern sowie Steiner per Schiff auf den Weg nach Nidmigiv, das im hohenNorden liegt. Während der Reise belegt Guillaume die Existenz des Bruders Jesu aus der Heiligen Schrift und äußert die Vermutung, dass die Horde der13. Stamm Israels sei. Im hohen Norden angekommen machen sich Guillaume,Elisabeth, Steiner und die Templer auf den Weg zu einer Felsspitze auf den Gletschern, wo das Dritte Testament lagert. Sie treffen dabei auf die Horde und liefern sich Kämpfe mit dieser. Gleichzeitig ist auch Conrad mit dem Grafen von Sayn dorthin unterwegs. Elisabeth versucht während der Belagerung der Templer durch die Horde mit einer kleinen Abordnung zum Gipfelvorzudringen, wird jedoch ihrerseits von Guillaume als Ablenkungsmanöve rmissbraucht und verraten. In den dabei entstehenden Kämpfen mit der Horde greift Conrad zur Rettung Elisabeths ein, verlässt sie dann jedoch wieder, um allein zum Gipfel aufzusteigen. Elisabeth motiviert die Templer zu einem letzten Ansturm gegen die Horde, um das Dritte Testament zu erringen. Währenddessen treffen auf dem Gipfel Guillaume, der inzwischen allein aufgestiegen ist und seine Männer verraten und verlassen hat, und Conrad zusammen. Conrad warnt Guillaume davor, die sieben Siegel des Dritten Testaments zu öffnen, da dies zu groß für ihn sei, und Guillaume stirbt bei dem Versuch, dies dennoch zu tun. Nun erscheint der Graf von Sayn und eröffnet Conrad, dass er der Bruder Jesu sei, seit 13 Jahrhunderten auf der Erde ausgesetzt und unfähigzu sterben. Conrad durchbohrt ihn mit dem Schwert, ohne ihn damit töten zu können. Im Hintergrund öffnet sich die Erde und ein Vulkan bricht aus. Gleichzeitig erfährt Elisabeth von Steiner, dass nicht Conrad, sondern Trevor sie aus den Fluten gerettet hat. Inzwischen erläutert der Graf von Sayn Conrad, dass er – der Graf – der Messias des Endgerichts sei und das Dritte Testament seinen Namen enthalte. Die Öffnung des Dritten Testaments leite die Apokalypse ein, doch könne nur Conrad die Siegel brechen. Conrad nämlich sei der Nachfahre des Apostels Markus (mit dem Symbol des Löwen); die Apostel hätten von Gott das Dritte Testament erhalten, jedoch vor dem BruderJesu verborgen. Conrad käme nun die Rolle des Antichristen zu, der das DritteTestament öffnet. Als Conrad nun seine Rolle akzeptiert und damit beginnt, greift Elisabeth ein und stößt ihm den Dolch in den Leib. Nun packt der Graf von Sayn Elisabeth. Conrad rafft sich jedoch nochmals auf und durchbohrt nun seinerseits mit dem Dolch den Grafen von Sayn, der darauf hin in den Schlund des Vulkans stürzt. Conrad erliegt seinen Verletzungen und Elisabeth bleibt allein auf dem Gipfel zurück. Im Sonnenaufgang hält sie ihren Schlussmonolog.
Notizen zur Ästhetik
„Le Troisième Testament“ zählt zu den „realistisch“ gezeichneten Comics, d.h. es findet keine karikatureske Verzeichnung von Figuren oder auch Gegenständenstatt, wie sie typisch für den funny-Stil ist. Obwohl die Figuren eine gewisse Typisierung erfahren, verzichtet Alice weitgehend darauf, die Expressivität mit anderen als naturalistischen Mitteln zu steigern. Daher ist auch der Strich funktional für die naturalistische Darstellung eingesetzt und entfaltet kaum ein Eigenleben, erhält keine eigenständige Materialität, sondern ist das Medium einer abbildrealistischen Ausdrucksintention. Ebenso ist etwa der Einsatz von Speed-lines in den Action-Sequenzen äußerst zurückhaltend gehandhabt. Sound-words hingegen finden Verwendung und werden dabei auch ein eigenständiges Bildelement mit einer gewissen Materialität. Neben dem Strich für die Fixierung von Figuren, Schauplätzen und Dekors werden auch Schwarzflächen für die Designation von Schatten und Dunkelheit eingesetzt. Der Stil ordnet sich deshalb nicht der ligne claire zu, die mit gleichmäßigen, beschreibenden Linien und Farbflächen arbeitet, sondern eher dem gängigen Adventure-Stil; Schraffuren allerdings entfallen. Die Farbigkeit ist abgestuft mit fließenden Übergängen zwischen helleren und dunkleren Zonen innerhalb einer Farbfläche, um Licht und Schatten einzufangen und einen räumlichen Eindruck auch durch die Farbe zu ermöglichen. Obschon einzelne Passagen eine Nachbearbeitung am Computer vermuten lassen, ist die Farbe insgesamt mit natural colors angelegt, die teilweise aquarellierte Wässerigkeit und sogar die leichte Maserung des verwendeten Kartons erkennen lassen. Die Farbigkeitsteht deshalb in einem deutlichen Verhältnis zur Malerei, nicht hingegen zur technischen Medialität. Ihre Natürlichkeit unterstreicht dabei den Naturalismus und Realismus der Darstellung. Ein abstrakter Farbeinsatz unterbleibt; auch führt die Farbe kein Eigenleben, sondern bleibt funktional für die Erzählung. Der insgesamt angezielte Abbildrealismus und Naturalismus greift außerdem auf Methoden der Mise en Scène, der Lichtführung, der Perspektive und des Ausschnitts zurück, die im Film, insbesondere im Abenteuer- und Actionfilm, gebräuchlich sind. Die Definition dessen, was in der Bildlichkeit des Comics als abbildrealistisch zu gelten hat, lehnt sich so an die bildhaften Codierungendes zeitgenössischen Kinos an und nutzt die dadurch etablierten Sehgewohnheiten. Darüber hinaus finden streckenweise Lichttechniken und Arrangements von Figuren und Natur aus der romantischen Malerei Anwendung, um die Dramatik über die Dekors und die Schauplätze zu steigern. Dazu zählen etwa die Szenen in den Bergen während der Reise und dann beim Besuch bei Prior Honorius, der am Abgrund und beinahe am Rand der Welt (seinerEpoche) wohnt (I, 34f) oder die aufragenden Felsen in der unterirdischenBibliothek, auf denen unvermutet die Templer über den Gefährten erscheinen (II, 22), sowie die apokalyptische Bergszenerie mit der Naturgewalt von Eisund Feuer in der langen Schlusssequenz (IV, 42-74). Die Natur wird dadurchals Schauplatz zugleich zum Schaugegenstand und streckenweise sogar zumAkteur bzw. einem Analogat desselben (insbesondere in der apokalyptischenSchlusssequenz). Schaugegenstand ist sie allerdings nicht, um für sich betrachtetzu werden, das Schöne oder schreckende Erhabene an sich malerischzur Anschauung zu bringen, sondern mit einer spezifischen Funktion: Sie verkörpertemotionale Stationen der Erzählung, insbesondere des Erlebens undder Entwicklung der Figuren. An einigen Stellen findet das Licht eine transparente Materialität und Eigenrealität, wie sie aus dem Impressionismus vertraut ist. Das zeigt sich etwa im lichtdurchfluteten Haus Steiners und im einfallenden Licht in der unterirdischen Bibliothek in Band 2 (II, 10, 18), bei Elisabeths Gespräch mit Clemens über Lebenswahl und Bestimmung anlässlich der´ ketzerischen ´ endgültigen Dekodierung des siebten Rätsels oder bei den verschiedenen Blicken Elisabeths zum lichtvollen Horizont in Band 4 (IV, 13,22f, 76f). Auch dies kommt nicht von ungefähr und ist kein eigenständiger ästhetischer Kniff, hat keinen Schauwert an sich, sondern ist funktional für die Konstruktion der Message, bei der das Licht eine spezifische Rolle als Metapher spielt.„Le Troisième Testament“ enthält alle Panel-Größen und orchestriert diese zu vielfältigen Layouts. Bei den Panel-Formen findet jedoch eine Beschränkungauf rechteckige Panels statt, während runde, gezackte oder mit Formen eines Vielecks arbeitende Panels keine Verwendung finden. Einzelne Panels sind bis an den Seitenrand ausgedehnt, so dass sie über die Seite hinaus ins Offene zu führen scheinen, sich gewissermaßen mit der real weltlichen Realität des Lesenden überlappen bzw. diese in das Panel hinein diffundieren lassen und so den Realismus steigern. Die Panels werden durchweg funktional für die Erzählung eingesetzt und zwar sowohl für das Vorantreiben der Handlungen und Ereignisse als auch die Illustration berichteter Vorgänge in Rückblenden,für das Erzeugen von Stimmungen und die nonverbale Darstellung emotionaler Befindlichkeiten und Entwicklungen der Figuren, die gleichwohl wiederum nie für sich stehen, sondern Elemente des erzählten Geschehens, der dramatischen Handlung darstellen. Mit Ausnahme der Paralogie gibt es alle Panel-Übergänge. In den Action-Sequenzen dominiert verständlicherweise der Übergang von Handlung zu Handlung; so etwa beim Kampf in der unterirdischen Bibliothek. Reflexivere Passagen werden mit Übergängen von Augenblick zu Augenblick und dabei mit einer psychologischen Zeitdehnung versehen. Dies findet sich etwa in der Szene, in der Conrad im ersten Band nach der Flucht aus Paris und einer Pause in der freien Natur schließlich der sich entfernenden Elisabeth folgt und damit die Quest als gemeinsame Aufgabe annimmt (I, 27). Versinnbildlicht wird auf diese Weise Conrads innerer Prozess, sich zu diesem Entschluss durchzuringen, und neben der physischen auch die psychische Zeitspanne, die dazu benötigt wird. Streckenweise werden jedoch auch Übergänge von Gegenstand zu Gegenstand sowie von Gesichtspunkt zu Gesichtspunkt (bedeutungsorientiert wie perspektivisch) eingesetzt. Insbesonderein den Passagen, in denen Rätsel gelöst und Codes entschlüsselt werden müssen, findet dies statt. Der Text erscheint in Sprechblasen, also in direkter Rede, daneben jedoch auch als Voice over in Captions (Textkästchen), die sowohl synchron als auch asynchron und sowohl parallel als auch kontrastierend zum Bildinhalt eingesetzt werden. Besondere Bedeutung haben dabei die Memoiren der Elisabeth von Elsenor, die vom Zeitpunkt ihrer Einführung als Figur im ersten Band bis zur letzten Doppelseite des vierten Bandes die Geschichte in einer Art Rahmenerzählung begleiten. Im Unterschied zu anderen Captions werden diese als verschlissene Fragmente aus Pergament präsentiert und wird der Text jeweils mit einem großen Schmuckbuchstaben begonnen.Die Bände beginnen durchweg mit einem großen Splash-Panel, genauer gesagt einer Splash-Page, die im vierten Band auf eine Doppelseite ausgedehnt ist. Alle Splash-Pages führen jeweils mitten in eine dramatische Handlung hinein (s.u.). Die Bände enden mit einer Art Epilog, der auch durch die Bildlichkeit verkörpert wird. Im ersten Band kündigt dieser in Gestalt der Memoiren Elisabeths ganz generell dramatische Ereignisse an, während er in Band 2 und 3 jeweils den Charakter eines Vorausblicks erhält, mit dem ein Handlungsstrang der Folgebände eingeleitet beziehungsweise angekündigt wird. So etwa, wenn in Band 2 mit der Weitergabe des von Steiners Agent überbrachten Dokuments durch den Papst an den Templer die Macht der Templer als Drahtzieher im Hintergrund verdeutlicht wird (II, 48) – eine Macht, die vor allemin Band 4 dann in ihrer beherrschenden Bedeutung ausführlich rückschauendexpliziert wird. Eingesetzt werden auch textfreie Bilder mit Epilogfunktion, am deutlichsten in Band 3: Der Graf von Sayn auf dem Drachenboot in nebliger, grauer Szenerie kündet an, dass diese ominöse Figur den Helden bereits voraus ist, und benennt zugleich den Ort des Showdown in Band 4 im hohen Norden (III, 56). Auch Band 2 aber zeigt ein seitengroßes, text- undrandloses Panel mit solcher Funktion – hier prescht die Horde zu Pferde über die in die Seite integrierten Panels der Papst-Templer-Szene hinweg und deutet bereits die den Templern und der Kirche überlegene, brachiale und apokalyptische Macht des Grafen von Sayn und der Horde an; die apokalyptischen Reiter sind gewissermaßen schon losgelassen, während die Templer sich noch in Ränkespielen und die Kirche in politischen Allianzen beschäftigen (II, 48). In Band 4 gibt der Epilog einen Ausblick auf die anbrechende historische Epoche,die durch den Abschluss der Handlung mit ermöglicht und auf denWeg gebracht wird und fasst dabei zugleich nochmals die Message der Erzählung zusammen (IV, 76f). Auch hier wird die Bildlichkeit – in diesem Fall in Gestalt eines einzigen großen rahmenlosen doppelseitigen Panels – dazu eingesetzt, diesen Epilog zu visualisieren. Die Doppelseite wird dabei zu einereinzigen vielschichtigen Metapher für die Message.
Notizen zu Dramaturgie und Narration
Auf der Ebene der Ästhetik wie auch der Narration und Dramaturgie zeigen sich zudem einige cross-media-Bezüge. Wie schon gesagt, nimmt „Le TroisièmeTestament“ deutliche Anleihen beim Film, insbesondere beim Abenteuer- und Actionfilm. Daneben bestehen Genrebezüge zur heroic fantasy bzw. dem Mystery-Genre (das freilich selbst schon eine Hybridbildung ist), dem Historienfilm, dem Roadmovie und sogar dem Horrorfilm, insbesondere dem Slashermovie. Die Bezüge zum Action-Movie zeigen sich schon im ersten Band in der Befreiungsaktion Bischof Charles und Steiners während Conrads Prozess und dann breit ausgefaltet bei der Flucht Conrads und Elisabeths aus Notre Dame, wo Conrad an einer Glockenschnur mit Elisabeth im Arm hoch über Paris aus dem Turnfenster schwingt und danach mit dem Pferd durch das Kirchenportal sprengt (I, 4-7, 23-25). Heroic fantasy und Mystery zeigen sich in der schwertschwingenden Hauptfigur Conrad, der viril agierenden Elisabeth und ihrem swashbuckling sowie den mysteriösen Ereignissen und dem übernatürlichen Agieren des Grafen von Sayn und der Horde. Dem Historienfilm steht die Erzählung neben ihren historischen Bezügen auch in der Ausstattung und den Kostümen nahe. Das Roadmovie kommt zum Tragen in den beständigen Reisen der Hauptfiguren, während der Horrorfilm in der unheimlichen Inszenierung der Horde und das Slashermovie beispielsweise in der gewalttätigen Befreiung Conrads durch Steiner aus den Kerkern der Templer und der Erschlagung der Wächter mit einer Axt aufgenommen werden (IV, 26-27). Die bestehenden Bezüge sind mithin also in Handlungselementen (swashbuckling, superheroe-action, Töten mit der Axt etc.), szenischen Elementen (Dialoge zu Pferde in der freien Natur bei der Reise überland) und Figurengestaltung (der Graf von Sayn als maskierte, monsterähnliche Gestalt, Conrad als Fechtmeister), ebenso aber auch narrativen und dramaturgischen Elementen greifbar. Darüber hinaus gibt es Bezüge zu elektronischen Spielen (e-games): So hat die Reise von Conrad und Elisabeth die Züge einer Quest, die in einzelne Missionen aufgeteilt ist und bei der versteckte Gegenstände gefunden und Rätsel gelöst werden müssen, um auf dem weiteren Weg zur Erfüllung dieser Quest voranzukommen und die jeweils nächste Station zu entdecken. Insgesamt ist die Erzählung ein Verschwörungs-Thriller im Gewand eines historischen Abenteuerromans und hat damit auch Bezüge zu eben diesem Genre im Bereich Literatur. Dramentheoretisch besitzt die Erzählung sowohl Elemente des offenen, wie des geschlossenen Dramas. So wird die Handlung wie im offenen Drama in Szenen und Sequenzen erzählt, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten spielen, und finden dabei gemäß dem Prinzip der Zeitraffung auch Sprünge statt. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung wird zudem durch Rückblenden unterbrochen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Nebenfiguren, die nur einmal auftreten, sowie eine Reihe einander überkreuzender Handlungsstränge, die sich zudem nicht präzise in Haupthandlung und Nebenhandlungen unterscheiden lassen. Auch wenn die Quest von Conrad und Elisabeth einen besonders zentralen Erzählstrang bildet, so haben doch beispielsweise die Bestrebungen der Templer und die Unternehmungen des Grafen von Sayn mit Bischof Uther und der Horde, die neben Conrads und Elisabeths Quest und auf weite Strecken ohne Bezug zu dieser verfolgt werden, gleichfalls zentrales Gewicht und damit den Status von Haupthandlungen. Dem offenen Drama entspricht außerdem der übergangslose Sprung in die Handlung in den Eröffnungsseiten der Bände. Dabei liegt der größte Teil der Handlung jeweils bereits in der (nicht gezeigten oder dem vorangehenden Band zugehörigen) Vergangenheit und die Handlung strebt gerade ihrem abschließenden Höhepunkt entgegen – in der Regel der Katastrophe. Die Bände setzen so also interessanterweise mit Schlüssen ein: Im ersten Band ist dies das Ende von Conrads Karriere als Inquisitor, sein Scheitern am Grafen von Sayn und die Verurteilung Conrads im Prozess der Kirche gegen ihn. Dieser Schluss ist offen gestaltet – Conrad scheint von einer dunklen Gestalt entweder befreit oder getötet zu werden. Im zweiten Band ist es das Ende des Agenten Steiners in der Folter – das Agentenabenteuer ist bereits vorüber und der Gefolterte kommt zu Tode. Auch hier ist der gezeigte Schluss offen, denn über den entkommenen zweiten Agenten, Trevor, erfährt man in dieser einführenden Szene nichts; dies folgt erst mit der neuen Eröffnung der dann kontinuierlichen Erzählung in Toledo in der nächsten Szene. Im dritten Band liefert die Eröffnung nun den Schluss des Prozesses Conrads nach und zeigt, dass dieser vom Grafen von Sayn gerettet wurde. Auch hier ist dieser eröffnende Schluss einer vorangegangenen Geschichte offen gestaltet: Das Handeln des Grafen von Sayn bleibt rätselhaft und die Verbindung mit Conrad im Dunkel. Im vierten Band eröffnet die Splash-Page-Doppelseite mit Elisabeths Untergehen in den Fluten und einer unklaren Gestalt, die ihr nachtaucht und sie gegebenenfalls rettet. Wer diese Gestalt ist und was danach folgt, bleibt wiederum offen– erst die nächste Szene mit zeitlicher Distanz zur Eröffnung zeigt, dass Elisabeth lebt, jedoch nicht, wer ihr Retter war. „Le Troisième Testament“ reproduziert in dieser dramaturgischen Formalstruktur zugleich ein zentrales Motiv der Erzählung, nämlich den Untergang bzw. das Ende. Dieses Motiv erscheint als das drohende Ende aller Dinge, als bevorstehende apokalyptische Vernichtung der Welt schlechthin, die deshalb auch die erzählte Zeit als eine Zeit des Endes, als Endzeit, erscheinen lässt. Was mit Beginn der erzählten Zeit anhebt, ist mithin der Anbruch dieses Endes, der Weg dorthin, so wie auch der Beginn der Erzählung zugleich die Eröffnung des unausweichlichen Weges zu ihrem Schluss darstellt. Da es hier jedoch um das Thema eines endgültigen Schlusses geht, wird dies kunstvoll in der Voranstellung von einführenden katastrophischen Schlüssen zu Beginn der Bände auch in der dramaturgischen Formalstruktur exponiert. Wie zu sehen sein wird, bedingt die Abwendung der Apokalypse durch Elisabeth dann zugleich die Umwendung des endgültigen Endes in – lediglich – das Ende einer Epoche, auf die eine neue folgt. Auch dies kann man in den Kunstgriffen, die Bände mit Schlüssen zu beginnen, formalstrukturell reproduziert sehen, folgt doch auf diese eröffnenden Schlüsse jeweils eine weitere Szene, mit der eine neue kontinuierliche Handlung anhebt. Ohne diese Beobachtung überdehnen zu wollen, kann man in der damit gegebenen offenen Dramenstruktur gleichfalls nochmals einen strukturellen Bezug zur Thematik der Erzählung sehen – tatsächlich nämlich führen auch der Epochenwechsel und die Quest Elisabeths ins Offene, eröffnen sie spezifische Offenheiten. (Die Technik, mit eröffnenden Schlüssen zu arbeiten, findet sich außerhalb der Comics zuvorfreilich bereits im Film, etwa in dem James-Bond-Film „Diamonds are forever“; der Italowestern „Il Mercenario“ erhebt es gar zum Bauplan eines ganzen Films. Lediglich im zweiten Fall aber ist dieser formalstrukturelle Kunstgriff auch mit der Thematik verbunden.) Daneben stehen jedoch gleichfalls Elemente des geschlossenen Dramas. So enthält etwa der erste Band zumindest auch eine beinahe schon klassische Exposition, in der mit Conrad, Elisabeth, dem Grafen von Sayn und der Horde sowie dem noch ungenannt bleibenden Herrn der Templer, Guillaume, die wichtigsten Figuren eingeführt und in den Gesprächen zwischen Conrad und Bischof Charles von Elsenor sowie zwischen dem Bischof und Elisabeth die thematischen Leitmotive benannt werden. Gleichzeitig wird Conrads Vorgeschichte expliziert und die Verbindung mit dem Grafen von Sayn zumindest angedeutet. Zusammengenommen bilden zudem jeweils die ersten Szenen der Folgebände so etwas wie kleine Expositionen, mit denen dann auch neue Figuren und erweiternde Themen präsentiert werden. So erscheinen beispielsweise im zweiten Band Trevor, der fortan das Heldenduo zum Trio erweitern wird, und Steiner als eine der wichtigsten Nebenfiguren auf der Seite der Protagonisten. In der Verbindung der ersten und zweiten Szene gibt es dabei beinaheso etwas wie eine Personenkette, wenn in der Folterszene der Name Trevors– und auch Steiners – bereits genannt wird und in der folgenden Straßenszen ein Toledo Trevor dann im Bild erscheint; gleichzeitig ergibt sich auf diese Weise eine Verbindung zur dritten Szene bzw. Sequenz, wo Steiner dann selbst auftritt. Auch Spiel und Gegenspiel lassen sich bis zu einem gewissen Grad ausmachen, wenn in Band 1 und 2 die Handlungsführung deutlich bei Conrad und Elisabeth liegt, während in Band 3 dann allmählich der Graf von Sayn, Bischof Uther, die Horde und die Templer in Führung gehen.Im Großen und Ganzen lässt sich außerdem die dramaturgische Kurve der Fünf-Akte-Struktur wiederentdecken. So bietet die Exposition in Band 1 bis zum Auftreten von Guillaume die Einführung; gegebenenfalls kann man auch den ganzen ersten Band als solche verstehen. Im zweiten und dritten Band erfährt die Handlung dann ihre Steigerung, um mit der ersten Dekodierung des siebten Rätsels in Band 3 ihren Höhepunkt zu erreichen. Mit der Aufspaltung des Heldentrios in Band 3, als Trevor und Conrad das Lager verlassen, Trevor den Verrat an die Templer begeht, Conrad sich in deren Gefangenschaft begibt und Elisabeth in die Fluten stürzt, setzt der Fall bzw. die Umkehr ein. Hierauf folgt in Band 4 schließlich die Katastrophe bzw. Lösung. Sucht man mit Blick auf die etwa von Syd Field entwickelte dramaturgische Theorie des Spielfilms (die diesen in erster Linie nach dem Muster des geschlossenen Dramas strukturiert) nach einer Drei-Akte-Struktur mit zwei Plot Points (Wendepunkten), so ist der Abschluss des ersten Akts mit dem Ende der Exposition und der Abschluss des zweiten Akts mit dem Aufbruch Elisabeths und der Templer sowie Conrads und des Grafen von Sayn in den hohen Norden zu setzen. Den ersten Plot Point bildet dann die Kreuzigung des Bischofs Charles von Elsenor, die Conrad und Elisabeth ins Abenteuer ruft und zu Gefährten macht. Der zweite Plot Point liegt in diesem Fall in der Antiklimax am Ende des dritten Bandes, in der die Gefährten zerstreut bzw. einander entzweit sind und die Quest gescheitert scheint. Diese Struktur wird allerdings bis zu einem gewissen Grad auch gebrochen durch die Aufteilung der Handlung in vier Bände, die in sich strukturierte Einheitenbilden sollen. Dies zeigt sich nicht nur in der Vierzahl, sondern auch inder Titelgebung: So sind die vier Bände nach den vier Evangelisten – bzw.nach drei Evangelisten und dem Verfasser der Offenbarung, der in der Traditionlange mit dem Evangelisten identifiziert wird – benannt und jeweils mit einem Untertitel versehen, der einen thematischen Schwerpunkt jedes Bandes nahe legt. Im ersten Band – „Markus“ – geht es demnach um „Das Erwachendes Löwen“; der zweite Band – „Matthäus“ – stellt „Das Gesicht des Engels“ vor Augen; im dritten Band – „Lukas“ – wird „Der Atem des Stiers“ fühlbar; und dem vierten Band – „Johannes“ – bricht „Der Tag des Raben“ an. Die einheitsstiftende Funktion dieser Titel ist allerdings unterschiedlich stark mit den tatsächlichen Inhalten des jeweiligen Bandes verbunden. Sehr deutlich trifft sie im ersten Band, der das „Erwachen des Löwen“ auch innerhalb des Texts der Dialoge zitiert. Mit dem Aufbruch zur Suche der Reisetagebüche rdes Julius von Samarien enthält der Band auch den Beginn von Conrads Weg zur allmählichen Bewusstwerdung bezüglich der ihm zugedachten Rolle in der metaphysischen Geschichte der Welt. Die Tradition identifiziert den Evangelisten Markus zudem mit einem Apostelschüler und ordnet ihm den Löwen als Symbol zu. Da Conrad später als ferner Nachkomme des Apostels Markus bezeichnet wird, ist der Titel auch in dieser Hinsicht programmatisch. Ebensoverhält es sich beim vierten Band, wenn man mit Johannes den Verfasser der Offenbarung gemeint sieht bzw. der Gleichsetzung dieses Verfassers mit dem Apostel und dem Evangelisten in der Tradition folgt; es geht in diesem Band ja um den Anbruch der Apokalypse. Allerdings erhält Johannes in der Traditionden Adler und nicht einen Raben als Attribut. Die Raben erscheinen im Comic stattdessen als eine Verkörperung des Grafen von Sayn bzw. der Horde. Die damit geschehende Verschiebung vom heroischen Adler zum Raben als Totenvogel oder Unheilsvogel lässt sich jedoch als symbolische Verschiebungbetrachten, die im Zusammenhang mit der Message der Erzählung insgesamt steht. Darüber hinaus spielt die Verwendung des Raben auf den mittelalterlichen Aberglauben und dessen Vermischung mit dem christlichen Glaubenin weiten Teilen der Bevölkerung an. Die Raben und ihre Rolle als andere Seinsweise des Grafen von Sayn als Jesu Bruder und der Horde als 13. StammIsraels stehen so wohl auch für ein magisches Welt- und Wirklichkeitsverständnis, das sich fast ununterscheidbar mit dem Glauben an Gott und dem Verständnis seiner Wirkweisen in der Welt vermengt. Bei Band 2 und 3 sind die Bezüge hingegen loser: So erhält der Evangelist Matthäus als Symbol die Gestalt des Menschen zugeordnet, jedoch mit Engelsflügeln, worauf sich die Titelgebung wohl bezieht. Von der Message her ließe sich dieser ikonographische Verweis insgesamt auf Elisabeth beziehen; doch zeigt sich diese Bedeutung vollständig erst im vierten Band – und damit der Engel sein Gesicht ebenfalls erst dort und nicht schon im zweiten Band. Dem Evangelisten Lukas wiederum ordnet die Tradition als Symbol den Stier zu. Im dritten Band wird der Bezug zum Titel dadurch verankert, dass die Gefährten die Abtei St. Lukas aufsuchen und dort die erste Lösung des siebten Rätsels finden. Eine tiefere thematische Verbindung speziell zwischen Lukas und der Erzählung des dritten Bandes jedoch findet sich nicht. Auch Guillaume, der im vierten Band in der Schlusssequenz vom Grafen mit dem Stier identifiziert wird (IV, 70), enthüllt sich erst im selben Band beim Gespräch mit Conrad als zentraler, mit dem Dritten Testament verbundener Akteur. Gerechtfertigt wird die Titelgebung des dritten Bandes so allenfalls dadurch, dass immerhin die hintergründige Macht Guillaumes bei der Verhaftung der Templerund in den am Ende auftretenden Templerarmeen fühlbar wird, also eben der „Atem des Stiers“. Eine inhaltliche bzw. thematische Verbindung zwischen uillaume und Lukas lässt sich jedoch nicht herstellen. Allerdings verweist die Akzentuierung der symbolischen Attribute der vier Evangelisten in den Titeln der einzelnen Bände mittelbar auch nochmals auf die Apokalypse: So leitet die Tradition die Symbole neben Ez 1,10 sich insbesondere auch aus Offbg 4,7 und damit aus dem apokalyptischen Buch des Neuen Testaments ab. Trotz dieser Aufteilung in vier Bände, bei denen die Titel eine gewisse narrative, dramaturgische und thematische Geschlossenheit insinuieren, trifft diese insgesamt jedoch nicht auf alle Bände gleichermaßen zu. Am weitestgehenden ist dies bei Band 1 und 4 der Fall, insoweit Band 1 sich auch als ganzer als Exposition und Band 4 als Auflösung verstehen lässt. Das Kernstück von Band 2 ist die Handlung in der Bibliothek, während der Aufbruch nach Stornwall und die Handlung dort am Ende einfach unterbrochen und im ersten Teilvon Band 3 fortgeführt und zu Ende gebracht wird. Die Mitte von Band 3 bildet Lösung des Rätsels in St. Lukas, worauf dann die Zerstreuung des Heldentrios und der Weg zur Antiklimax am Ende des Bandes folgt. Der Band ist damit der am wenigsten einheitliche. Obschon die Erzählung so auf vier Teileaufgeteilt ist, übergreift diese Teile letztlich dennoch die genannte Fünf-Akte-Struktur. Die Aufteilung in vier Bände und diese Struktur brechen sich damit wechselseitig. Eindeutiger lässt sich die Aufteilung in vier Bände der dramaturgischen Gesamtstruktur zuordnen, wenn man diese in drei Akte aufteilt und dabei den ganzen ersten Band als Exposition bzw. ersten Akt, den vierten Band als Auflösung bzw. dritten Akt und Band 2 und 3 zusammengenommen als zweiten Akt auffasst. Es bleibt auch in diesem Fall allerdings ein Bruch wahrnehmbar, wenn der zweite Akt mitten in einer Handlungssequenz – dem Eindringen der Gefährten in Stornwall, ihrer Gefangenschaft und ihrem Ausbruch – am Endevon Band 2 unterbrochen wird. Der Bruch wird umso deutlicher als solcher fassbar, als Band 2 mit dem wichtigen Epilog der Papst-Templer-Szene schließt und Band 3 mit dem flashback auf Conrads Prozess einsetzt und erst nach diesen beiden Einschüben die Handlung in Stornwall wieder aufgenommen wird. Darüber hinaus ist es nicht ganz unproblematisch, den ganzen ersten Band als in sich geschlossenen ersten Akt aufzufassen. Tatsächlich liegt die Zäsur zum zweiten Akt deutlich am Ende der Handlungssequenz in Paris und der darauf folgenden Flucht, wenn Conrad und Elisabeth den Ruf ins Abenteuer annehmen und sich als klassisches Duo von Held und Vertrauter zu ihrer Quest aufmachen. Die Handlung unterwegs und bei Prior Honorius steht hingegen in einer deutlichen Verbindung zur im zweiten Band folgenden Sequenzin Toledo, so dass ihre Zuordnung zum ersten Akt und der Toledo-Sequenz zum zweiten Akt etwas willkürlich erscheint. Wenngleich also die Drei-Akte-Struktur besser zu der Aufteilung in vier Bände passt, so bleibt diese Aufteilung jedoch immer noch etwas unorganisch. Weder finden diese Bände in sich wirklich durchwegs zu einer Einheit, noch ist die gesamte dramaturgische Kurve völlig frei von durch diese Aufteilung entstehenden Brüchen.
Thematik und Durchführung
Das Thema, das „Le Troisième Testament“ behandelt, ist durchaus komplex und besteht aus einer Reihe miteinander verzahnter Einzelthemen oder thematischer Aspekte bzw. thematischer Motive. Diese lassen sich in einer Reihevon begrifflichen Gegenüberstellungen vorweg wie folgt benennen: Den Rahmen bildet die Opposition von Transzendenz und Immanenz. Die Erzählung stellt dabei die Frage, welcher Seite der Vorrang gebührt. Durchgeführtwird dies mit dem Gegensatz zwischen der metaphysischen Geschichte derWelt, die in der Sphäre der Transzendenz festgeschrieben erscheint, und der kontingenten Universalgeschichte, die in das Muster der metaphysischen Geschichteeingebettet ist und von diesem her in ihrem grundsätzlichen Ablauf bestimmt zu sein scheint. Der kontingenten Geschichte ist damit insbesondere ihr Ende vorgegeben, das als Apokalypse gemäß einem vorausgehenden Schema der Endzeit mit bestimmten Akteuren und deren vorausdefinierten Rollen eintreten soll. Diesem Rahmen zugeordnet ist daher die Frage nach diesen Rollen und ihrer Besetzung durch konkrete Personen sowie allgemein die Frage nach dem ontologischen und metaphysischen Status des Menschen, seiner Bestimmung, seiner Freiheit und seiner Geschichtsmächtigkeit. Die Erzählung entfaltet hierzu einen hintergründigen geschichtsphilosophischen Diskurs zum Epochenwechsel vom Mittelalter zur Neuzeit. In diesem Setting setzt sich die Erzählung dann mit weiteren thematischen Motiven auseinander. Dabei geht es zunächst einmal um nicht weniger als das Verhältnis von Glaube und Wissen sowie von Glaube und Vernunft, also eine klassische fundamentaltheologische Fragestellung. Diese wird motivisch und topologisch durchgeführt, indem die wechselseitige Infragestellung der Gültigkeit oder Dominanz einer der beiden Begriffe zu einem Leitmotiv der ganzen Erzählung ausgestaltet wird, das in Gesprächen wiederkehrt und wobei die Figuren jeweils einen der Begriffe bzw. Motive verkörpern. Topologisch werden stellenweise bestimmte argumentative Stereotypen – sozusagen loci communes– wirksam. Die Frage nach dem Wissen wird darüber hinaus als Problematik der curiositas ausbuchstabiert, der „theoretischen Neugierde“ (Hans Blumenberg), und dabei zusätzlich in der Opposition von Glaube und erkenntniskonstitutivem Zweifel verhandelt. Die Leitmotivik findet auf diese Weise eine Differenzierung bzw. wird um flankierende Motive ergänzt. Im Rahmen der Differenz von Transzendenz und Immanenz findet sich das Wissen zudem in ein metaphysisches und ein weltliches Wissen auseinander gelegt. Die Oppositionvon Glaube und Wissen kann damit auch als die zwischen metaphysischemund immanentem Wissen reproduziert und motivisch genutzt werden.Gleichzeitig stellt sich die Frage der Position des Menschen so auch in Hinsicht auf das Verhältnis von Menschlichkeit und Transzendenzorientierung.„Le Troisième Testament“ schafft seine Bedeutungen weitgehend figurenzentriert.Die Erzählung entwickelt Geltungsansprüche in Gestalt der von diesen Figuren vorgebrachten Meinungen und Begründungen, deren wechselseitiger Infragestellungen und Durchsetzung. Gleichzeitig werden die Grundpositionen, die oppositionellen Begriffe der thematischen Leitmotivik weitgehend mit Figuren besetzt, so dass jeweils eine Figur eine thematische Position nicht nur im Dialog verbal vertritt, sondern zugleich als ganze mit ihrem Schicksalfür diese Position steht. Der von den Figuren selbst getragene narrationsimmanente Diskurs wird so ergänzt durch das Schicksal der Figuren im Handlungsverlauf, der diese sympathisch oder unsympathisch erscheinen lässt, und die narrative Schlüssigkeit des jeweiligen Schicksals selbst, das dadurch als gerecht oder ungerecht erscheint. Vor allem über Sympathie und Antipathie sowie über den Gesichtspunkt des gerechtfertigten oder ungerechten Schicksals werden Bewertungen eingeführt, mit denen die thematischen Positionen der Figuren gewichtet werden. Daraus ergibt sich ein werkspezifischer Diskurs, der mit der Bejahung der einen und der Verwerfung der anderen Positionin eine Message ausmündet. Daneben findet der narrationsimmanente Diskur seine Ergänzung mit Hilfe von bildhaften Metaphern, Symbolen und metonymischen Bezügen, die durch Örtlichkeiten, Landschaften und Licht bzw. Lichtführung etabliert werden. Der werkimmanente Diskurs und seine Message werden auf diese Weise komplettiert bzw. stellenweise auf dieser Ebene mit Redundanzen versehen, die die Message nochmals unterstreichen. Für die Diskursanalyse gehe ich im Folgenden daher zunächst einmal ebenfalls figurenzentriert vor.
Glaube als Ideologie vs. Menschlichkeit: Conrad von Marburg
Conrad von Marburg wird in der Erzählung zweimal eingeführt, einmal in derProzess-Sequenz, die zu Beginn des ersten Bandes seine Vorgeschichte greifbarwerden lässt, und dann in der erzählten Gegenwart bei seiner Ankunft beiBischof Charles von Elsenor. Die Vorgeschichte zeichnet ihn als unbotmäßigenInquisitor und gibt ihm in dieser Funktion die Bezeichnung „manus dei“,Hand Gottes (I, 5). Die Bezeichnung ist programmatisch: Conrad sieht sich biskurz vor seinem eigenen Tod als ausführendes Organ einer höheren metaphysischenMacht, die allein sein Handeln bestimmt und für dieses verantwortlichist. Sein Denken bewegt sich – wie die Erzählung in ihrem Verlauf zunehmenddeutlich werden lässt – in der Dichotomie von Transzendenz und Immanenz,wobei die Transzendenz eindeutig das Übergewicht bekommt: Sie ist alsSphäre metaphysischer Mächte die eigentliche, wahre substanzielle Wirklichkeit,gegenüber der die immanente und kontingente Realität der Welt und desmenschlichen Lebens in den Status der Uneigentlichkeit, des Akzidentellenund Vorläufigen geraten. Conrad bringt diese Sicht der Realität und seiner eigenenRolle schon früh zum Ausdruck, wenn er im ersten Band zu Beginn desAufbruchs ins Abenteuer auf Elisabeths Anfrage an seine frühere Inquisitorentätigkeitentgegnet: „Ich habe niemals Menschen angegriffen, junge Dame…Es ist an Gott, zu entscheiden, nicht an mir… Ich jagte nur das Böse, das ihrBild annahm.“ (I, 30) Unverblümt macht er so deutlich, dass die betroffenenMenschen für ihn lediglich eine Art zeitliche Hülle, eine bloße Maske der metaphysischenbösen Macht darstellen und er sich selbst lediglich in exekutiverFunktion eines in seiner Richtung und Gestalt höheren Orts entschiedenenkämpferischen Handelns sieht. Entsprechend spielen sich für Conrad allewirklichen und wesentlichen Ereignisse in der metaphysischen Sphäre ab, inder personifizierte Mächte – Gott, Teufel, gute und böse Engel bzw. Dämonen– agieren sowie substanzielle Ideen von Wahr und Falsch, von Gut und Böseexistieren, die wie gegenläufige Gravitationszentren die Realität zwischen sichhin und her zerren. Elisabeths Außencharakterisierung, die als ihre eigene Reflexionin ihren Memoiren an dieser Stelle eingebracht wird, stellt deshalb dieFrage, ob ein Wesen wie Conrad „sich überhaupt für irgendjemanden interessierenkönne… außer für Gott“ (I, 30), ob also Conrad die kontingente undimmanente Realität der Menschen und ihres konkreten Lebens angesichts derTranszendenz und der metaphysischen Mächte ernst zu nehmen vermag. DieFrage ist dabei durchaus rhetorisch – für Elisabeth steht an dieser Stelle fest,dass sie verneinend zu beantworten sein muss. Conrad kann es mithin im Angesichtder transzendenten Mächte nur darum gehen, sich auf die Seite Gottesund der guten metaphysischen Mächte zu schlagen, um an deren Seite bzw. alsderen kontingentes, immanentes Agens gegen die kontingente Verkörperungbzw. immanente Repräsentanz der bösen metaphysischen Mächte zu kämpfen.Mit dieser Sichtweise steht Conrad insgesamt für das Motiv des Glaubensals Ideologie. Conrads Glaube ist dabei geradezu klassisch ideologisch: Er gibtder ideellen Realität der metaphysischen Vorstellungen und Ideen einen Vorzug,demgegenüber die kontingente, immanente Realität, die Wirklichkeit derkonkreten materiellen Welt und der konkreten Menschen, ihrer Beziehungenund Daseinsverhältnisse sekundär, als Abschattung, ´in Wahrheit´ von der ideellenRealität bestimmt und bewegt erscheinen – und so entwirklicht undentwertet werden. Auf diese Weise schottet sich dieser Glaube zugleich gegenüberjeglicher Kritik ab, die von dieser Kontingenz und Immanenz ausformuliert ist, und bleibt dieser gegenüber prinzipiell ´dogmatisch´ (also in derWeise ideologisch, wie in der Aufklärungszeit Ideologie bestimmt wird). EineVermittlung zwischen der Lebenswirklichkeit der Menschen bzw. der Kontingenzund Immanenz der Welt und der Sphäre der Transzendenz und Metaphysikerscheint nicht möglich, jedenfalls nicht in einer Weise, die die metaphysischenVorstellungen durch die immanenten und kontingenten Gegebenheitenbetreffbar machen und den menschlichen Realitäten eine Relevanz für dietranszendenten und metaphysischen Ideen, für die Inhalte des Glaubens zugestehenwürde. Zu diesen Inhalten gehört zudem der Glaube an eine metaphysischeGeschichte: Diese besteht zunächst einmal in eben diesem Kampf zwischenden metaphysischen Mächten, zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel,ein Kampf, der sich auch in der immanenten Wirklichkeit abbildet bzw. auchdort ausgefochten wird. In seiner Inquisitorenrolle erhält Conrad durch dieseGeschichte seinen Ort in der universalhistorischen Realität; seine Identität bestimmtsich als konkrete, geschichtliche Funktion, deren Bewegungsgesetz jedochin der Transzendenz festgeschrieben ist: Dieses Gesetz ist nichts anderesals die Auseinandersetzung zwischen den metaphysischen transzendentenMächten, die sich in der Zeitlichkeit als Kampf zwischen Glaubenswächternund Ketzern niederschlägt. Der absolute Vorrang der Transzendenz und dieAbwertung der Immanenz bedingt jedoch auch noch ein zweites geschichtlichesMoment: Letztendlich muss sich der Vorrang der Transzendenz irgendwanndurchsetzen – und bedeutet dann die Nichtung der Immanenz, das Endeder Geschichte. Daraus erhält der ideologische Glaube dieses Zuschnitts einapokalyptisches Gepräge, das sich auch inhaltlich ausformulieren muss. DieseKonsequenz seines ideologischen Glaubens scheint Conrad als Inquisitor nichtbewusst zu sein; er wird in der Erzählung jedoch gerade damit zunehmendkonfrontiert (s.u.).Die Konfiguration des Glaubens als Ideologie bedingt von Anfang an ConradsVerhältnis zur Kirche, das in der Vorgeschichte verdeutlicht wird. DaConrad sich als Handlanger Gottes versteht, kann er sich in seiner Rolle alsInquisitor nur solange zugleich in kirchlichem Auftrag sehen, wie die Kircheselbst sich gleichfalls als ausführendes Organ dieses Gottes betrachtet und benimmt.Ein weltliches Machtstreben der Kirche und in diesem Zusammenhangihre Verbindung mit weltlichen Mächten hingegen kann für Conrad keine Rollespielen oder bleibt zumindest ausgesprochen sekundär und allenfalls funktionalfür den metaphysischen Auftrag. In dem Moment, in dem das kontingenteMachtstreben der Kirche in Widerspruch zu Conrads Vorstellungen von dentranszendenten Intentionen der guten metaphysischen Macht gerät, muss Conradselbst in Widerspruch zur Kirche treten. Das geschieht in der Auseinandersetzungum den Grafen von Sayn: Die Worte des kirchlichen Anklägerslassen deutlich werden, dass die Kirche den Grafen, der „für seine Demut undFreigiebigkeit gegenüber der Kirche bekannt“ sei, zumindest auch aus rechtweltlichen Vorteilserwägungen heraus unterstützt (I, 4). Conrad bezeichnetdas kirchliche Tribunal daher kurz darauf selbst als korrupt und erkennt esnicht an (I, 5). Bemüht wird damit ein bekanntes Stereotyp, nämlich ein unterdem Deckmantel des Glaubens betriebenes weltliches Machtstreben der Kirche,das durch den hoch affektiven Habitus des vor Wut schäumenden Anklägersfigurentypologisch unterstrichen wird. In der Regel dient dieses Stereotypdazu, die davon kontrastiv abgesetzte Person als integer, weil idealistisch motivierterscheinen zu lassen. Auch hier schwingt diese erzählerische Intentiondurchaus mit, doch spricht der Ankläger gleichzeitig davon, dass Conrad ein„Massaker an zehn unschuldigen Männern, Frauen und Kindern“ zu verantwortenhabe (I, 4), so dass Conrad durchaus ambivalent erscheint. Hintergründigführt die Vorgeschichte an dieser Stelle deshalb bereits die spezifisch ideologischeKonfiguration von Conrads Glauben und das von diesem bedingteVerhältnis zur Kirche ein. Zu diesem Verhältnis fügt sich später im Gesprächzwischen Bischof Charles von Elsenor und Conrad die Referenz auf die Kirchenreform,die hier wie ein gemeinsames Anliegen genannt wird (I, 17).Conrad kann sich zu dieser Reform affirmativ verhalten, insoweit diese diegeistliche Sendung der Kirche und die spirituelle Dimension gegenüber Verweltlichungstendenzenauch in konkreten Strukturen und Regeln wieder (stärker)zur Durchsetzung zu bringen versucht. Sie kann Conrad also kongenial zuseiner – allerdings ideologischen – Überhöhung der Transzendenz gegenüberder Immanenz erscheinen.Mit der zweiten Einführung Conrads in der erzählten Gegenwart wird Conraddann als spezifischer Figurentypus gezeichnet: Elisabeths Memoiren charakterisierenConrad in Gestalt von Captions nun als loner, der „einsam undunerbittlich“ sei und „die tiefsten Qualen in sich zu vereinen“ scheint (I, 12).Conrad wird dabei im Bild gezeigt, wie er über die Berge reitet, allein mit sichund der schroffen Natur unter dem dramatischen Himmel. Bischof Charlesvon Elsenor verdeutlicht darauf hin, dass Conrad zu den „treuesten Dienernder Kirche“ und „brilliantesten Theologen“ gehört habe, „bekannt für seine Intelligenzund seine Interpretation der Heiligen Schrift“, auch wenn diese„recht ungewöhnlich“ gewesen sei (I, 14). Er sei ein „integerer Mann“, der„beharrlich gegen seine Vorgesetzten“ gekämpft habe und von diesen „unerbittlich“bestraft worden sei (I, 14). Daher verdanke er sein Leben und seinegegenwärtige Existenz nur der Tatsache, dass niemand von ihm weiß (I, 14);er gehöre entsprechend zu den Menschen, „deren Geschichte für immer imDunkeln bleiben soll, weil jegliche Enthüllung […] für ihn“ und diejenigen,die davon wissen, „gefährlich sein würde“ (I, 13). Als Conrad daraufhin in derTür erscheint, unterstreicht er als erstes seine Freundschaft mit dem Bischof„die die Zeit nicht auslöschen kann“ (I, 14). Die folgenden Panels zeigen seinGesicht, wie er im folgenden Gespräch mit dem Bischof seinen Dolch poliert,sein Gewand und seine Haartracht. In der Prozess-Sequenz hatte Conrad nocheinen dunklen Bart, der den Mund umrahmt, sowie lange offene Haare und dieTracht eines Edelmanns mit Handschuhen. Nun sind Bart und Haare weiß,sein grau-schwarzes Gewand ist schlicht und hat mönchisches Gepräge. SeineHaare sind nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz gebunden.Conrad tritt damit als ein durchaus bekannter Figurentypus vor Augen. Erist ein Einzelgänger, der seine Position in der Gesellschaft verloren hat, obwohler zu deren Führungsschicht gehörte. Vergleichbar ist er mit dem Ronin,dem japanischen Samurai, der seinen Herrn verloren hat und damit auch ausdem Norm- und Regelgerüst gefallen ist, das einst seine Identität und Existenzberechtigungausmachte. Er verdankt seine Integrität, seinen Lebenssinnund die Legitimität seines Daseins nur noch sich selbst, obschon dies in derGesellschaft, zu der er einst gehörte, so nicht vorgesehen ist. Tatsächlich istdie mittelalterliche Gesellschaft in dieser Hinsicht der japanischen ein Stückweit vergleichbar: Zumindest idealiter gehorcht sie einer Ordnung, die vorgezeichnetund letztlich metaphysisch verankert ist und in der jeder seinen Platzschon präformiert findet. Aus diesem auch kirchlich verbürgten ordo ist Conradgefallen. Wie der Ronin gezwungen ist, die einst externen, institutionellenRegeln nun in sich selbst zu verankern, ihre Gültigkeit für sich selbst zu gewinnen,so muss auch Conrad dies nun allein leisten. Aufrecht dem Bischofgegenüber sitzend verkörpert Conrad dies in seinem ganzen Habitus: Mit demschlichten, dunklen mönchischen Gewand, das jedoch keine Ordenstracht ist,den zurückgebundenen Haaren, die keine Tonsur sind, und dem Dolch in derRechten sowie der aristokratischen Haltung, die Selbstsicherheit ausdrücken.Und wie der Ronin dabei gleichwohl ein Mann des Schwertes bleibt, so verweistauch das Polieren des Dolches darauf, dass die Gewalt Conrad begleitetund er sich seiner Haut zu wehren weiß. Gegenüber der Vorgeschichte, demProzess, erscheint Conrad jedoch nun abgeklärter, weniger impulsiv, wenigeraffektiv getrieben. Er scheint aus seiner losgelösten, nur in sich selbst verankertenPosition auch Stabilität zu schöpfen und eine gewisse Klugheit – wennschon nicht Weisheit – auszustrahlen. In diese Richtung zielt auch die Beschreibungdes Bischofs, die Conrad als Theologen, als intellektuell hochstehendePersönlichkeit zeichnet und ihm zugleich Integrität zuschreibt, eine Integrität,die gegen die institutionellen Strukturen profiliert wird. Dies allerdingsentspricht bereits in der Vorgeschichte Conrads ideologischem Glauben.So gesehen war Conrad daher auch schon als Inquisitor und damit als Vertreterder Institution Kirche, also trotz seiner Verankerung im ordo und der darausgewonnenen Identität, ein Ronin. Oder anderes gesprochen: Er ist ein Roningegenüber der Kirche und dem ordo, keiner hingegen gegenüber Gott, dersein eigentlicher Herr ist. Der Figurentypus des Ronin wird also benutzt undzugleich zu Gunsten des Motivs des ideologischen Glaubens modifiziert.Das Motiv des ideologischen Glaubens macht zusammen mit Conradgleichwohl eine Entwicklung durch. Zu Beginn, in der Vorgeschichte, wirdConrad als Inquisitor eingeführt und sein Glaube als Inquisitoren-Glaube mitfanatischen Zügen gezeichnet. Das Moment des Fanatismus tritt einerseits indem Verweis des Anklägers auf das genannte Massaker auf, zum anderen wirdes bildlich präsentiert, wenn Conrad als impulsiv und ebenfalls vor Zornschäumend dargestellt wird (I, 5); obwohl er sich nicht befreien lassen will,greift er zudem den Ankläger an und würgt ihn mit der Kette (I, 6f), zeigt sichalso durchaus gewalttätig. In der gesamten Szenerie herrschen Rottöne vor,die diese Emotionalität unterstreichen. Als Conrad dann nach der Flucht ausParis zusammen mit Elisabeth den Ruf ins Abenteuer annimmt und beide sichzu ihrer Quest aufmachen, versucht Conrad an seinen ideologischen Inquisitorenglaubenund auch an seine Inquisitorenrolle wieder anzuknüpfen. Währendihres Gesprächs hat Bischof Charles von Elsenor Conrad den Inquisitorenringangeboten; Conrad hat dies jedoch abgelehnt, da er nie wieder für die Inquisitionarbeiten wolle (I, 17). Nun jedoch steckt er sich diesen Ring an und übernimmtdamit nicht nur den Auftrag des Bischofs, sondern auch seine alte Rolle:Er erinnert sich an seinen Schwur, als Inquisitor „erwählt von der Ewigkeit,[…] das Böse zu bekämpfen“ und so als „Hand Gottes“ tätig zu sein (I, 26).Conrad versichert sich also seiner ursprünglichen Identität, obwohl er durchseinen Prozess offiziell sein Inquisitorenamt verloren hat. Gleichzeitig versuchter damit, das Abenteuer gewissermaßen mit Rekurs auf gewohnte Musterzu bestehen und ein Stück weit in seine gewohnte Welt zurückzukehren. Sobenutzt er im zweiten Band den Ring, um zu Gerhard Steiner vorzudringen(und verlässt sich dabei darauf, nach 20 Jahren nicht als Person wiedererkannt,sondern lediglich als Amtsträger wahrgenommen zu werden; II, 9). Im selbenBand greift er auf seine alten Ressourcen zurück, wenn er sich Steiners Hilfeversichert und so seine alten Verbindungen nutzt sowie in die geheime Bibliothekeindringen will, an deren Einrichtung er als Inquisitor mitgewirkt und dieer in dieser Funktion früher genutzt zu haben scheint (II, 10-14, 16-21). Conradagiert in diesen Passagen souverän, stark und führend; er wirkt selbstsicherund hat gegenüber Elisabeth die Position des Mentors. Sein ideologischerGlaube stärkt ihm den Rücken und scheint ihm zudem hinreichend Orientierungzu bieten.Gleichwohl ist Conrad offiziell kein Inquisitor mehr und fehlt die Verankerungseines Tuns in den institutionellen Strukturen der Kirche. Er ist bereitsein Ronin; sein ideologischer Glaube hat nun gegenüber der Kirche nicht nurdie primäre Position, sondern ist von dieser endgültig abgelöst und Conrad besitztdaher letztlich keine Rückbindung an deren Glaubensgemeinschaft mehr.Er kann sich jetzt nur noch auf die ideologische Gestalt seines Glaubens beziehenund muss dessen Stabilität aus diesem selbst gewinnen. Zusammen mitdem Gegensatz zur Kirche, in den Conrad durch seinen Prozess geraten ist,führt dies zu einer zweiten Phase, in der Conrads ideologischer Glaube seineStütze gerade auch aus diesem Gegensatz zu gewinnen versucht und zum abtrünnigensowie zum verschwörungstheoretischen Glauben wird. Dies geschiehtvor allem in der Bibliothek. Dort entnimmt Conrad der Bibel nun mitden Mitteln des Codelesens eine alternative Wahrheit und schlägt sich auf dieSeite der Apokryphen, die er kundig exegetisiert und zum Beleg dieser alternativenWahrheit heranzieht (II, 20f). Die letztgenannten erhalten dadurch eineder offiziellen Heiligen Schrift überlegene Autorität. Das von der Kircheund Conrad selbst in seiner früheren Inquisitorenrolle als gefährlich erachtetearkane Sonderwissen der Bibliothek, das die normale Glaubensgemeinschaftgerade nicht teilt, gerät zur autoritativen Quelle des Wahren. Auch der Fakten-Realismus der Verschwörungstheorie kehrt an dieser Stelle wieder: „Die Legendevon Julius ist nur eine Parabel… Die Fakten sind hier!!“ (II, 21) Inszeniertist die Passage geradezu klassisch als die Enthüllungsrede jenes Wissenden,der durch seine eigenen außeralltäglichen Kenntnisse allmählich zum believereiner Verschwörungstheorie wird. (Denselben Kunstgriff nutzt späterDan Brown in „Da Vinci Code“; besonders deutlich wird er in der Verfilmungin der Teabing-Sequenz.)Allerdings führt das hier nicht zu einer bloß immanenten Erkenntnis odergar gemäß dem Immanentismus der Verschwörungstheorie zu einer Entlarvungder rein immanenten Bedeutung vorgeblich metaphysischer Größen.Vielmehr dient das Faktenwissen hier der Auffindung eines in Wahrheit transzendentenGegenstandes, nämlich der „Worte Gottes“, des Dritten Testaments(II, 21). Diese Worte werden ausdrücklich als „nicht die vom Menschen interpretierten,sondern die ursprünglichen Worte, aus denen alles hervorging“ apostrophiert(II, 21) und so in ihrem transzendenten Charakter bekräftigt.Auch die Bildlichkeit bringt dies zum Ausdruck: Conrad steht bei diesen Wortenauf einem Felsen wie auf einer Bergspitze; die von oben strahlende Lichtsäulegemahnt an göttliche Erleuchtung, so dass die Szenerie Assoziationen anMoses und die Sinai-Offenbarung weckt (II, 21). Die verschwörungstheoretischeTopologie wird also dazu genutzt, Conrads Festhalten an seinem aufTranszendenz gerichteten Glauben mit seiner neuen Rolle als Außenseiter, alsRonin, zu vermitteln. Gleichzeitig verdeutlicht diese Phase des abtrünnigen,verschwörungstheoretischen Glaubens, dass der losgelöste, sich nur auf sichselbst beziehende ideologische Glaube gewissermaßen endgültig wild gewordenist. Er verliert sich nicht nur an die Transzendenz zum Schaden der Immanenzund des menschlichen Lebens, wie der ideologische Glaube des Inquisitors,sondern er verliert sich jetzt an jegliche Transzendenz, die ihm irgendwelchePlausibilitäten zu bieten scheint, und seien es die des abstrusen Sonderwissenseiner Verschwörungstheorie. Obwohl Conrad an seinem GlaubenHalt zu gewinnen sucht, gerät er jetzt zunehmend in die Haltlosigkeit, bis erauch der Apokalyptik des Grafen von Sayn nichts mehr entgegenzusetzen hat.Dies ist die dritte Phase der Entwicklung, die mit Conrads zunehmenderund gleichzeitig krisenhafter Bewusstwerdung im dritten Band einsetzt, um imvierten Band vollständig durchgeführt zu werden. Dabei versucht Conrad jedochzunächst immer wieder, in stets neuen Anläufen seinen ideologischenGlauben gegen den Grafen von Sayn und die ihm von diesem zugedachte metaphysisch-universalhistorische Rolle in Stellung zu bringen. Schon zu Beginndes dritten Bandes, als Conrad erkennt, dass er seine Rettung bei seinem Prozessdem Grafen von Sayn verdankt, etikettiert er diesen dennoch als „Dämon“und damit als den metaphysisch bestimmten Feind, den es zu bekämpfenund zu „zerstören“ gilt (II, 5). Nachdrücklich versucht er, sich der (vorerstnoch unklaren) Rolle zu verweigern, die ihm durch seine Verbindung mit demGrafen zugedacht zu sein scheint. Als ihn Elisabeth auf seine mit dieser Verbindunggegebene Beziehung zum Dritten Testament befragt, bemüht er sichenergisch darum, diese Rolle oder zumindest seine Bestimmung zu dieser Rollein Abrede zu stellen und sich als nachhaltiger Gegner des Grafen zu zeichnen:Schon als Inquisitor habe er „das Böse in ihm“ wahrgenommen, dochstand er „dem Dämon allein gegenüber“ und musste daher unterliegen (II, 6).Jetzt gehe es darum, das „einzige Mittel“ zu finden, mit dem der Graf „zu treffen“ist – das Manuskript des Julius von Samarien (II, 6). Conrad interpretiertso seine Niederlage bei seinem Prozess als durch die Übermacht des Bösenverursacht und unterstreicht dabei seine durchweg und bis zur Gegenwart anhaltendeEntschlossenheit, den Grafen zu bekämpfen. Damit bemüht er sichgleichzeitig, seine Bestimmung gerade in dieser Gegnerschaft und diesemKampf zu sehen – also einerseits den Grafen im Muster seines ideologischenGlaubens als die zeitliche Erscheinung der metaphysischen bösen Macht zukategorisieren und andererseits sich selbst wieder im Setting des metaphysischenKampfes zu situieren. Zusammen damit nimmt der zugleich seine alteRolle als Inquisitor wieder auf. Beides, der metaphysische Kampf und die Inquisitorenrolle,motiviert daher dann auch Conrads Entschluss, das Manuskriptin Stornwall dem Feuer zu übergeben. Conrad erfüllt damit letztlichauch den Auftrag der Kirche an Prior Honorius, das Manuskript zu vernichten.Die Kenntnisnahme von der Lösung der ersten sechs Rätsel geschieht hingegenunfreiwillig. Auch die anschließende Reise nach St. Lukas soll eigentlichdazu dienen, die Auffindung des Dritten Testaments durch den Grafen und dieHorde zu verhindern. Weil die Horde den Gefährten bereits zuvor gekommenist, bemüht sich Conrad nun um die Lösung des siebten Rätsels, um den Grafenund die Horde zumindest bei der Auffindung des Dritten Testaments zuüberholen.Die Rolle als Inquisitor ist es auch, in die Conrad sich geradezu flüchtet, alssein ideologischer Glaube in der Konfrontation mit dem Prior Uthers in derverfallenen Kirche massiv in die Krise gerät: Vor flammendem Hintergrundbedroht Conrad den Prior mit dem Schwert und fordert ihn auf, dem Grafenvon Sayn abzuschwören und Christus als seinen Herrn anzuerkennen (III, 45).Die Inquisitorenrolle genügt jedoch nicht mehr, um diese Krise zu bewältigen.Als der Prior Conrad dessen metaphysische Bestimmung zu eröffnen beginnt,gibt die Vorstellung, als Inquisitor der irdische Arm Gottes im Kampf gegendie irdische Verkörperung des metaphysisch Bösen zu sein, keinen ausreichendenHalt mehr. Conrad sieht sich jetzt hingegen in einer bislang unbekanntenUnmittelbarkeit in den metaphysischen Kampf verstrickt und musssich, wenn er im Muster seines ideologischen Glaubens bleiben will, deshalbnun selbst als Gestalt von metaphysischer Qualität interpretieren. Dazu überhöhter sich in zwei Schritten zu einer Christus analogen Gestalt: Als der PriorElisabeth in seiner Gewalt hat, bedroht Conrad sich selbst mit dem Dolch undbeginnt damit, sich die Waffe in die Seite zu stoßen (III, 47). Der Anklang anJesus am Kreuz ist mehr als deutlich – Conrad droht mit dem Selbstopfer, dasden Plan des Grafen von Sayn zum Scheitern bringen würde. Nach dem Toddes Priors übergibt er den Dolch an Elisabeth mit dem Auftrag, den Grafen zutöten. Er bezeichnet den Grafen dabei als „Antichristen“ und als unmittelbarmetaphysische Macht – „jene, die wir bekämpfen, sind keine Menschen“ –,und sich selbst in einem erneuten Akt des Widerstands als „die Hand Gottes“,die den Grafen daran „hindert, das Buch der Apokalypse zu öffnen“ (III, 49).Nun jedoch sieht er sich sterbend und damit scheitern; wiederum mit einerSelbstüberhöhung zur Christus ähnlichen Gestalt setzt er deshalb dazu an, Jesuletzte Worte aus dem Markus- und dem Matthäusevangelium zu zitieren: „Eli,Eli lema sabachtani – mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“(Mk 15,34; Mt 27,46). Er wird freilich von Elisabeth daran gehindert, die ihnnicht sterben lassen will und ihn zum Widerstand gegen den Tod aufruft (III,49). So bleibt ihm zunächst am Ende des dritten Bandes nur der Weg vorbeian Trevor, der seinen Lohn für den Verrat von den Templern entgegennimmtwie Judas die 30 Silberlinge, und der kampflose Gang in die Gefangenschaft(III, 51f), wie sich Jesus kampflos gefangen gibt (Mk 14, 43-52; Mt 26, 47-56;Lk 22, 47-53; Joh 18,1-11).Im vierten Band befindet sich Conrad vor Guillaume wie Jesus vor Pilatus –und wie dieser auf keine Fragen antwortet (Mt 27,14), schweigt auch Conrad.Dadurch schlägt er zugleich das Angebot Guillaumes aus, mit ihm zusammendas Dritte Testament zu suchen und für die Errichtung einer neuen kirchlichenMacht und zum Kampf gegen die Ketzer zu nutzen (IV, 22). Man kann darinzugleich eine Parallele zur Versuchung Jesu durch den Satan sehen, bei der Jesusirdische Macht angeboten wird (Mt 4, 8-10; Lk 4,5-8); zentral ist jedoch,dass Conrad an dieser Stelle letztlich seine Inquisitorenrolle aufgibt. Sie istnicht mehr wichtig – der metaphysische Kampf hat Dimensionen angenommen,die weit über den Kampf gegen die Ketzer hinausgeht und Conrad selbstversteht sich nun dezidiert als gleichfalls metaphysische Gestalt. Figurativ zugespitztwird das nun damit, dass Conrad im vierten Band durchgängig dieweißen Haare offen trägt und einen Vollbart hat, also auch ikonographischnun eine Christusgestalt darstellt. Nach der Befreiung durch Steiner aus derFolterkammer der Templer nimmt er dann den metaphysischen Kampf wiederauf und sucht die Konfrontation mit dem Grafen von Sayn. Und nun gerät seinWiderstand ins Rutschen. Nachdem ihm Uther eröffnet, wer der Graf ist, folgtConrad dem Hordenmitglied, das bei Uther steht (IV, 39). Im Norden kämpfter zwar nochmals gegen die Horde, um Elisabeth beizustehen, doch in derendgültigen Konfrontation mit dem Grafen von Sayn erstirbt sein Widerstandzunehmend.Mit der Aufbietung gewissermaßen letzter Kräfte seines ideologischenGlaubens versucht er zwar, den Grafen nochmals als Ketzer zu brandmarkenund bestreitet, dass Gott „ein Wesen“ wie den Grafen „gezeugt haben“ könne(IV, 66), nennt dessen Überleben durch die Jahrhunderte „Lüge“ und durchbohrtihn mit dem Schwert (IV, 67). Doch als der Graf dies überlebt und Conraddessen Rolle als „Antichrist“ beschreibt: als Rolle desjenigen, der die Apokalypseeinläutet und die in der Offenbarung des Johannes genannten siebenSiegel bricht (IV, 70) – die hier die Siegel des Dritten Testaments sind –, findetConrad in seinem Glauben keinen Halt mehr für den Widerstand. Die vom´Bruder Jesu´ eröffnete Perspektive fügt sich zu perfekt zu diesem Glauben:Sie ist seine apokalyptische Dimension, eben jene inhaltliche Qualität, die mitdem radikalen Vorrang der metaphysischen, transzendenten Realität vor derImmanenz und Kontingenz schon immer implizit gegeben bzw. untrennbarverbunden erscheint. In Conrads ideologischem Glauben ist die Immanenzimmer schon entwertet, das kontingente Leben der Menschen und ihre kontingenteGeschichte erscheinen belanglos angesichts der metaphysischen Dimensionund Geschichte. Die Apokalypse ratifiziert diese Struktur des Glaubenslediglich mit letzter Konsequenz. Es bedarf entsprechend nur, dass der ´BruderJesu´ als ´Messias des Endes´ den Untergang als endgültige Etablierung ausschließlichder Transzendenz, der metaphysischen Realität zeichnet, um Conraddazu zu bringen, „keine Wahl“ mehr zu sehen (IV, 71). Angesichts dermetaphysischen Geschichte und aus deren Perspektive betont Conrad geradezu,dass es diese Wahl „niemals“ gegeben habe (IV, 71). Unter den Bedingungendes Vorrangs der metaphysisch-transzendenten Sphäre und Ideen gegenüberder kontingenten Realität kann der Glaube die Apokalypse nur annehmen,sich nur einstimmig zur metaphysischen Geschichte verhalten.Die letzte Wendung Conrads gegen den Grafen von Sayn bedeutet daherzugleich, diesen Glauben aufzugeben und an seine Stelle etwas anderes zu setzen.Dieses Andere ist ein zweites Motiv, das von Conrad repräsentiert wird,lange jedoch von dem ihn beherrschenden Motiv des Glaubens als Ideologie inden Hintergrund gedrängt wird. Es ist das Motiv der Menschlichkeit. Dieseszeigt sich zum ersten Mal, als Conrad bei Bischof Charles von Elsenor ankommt.Die ersten von ihm gesprochenen Worte unterstreichen seine Freundschaftmit dem Bischof, „die die Zeit nicht auslöschen kann“ (I, 14). Freundschaftaber ist nichts anderes, als eine moralisch grundierte, durchaus kontingenteBeziehung zwischen konkreten Menschen als Menschen. Conrad vermagdemnach der Menschlichkeit ungeachtet ihrer Kontingenz, Vorläufigkeitund Endlichkeit einen gewissen Wert zu geben und sich von ihr gleichfalls inVerbindlichkeit nehmen zu lassen. Dazu zählt dann auch sein (unausgesprochenes)Versprechen gegenüber dem Bischof, sich um Elisabeth zu kümmern.Es ist nicht Elisabeths Seelenheil, nicht der metaphysische Status ihrer Existenz,für den Conrad sich dabei engagiert, sondern ihr ganz konkretes, endlichesund irdisches Menschenleben, ihr Wohlergehen im Hier und Jetzt, das erim Blick hat. Dies leitet gleichzeitig eine Entwicklung, eine allmähliche VeränderungConrads ein. Allerdings vergehen einige Monate erzählte Zeit, bissich dies zeigt und damit das Motiv der Menschlichkeit in Conrads Handelnwieder zum Tragen kommt. Dies geschieht am Ende der Sequenz in der Bibliothek,als ein Mitglied der Horde Elisabeth ergreift und sich dabei auch dasManuskript aneignet. Conrad wird hier in eine Entscheidungssituation getrieben:Das Hordenmitglied stößt Elisabeth in einen Abgrund, wo sie in den Flutendes unterirdischen Gewässers versinkt. Conrad muss nun wählen zwischender Möglichkeit, dem Hordenmitglied das Buch abzuringen oder Elisabeth zuretten, und entscheidet sich dabei für die zweite Möglichkeit (II, 27). Er bleibtdamit dem Auftrag des Bischofs treu und agiert auf der Ebene der Freundschaftmit diesem; so ordnet er die rein menschlichen Bande und ihre kontingenteMoralität dem gerade eben in der Bibliothekssequenz verschwörungstheoretischneu konstituierten ideologischen Glauben über. Gleichzeitig wählter das diesseitige, rein immanente Menschenleben Elisabeths als vorrangiggegenüber dem Schlüssel zur transzendenten Größe des Dritten Testaments.Die Szene indiziert damit eine Entwicklung Conrads, einen ersten Ansatz zueinem allmählichen Wandel, der jedoch erst ganz am Ende des vierten Bandes(und von Conrads Leben) wirklich zum Durchbruch kommt.Tatsächlich nämlich bedeutet die Rettung Elisabeths in der Bibliothekssequenz,dass Conrads sich hier zum ersten Mal in einer Situation für dieMenschlichkeit entscheidet, in der dies zugleich seine Abkehr vom ideologischenGlaubenshabitus des sich ausschließlich höheren Gewalten verpflichtetsehenden Inquisitors bedeutet. Conrad ist an dieser Stelle kein ausführendesOrgan metaphysischer Mächte mehr; er ringt auch nicht mit diesen oder versuchteine transzendente Macht über ihre kontingente Verkörperung zu erreichen.Ebenso richtet sich sein Kampf nicht gegen etwas, will nicht das metaphysischBöse durch Vernichtung seiner kontingenten Inkarnation treffen,sondern er kämpft für etwas, nämlich die Rettung und den Erhalt der kontingentenExistenz eines Menschen. Das letzte Panel auf der Seite dieser Szenezeigt daher, wie Conrads Hand Elisabeths Kopf aus schwarzer Wasserflutwieder an die Luft bringt und versinnbildlicht so Conrads Entscheidung fürdas Leben (II, 27). In Conrads eigenem Eintauchen ins Wasser kann mangleichzeitig einen gewissen Anklang an seine eigene beginnende Wandlungsehen: In der christlichen Taufe bedeutet das Untertauchen den Untergang desalten Menschen und sein Auftauchen die Geburt des neuen. Da Conrad seinenWandel jedoch insgesamt zu spät – am Ende des vierten Bandes erst wirklich– vollzieht, fügt es sich ebenso schlüssig zur gesamten Erzählung und ihrerMessage, dass im letzten Panel dieser auftauchende neue Mensch Elisabethist, während von Conrad nur seine Hand zu sehen ist. Ohne die Szene überinterpretierenzu wollen, ergibt sich dabei eine gewisse Parallele zum Schlussder Erzählung, wo Conrad im Sterben den Grafen von Sayn tötet und damiterneut Elisabeth rettet. Die Rettungsszene in der Bibliothek bleibt wortlos; dasunterstreicht einerseits ihre symbolische Bedeutung, hält andererseits jedochauch fest, dass diese Entscheidung Conrads noch eine spontan gefällte, affektiveist und die Wandlung der Figur hier lediglich punktuell einsetzt, ohneschon eine nachhaltige und bewusste Veränderung zu bedeuten. Entsprechendist der Glaube als Ideologie hier noch nicht überwunden, sondern nur kurzfristigein erstes Mal suspendiert.Mit der zunehmenden Krise von Conrads ideologischem Glauben wird dieserdann in der Folge mehr und mehr in eine zugespitzte Konfrontation mitdem Motiv der Menschlichkeit getrieben. So lobt Conrad gegen Ende des drittenBandes Elisabeths Menschlichkeit und attestiert dieser, dass sie ihre „Seelegroß“ mache; sogleich aber weist er darauf hin, dass „jene, die wir bekämpfen,[…] keine Menschen“, sondern eben metaphysische Mächte seien (III, 49).Die Menschlichkeit wird also positiv akzentuiert, doch scheint sie im Settingder metaphysischen Geschichte letztlich bedeutungslos zu sein bzw. darin keineRolle spielen zu können. Hier scheint ein metaphysischer Kämpfer gefragt,der sich gleichwohl – wie der vierte Band zeigt – im Muster seines ideologischenGlaubens dann nur in die ihm vorgezeichnete Rolle fügen kann. ConradsEngagement für die Menschlichkeit ist im vierten Band daher zunächstnur passager, als er kurzfristig in Elisabeths Konfrontation mit der dunklenMacht der Horde und des Grafen von Sayn eingreift und Elisabeth erneut rettet,um sie dann jedoch zu verlassen und allein zum Gipfel aufzusteigen (IV,54-57). Als der Graf von Sayn Conrad dessen metaphysischuniversalhistorischeRolle eröffnet, wird die Konfrontation zwischen dem ideologischenGlauben und der Menschlichkeit jedoch so auf die Spitze getrieben,dass dies Conrad zugleich eine endgültige Entscheidung zwischen beidenMotiven aufnötigt. Conrad entscheidet sich dabei zuerst für seinen ideologischenGlauben und die metaphysische Geschichte. Nachdem Elisabeth Conradden Dolch in den Leib gestoßen hat, wird sie jedoch erneut vom Grafen vonSayn bedroht – und nun fällt Conrad seine letzte, endgültige Entscheidung fürdie Menschlichkeit. Er durchbohrt seinerseits den Grafen mit dem Dolch undspricht die Worte: „Du hast dreizehn Jahrhunderte auf dieser Erde gelebt. Ichnur wenige Jahrzehnte… wir hätten die Wahl treffen können, als Menschen zuleben … vielleicht hätten wir es tun sollen.“ (IV, 73) Danach packt er denGrafen am Hals, der darauf hin in den Schlund des Vulkans stürzt. Zurückbleibt Conrads leere Hand (IV, 74).Die Parallele zur Rettungsszene in der Bibliothek ist deutlich: Beide Malerettet Conrads Hand Elisabeth, seine Schutzbefohlene, und entscheidet sichConrad so für die kontingenten Werte der Menschlichkeit und den Wert desendlichen, immanenten Menschenlebens. Die bildhafte Symbolik der Handverweist darauf, dass manus Dei nun gewissermaßen zu manus humanitatisgeworden ist. Seine Worte verdeutlichen darüber hinaus, dass er im Angesichtder metaphysischen Geschichte jetzt doch eine Wahl sieht und dass diese nichteinfach nur in der Einstimmung in die von dieser Geschichte vorgezeichneteRolle bestehen muss. Für Conrad und seinen ideologischen Glauben bedeutetdies jedoch zugleich eine Wahl zwischen metaphysischer Transzendenz undkontingenter Immanenz. Zu einer Vermittlung beider findet er nicht mehr.Conrads ideologischer Glaube fußt ja auf einem prinzipiellen und absolutenVorrang der Transzendenz vor der Immanenz. Im Fall der konflikthaften Oppositionbeider hat er daher als Inquisitor stets die Transzendenz gewählt unddabei die Immanenz entwertet, ja (in Gestalt von Ketzern) geradezu vernichtet.In diesem Paradigma kann daher der Standpunktswechsel nur in einerUmkehrung des Nichtungsverhältnisses bestehen: Wird die kontingenteMenschlichkeit und damit die Immanenz gewählt, so muss dies nun die Nichtungbzw. zumindest die Verneinung der Transzendenz bedeuten. Letztlichimpliziert das für Conrad gleichzeitig, dass er seinen ideologischen Glaubenaufgeben muss – zumindest in dessen ideologischer Gestalt. Conrad kennt jedochkeinen anderen Glauben und die Erzählung lässt ihn auch nicht mehr zueinem solchen finden. Da seine Identität derart intensiv mit dem Glauben alsIdeologie verbunden ist, zieht dies zugleich deren Auflösung nach sich – dievon der Erzählung als Tod der Hauptfigur vollzogen wird. An ihre Stelle trittdeshalb nun die Figur, die das von der Hauptfigur zuletzt und unter Selbstopferpositiv ratifizierte Motiv der Menschlichkeit und die Seite der Immanenzvertritt, nämlich Elisabeth. Gleichzeitig aber behält Conrad nun doch eine gewisseuniversalhistorische Bedeutung: Er ist tatsächlich jener, der mit zurVerhinderung der Apokalypse beiträgt (wenn auch teilweise unwissentlich –wie mit dem Auftrag an Elisabeth, den Antichristen zu töten, den Conrad erteilt,ohne zu ahnen, dass er der Antichrist sein wird), und er ratifiziert diesdurch seine letzten Worte und die erneute Rettung Elisabeths. Mit dieser letztgültigenEntscheidung und der Weitergabe der Führungsrolle an Elisabeth läuteter schließlich sogar mittelbar eine neue Epoche ein. Die universalhistorischeRolle ist damit freilich keine metaphysische mehr – sie verweigert ja geradeden Vollzug der metaphysischen Geschichte – und das apokalyptischeEnde wird transformiert in lediglich das Ende einer Epoche, nämlich des Mittelalters.Auf dieses Ende folgt daher kein himmlisches Jerusalem (wie es derGraf von Sayn Conrad noch verspricht), sondern lediglich eine neue Epocheder kontingenten Geschichte.
Die Wiedergeburt des Menschen durch vernünftiges Wissenund menschliche Moralität: Elisabeth von Elsenor
Elisabeth von Elsenor stellt die zweite Hauptfigur der Erzählung dar. Zwarwird Conrad von Marburg als der eigentliche Held eingeführt und Elisabethihm zunächst und lange Zeit in der Rolle der Vertrauten zur Seite gestellt.Conrad erhält dabei eine klassische Mentorenrolle für Elisabeth, so dass sichfür sie auch die Aufgabe einer allmählichen Emanzipation von diesem Mentorstellt. Nach der Trennung von Conrad und Trevor im dritten Band muss sie jedochallein und selbständig handeln, so dass sie im vierten Band bereits bis zueinem gewissen Grad in die zweite Heldenrolle eintritt, bevor sie diese dannam Ende von Conrad als Hauptrolle übernimmt. Von Beginn an ist es zudemElisabeth, deren Memoiren in Captions die Erzählung begleiten, kommentierenund damit rückschauend entfalten. Angesichts der geradezu epochalen Bedeutung,die Elisabeth im dritten Akt bzw. vierten Band zukommt, wandertdiese Hauptrolle durch die Captions schon – wenngleich verdeckt – von derExposition an in den Verlauf der Erzählung ein. Man kann Elisabeth so auchals die zweite oder heimliche Heldin der Erzählung bezeichnen. Elisabethsteht dabei für einen Motivkomplex, der zusammen mit ihr ebenso wie beiConrad eine Entwicklung durchmacht. Dieser Motivkomplex setzt sich ausden Elementen vernünftiges Wissen, Moralität und Menschlichkeit zusammen.Dem vernünftigen Wissen wird zudem das Motiv der curiositas zugesellt; dieVerbindung mit Moralität und Menschlichkeit bzw. eine zunehmend stärkereGewichtung dieser beiden Motivelemente ergibt sich hingegen erst im Verlaufder Erzählung. Im Hintergrund wirksam ist außerdem das Schema der Oppositionvon Transzendenz und Immanenz. Elisabeths Entwicklung jedoch istweitgehend gegenläufig zu der Conrads, d.h. sie optiert in diesem Schema zunehmendzu Gunsten der Immanenz und ihrer Dominanz über die Transzendenz.Um dazu zu gelangen, muss sie gleichwohl durch Conrads Welt hindurchgehen und in den Abgrund seines metaphysisch-kämpferischen und zunehmendapokalyptischen Wissens blicken.Die Exposition führt Elisabeth als Mündel Bischof Charles von Elsenor einund legt ihr als erste gesprochene Worte sofort einen impulsiven Widerspruchin den Mund – sie protestiert lautstark dagegen, dass der Bischof ihr keinenAufschluss über seinen erwarteten Gast Conrad geben will (I, 13). Elisabetherscheint als selbstbewusste junge Frau, die sich durchzusetzen weiß und nichtbevormunden lassen will. In ihrer äußeren Erscheinung wird sie hier noch miteinem blauen, dekolletierten Kleid in Szene gesetzt; die halblangen roten Haareund eine Andeutung von Sommersprossen geben ihr zugleich jedoch einleicht burschikoses Gepräge (I, 13). Noch in der Exposition wechselt die Kleidungzu einer Art langer Bluse, Reithosen und Stiefeln, einem Cape für dieReise und am Gürtel getragener Bewaffnung, insbesondere in Gestalt einesDolches (I, 18). Später, in der Bibliothekssequenz des zweiten Bandes, trägtsie zu Hose, Stiefeln und Waffen eine weiße Bluse, die auf der Überfahrt nachStornwall durch eine graue Bluse ersetzt wird; im Abendlicht der Überfahrterscheint diese Bluse rötlich-violett, auf Stornwall hingegen wirkt sie dunkel –im dritten Band wird dies durch Schwarzflächen unterstützt – und im viertenBand weicht sie einer roten, kleidartigen Bluse. Dazu kommt fallweise jeweilserneut ein Mantel oder Cape. Die Färbung der Bluse lässt sich teilweise mitden erzählerischen Stationen und der Entwicklung der Figur in Verbindungbringen. So kann das Weiß in der Bibliothekssequenz auch als Indiz für einegewisse Unschuld Elisabeths gelesen werden, bevor diese hier in das verschwörungstheoretischeWissen Conrads eingeführt wird; möglicherweise findetsich hier auch ein Anklang an das Taufkleid, jedoch in umgekehrter Bedeutung,da Elisabeth von nun an ihre Unschuld zu verlieren beginnt. DasGrau der dunklen Bluse, das zudem durch Schwarzflächen unterstrichen wird,fügt sich zur Krisis des dritten Bandes, während das Rot im vierten Band aufdie Durchsetzungskraft und Lebendigkeit Elisabeths hindeutet. Hose und Stiefelverleihen Elisabeth ein viriles Gepräge; mit Gürtel und Waffen sowie denlangen Stiefeln und Handschuhen erinnert sie besonders im zweiten Band sogarstreckenweise an einen buccaneer. Diese Virilität steht ohne Zweifel fürStärke und unterstreicht dabei von vornherein, dass Elisabeths Rolle nicht dieeines schwachen, hilfsbedürftigen Weibchens ist, das ständig auf die Rettungdurch den Helden aus allerlei Bedrängnissen angewiesen ist (auch wenn Conradsie tatsächlich mehrfach rettet). Elisabeth ist dem Abenteuer vielmehr gewachsenund vermag am Ende sogar die ihr von Conrad zugeschobene welthistorischeRolle zu übernehmen.Im historischen Setting der Erzählung hat die Virilität zudem eine spezifischeVerbindung zu den von ihr repräsentierten Motiven. Diese werden bereitsin der Einführung der Figur in der Exposition angesprochen: Elisabeth widersprichtdem Bischof nicht einfach nur impulsiv, sondern hinterfragt seineGründe, fordert Erklärungen und Argumente, d.h. sie führt selbst mit ihm einenargumentativen Diskurs. Der Bischof ermahnt sie, ihre „Neugier zu zügeln“,woraufhin Elisabeth entgegnet, man sei „nur so neugierig, wie man erzogenwurde“ (I, 13). Im weiteren Gespräch wird deutlich, dass der BischofElisabeths Wissbegierde und geistigen Forscherdrang gefördert und dass er siedamit in eine in dieser Zeit eigentlich den Männern vorbehaltene Domäne eingeführthat (I, 13). Die Szene lässt so kurz die Motive des vernünftigen bzw.argumentativ begründeten Wissens, der forschenden Neugier und darin einergeistigen Selbstständigkeit aufscheinen. Gleichzeitig macht sie deutlich, dassElisabeth sich damit in einer Männerwelt bewegt, die in Gestalt ihrer Virilitäteinerseits ein Stück weit auf sie abfärbt, der sie andererseits jedoch auch gewachsenist. Im weiteren Verlauf des ersten Bandes werden diese Motive danndurch Elisabeth und zusammen mit ihr genauer qualifiziert. So grenzt sie sichnach der Flucht aus Paris im Gespräch mit Conrad in doppelter Hinsicht ab:Gegen dessen Ansinnen, sie in einem Kloster sicher unterzubringen, betontsie, dass sie Klöster „gut genug“ kenne, „um aus ihnen zu fliehen“, und nichtdie Absicht habe, in ´deren Tiefen dahinzuvegetieren´ (I, 27). Danach stellt sieConrads Inquisitorentätigkeit kritisch in Frage; die metaphysische Dimensionseines Kampfes, mit der dieser sein Handeln als Inquisitor zu legitimierensucht, hält sie für metaphorisch (I, 30). Obwohl bei ihrer Einführung im Gesprächmit dem Bischof deutlich wird, dass dieser sie (auch) von Klosterschwesternerziehen ließ (I, 13), zeigt Elisabeth so eine deutliche Distanz zurkirchlichen Glaubenswelt; die Abgrenzung vom Kloster zeigt dabei, dass dieseDistanz sich in erster Linie auf eine weltabgeschiedene Form des Glaubenslebensbezieht. Darin deutet sich Elisabeths Option für die Immanenz an, fürden Wert und die Bedeutung des konkreten Lebens in der Kontingenz der irdischenWirklichkeit – wenn man so will, eine spezifische Weltfrömmigkeit.Die kritische Anfrage an Conrads Inquisitorentätigkeit lässt erstmals das Motivder Moralität aufscheinen. Dass sie seinen Verweis auf den Kampf gegenmetaphysische böse Mächte für metaphorisch hält, bringt wiederum zweierleiin Blick: Zum einen bewegt sich Elisabeth vorrangig im Bereich des vernünftigenimmanenten Wissens; zum anderen ist das von Conrad verkörperte metaphysischeWissen ihr noch äußerlich und auch außerhalb ihres geistigen Erfassungsvermögens.In dieser Hinsicht ist Elisabeth noch naiv und hat nocheine Entwicklung durchzumachen, bis ihre sich andeutenden Optionen wirklichzu ihrer eigenen reifen Position werden. Vorerst folgt Elisabeth hingegennoch ihrem ersten Mentor, dem Bischof, und bringt die dort erlernte Wissensorientierungpunktuell gegen Conrad in Stellung, der gleichwohl zunehmendihr zweiter Mentor wird.Die Sequenz bei Honorius verstärkt den Zuschnitt dieser ersten Phase mitRedundanzen und zusätzlichen deutlicheren Akzentuierungen. So wendet sichElisabeth nach Honorius´ Bericht über seine eigene Geschichte und den Auftragder Kirche, die Manuskripte aus Qumran zu verbrennen, pointiert gegendieses Handeln und betont ihr Unverständnis, wie jemand, der sein „Lebendem Wissen gewidmet“ hat, eine Bücherverbrennung überhaupt in Erwägungziehen könne (I, 39). Nachts recherchiert sie selbst in Büchern über die Inquisitionund Conrads Rolle als Inquisitor (I, 42f). Die Szene bleibt ohne Worteund illustriert Elisabeths Trauer und Verzweiflung über die Verbrennung vonKetzern und Conrads Handeln. Die Wortlosigkeit kommt an dieser Stelle nichtvon ungefähr – vor dem Grauen verstummt der Logos, schweigt die Vernunft.Gleichzeitig aber zeigt die Szene nochmals, dass Elisabeth noch außerhalbdieser Welt Conrads steht und deren Inhalte noch nicht weiter denkerisch bearbeitenkann. Es bleibt ihr vorerst nur die emotionale, empathische Reaktion.Am Folgetag versucht sie unterwegs diese Thematik doch zur Sprache zubringen. Sie wehrt sich gegen Conrads metaphysische Kampfesvorstellungenund leugnet die Existenz metaphysischer böser Mächte – „der Teufel existiertnicht“, „um gegen Eure so genannten »Dämonen« zu kämpfen, habt Ihr zehnUnschuldige gequält und verbrannt“ (I, 47). Im Gegenzug insistiert sie auf einerkontingenten, immanenten Moralität: Das „wahre Böse“ sieht sie „auf dieser Erde“ existieren, jedoch nicht als irdische Agenten, die von transzendentenbösen Mächten manipuliert werden, sondern vielmehr in Gestalt von „Ungeheuern,wie Ihr [Conrad] es seid“ (I, 47). Conrad kontert dies damit, dass Elisabeth„noch nicht reif für gewisse Wahrheiten“ sei (I, 47). Die Szene hat eineParallele zuvor, als Honorius die Parabel über Julius von Samarien erzählt. Elisabethsieht darin ein „dunkles Gleichnis über die Versuchung des Wissens“,das lediglich symbolischen Gehalt habe (I, 37, 40). Honorius beantwortet diesmit seiner Geschichte und dem verschwörungstheoretischen Fakten-Realismus, der in der Parabel einen Hinweis auf einen realen Gegenstand(letztlich das Dritte Testament) sieht (I, 40). Beide Male hält Elisabeth sich soauf der Seite einer immanenten Vernünftigkeit und Moralität. Beide Male aberbedeutet dies vorerst lediglich, dass die andere Seite, der prekäre Realitätsgehaltder Vorstellungen von Conrad und Honorius, von Elisabeth lediglich ausgeblendet,verdrängt und geleugnet wird. Ihre Option für Wissen, Moralitätund Immanenz bleibt daher im ganzen ersten Band noch naiv; die Reise in dieFinsternis von Conrads Welt steht ihr (ebenso wie diesem die Einsicht in dieapokalyptische Dimension seines ideologischen Glaubens) noch bevor. Sie istjedoch nötig, damit Elisabeth Selbstständigkeit und Mündigkeit erreicht.Die zweite Phase erstreckt sich über Band 2 und 3. In ihr wird zunächsteinmal das Motiv des Wissens weiter ausgefaltet. Die zentrale Szene dazu findetsich im dritten Band. Sie modifiziert und klärt zugleich Elisabeths zentralesHandlungsmotiv: Während es Elisabeth im ersten Band noch darum geht,die Mörder ihres Ziehvaters zu finden und „bezahlen“ zu lassen (I, 27) – alsoum Rache –, rückt nun, nach der Konfrontation mit Honorius, mehr und mehrdas Wissen an die erste Stelle. Im dritten Band formuliert Elisabeth dies deutlichgegenüber Trevor, der sie provozierend danach fragt, ob es ihr um die Racheoder die mit dem Dritten Testament möglicherweise verbundene Machtgehe (III, 32). Elisabeth geht auf diese Alternative nicht mehr ein und betontstattdessen: „Ich will wissen, Trevor. Ansonsten kann ich nicht leben… dennohne das Wissen kann ich nicht frei sein.“ (III, 33) Ihr Gesicht ist dabei inFrontalansicht zu sehen, mit großen Augen und vom Wind bewegten Haaren(III, 33). Es ist bar jeder Aggressivität, wirkt anrührend offen und verletzlich.Elisabeth nimmt so Abschied von dem letztlich affektiv bestimmten, egozentrischenHandlungsmotiv der Rache und setzt an seine Stelle ein vernunftbestimmtesWissen, das gleichzeitig eine wesentlich grundsätzlichere Bedeutungerhält: Es wird verbunden mit der Freiheit. Wissen macht frei, weil es dieWissenden dessen enthebt, einem unverstandenen Geschehenszusammenhangblind ausgeliefert zu sein. Das Wissen erscheint so als Bedingung der Möglichkeitvon Freiheit und zugleich als eine Möglichkeitsbedingung für Selbstbestimmung.Die bildlich in Szene gesetzte Verletzlichkeit Elisabeths verweistdarüber hinaus metonymisch auf die kontingente Menschlichkeit, ihre Endlichkeitund Antastbarkeit. An dieser Stelle wird damit gleichzeitig der Anspruchgreifbar, dass auch diese kontingente Menschlichkeit etwas gelten soll,ein Recht auf Wissen hat und zugleich auf Freiheit und Selbstbestimmung.Explizit durchgeführt wird dieser Anspruch freilich erst am Ende, wenn Elisabethzu einer Figur mit universalhistorischer Bedeutung wird. Gleichwohlwird dieses Ende an dieser Stelle bereits vorbereitet.Auf dem Weg zu dieser Szene setzt Elisabeth sich wiederholt für das Wissenund seine Zugänglichkeit ein. So spricht sie im zweiten Band davon, dassdie geheime Bibliothek „ein unvergleichlicher Schatz“ sei und widersetzt sichConrad, der die Geheimhaltung der Bibliotheksbestände mit der Unreife derChristenheit zu legitimieren versucht (II, 12). Sie bringt dagegen ein historischesArgument vor – „die Studierten“ seien „selbstsicherer geworden“ unddie Welt daher „bereit, dieses Wissen zu erhalten“ (II, 12). Ebenso widersprichtsie Steiner, der das Massaker im Kloster von Veynes als Warnung Gottesinterpretiert und damit das Vorhaben problematisiert, in der Bibliotheknach einer Abschrift des Manuskripts von Julius zu suchen (II, 12). Elisabethführt ein theologisch-moralisches Argument an: „Gott hat den Tod der Brüdernicht gewollt!“ (II, 13) Ihr Impetus zielt jedoch in eine andere Richtung – siewill damit nochmals Stellung gegen die Annahme beziehen, es könne ein Wissengeben, das weggesperrt werden muss und nach dem man nicht fragen dürfe.Mit diesem doppelten Widerspruch wird Elisabeth eine letztlich aufklärerischePosition unterlegt: Wofür sie hier eintritt, ist das Sapere aude – wage zuwissen. In dieser Phase macht das geradezu ihr Ethos aus. Moralisch unvorstellbarist ihr daher, dass Gott theologisch als ein Wesen gedacht werdenkönnte, das Menschen tötet oder töten lässt, um ein Manuskript geheim gehaltenzu sehen bzw. ein Wissen vor den Menschen zu verbergen. Ebenso ist ihrunvorstellbar, dass Menschen aus solchen theologischen Gründen auf Wissenverzichten oder dieses verstecken lassen. Dies kommt daher auch nochmals inder Bibliothek zum Tragen, als Elisabeth beinahe fassungslos darauf reagiert,dass ein Gelehrter wie Anselm eine Übersetzung aus Angst vor dem Inhalt einesDokuments abbrechen und das Dokument selbst verschwinden lassenkönnte: „Das ist absurd! Kein Gelehrter würde auf eine solche Aufgabe verzichten“(II, 20). Und als die Bibliothek von den unterirdischen Fluten verschlungenwird, denkt sie nicht zuerst an ihre eigene Gefährdung, sondern bedauertden Verlust der Bücher (II, 26). Konkret historisch kann man in diesenSzenen einen hintergründigen Bezug zur „Renaissance des 12. Jahrhunderts“(Haskins 1927) und den daran anschließenden Aufbrüchen des 13. Jahrhundertssehen, die mit der Aristotelesrezeption einen Wissensschub aus nichtchristlichenQuellen erhält. Am Ende des vierten Bandes wird auf den historischenKontext explizit und prospektiv, mit Blick auf die Renaissance selbst,angespielt werden. Einige Elemente aber greifen über diese Bezüge schonhier, im zweiten Band, hinaus. So führt Elisabeth mit ihrem ersten Argumenteine kontingente und immanente Entwicklung gegen die von ideologischenGlaubenswächtern wie Conrad begründete Geheimhaltungspolitik ins Feldund dehnt dies mit dem zweiten Argument auf Steiners metaphysisches Argumentfür diese Politik aus. Genau besehen ordnet Elisabeth die Immanenzund Kontingenz des Wissens hier der Metaphysik und Transzendenz über –etwas, das die Autoren der ´Renaissance des 12. Jahrhunderts´ und Aristotelikerdes 13. Jahrhunderts, wie Thomas von Aquin, nie getan hätten. Das implizitakzentuierte Sapere aude sprengt das historische Setting entsprechend auf.Die nachfolgende Begründung der Handlungsmotive Elisabeths mit der freisetzendenund autonomisierenden Qualität des Wissens komplettieren dies. ElisabethsPosition gerät tendenziell zur Vorwegnahme einer aufklärerischenHaltung.Dessen ungeachtet kommt diese Haltung freilich in der zweiten Phase nochnicht zur vollen Realisierung und Durchsetzung. Ähnlich wie Conrad seinenideologischen Glauben immer wieder in Stellung gegen seine zunehmendeEinsicht in die ihm zugedachte metaphysische Rolle zu bringen versucht, istauch Elisabeth bemüht, sich mit ihrer Parteinahme für das Wissen an ihre gewohnteWelt zurück zu binden und daraus Stabilität zu beziehen. Anderes alsConrad wird sie am Ende gerade dadurch jedoch ihre Identität gewinnen. Inder zweiten Phase hingegen muss sie zunächst durch die Nacht des ideologischenGlaubens und seiner apokalyptischen Konsequenzen. Dieser Weg führtüber das verschwörungstheoretische Wissen, in das Elisabeth in der Bibliothekeingeführt wird. Die Brücke dazu bildet zunächst das geheimdienstähnlicheSonderwissen, dem sie bei Steiner begegnet. Durch diese Figur wird ihr verdeutlicht,dass die Alltagsrealität gewissermaßen nur den Vordergrund einerhinter den Kulissen verborgenen Realität bildet: Steiner ist der Herr des „okkultenKapitels“, das „in jeder größeren Stadt“ der Christenheit seine geheimenNiederlassungen besitzt; seine „Spione machen ihn zum bestinformiertenMann des Abendlandes“ (II, 8f), doch ist das Wissen, das dabei generiert wird,ein verborgenes, elitäres Sonderwissen. Elisabeth wird so mit der Dichotomievon Schein und Sein vertraut gemacht. Gleichzeitig besitzen die geheimen InformationenSteiners jedoch den Status harter Realität – sie sind faktenrealistischwie die Verschwörungstheorie. Und wie diese führen sie das Weltgeschehenjeweils auf ein zentrales Motiv zurück: Macht oder Geld. Die Bekanntmachungmit Steiner führt Elisabeth so in eine okkulte Sonderwelt einund bereitet gewissermaßen den Boden dafür, dass sie unter dem MentoratConrads in der Bibliothek dann in die okkulten Wissensformen der Verschwörungstheorieeintritt.Elisabeth muss dazu im Wortsinn „hinunter“ (II, 14) in die Höhlen und Kavernenunter der Stadt Toledo. Der Abstieg findet durch einen schmalen Kaminstatt und führt zunächst einmal in die Dunkelheit (II, 16f). Die Dichotomiezwischen Schein und Sein, zwischen Geheimdienstwissen und Alltagsrealitätwird auf diese Weise parallelisiert durch die Dichotomie zwischen derhellen, lichtdurchfluteten Stadt und dem, was unter ihr ist und worauf sie gebautsteht. Die Erzählung bedient sich damit einer bekannten Metapher – desGegensatzes zwischen Oberwelt und Unterwelt, bei dem die Oberwelt wiederumals Schein, als nach außen gewendete Oberfläche wahrgenommen wird,während sich darunter die Kloaken, der Schmutz und die vom Tagesbewusstseinverdrängte Realität des Unbewussten befinden. Der Kamin führt zunehmend in die Enge und ins Unbekannte; am Ende der Szene muss Elisabethschließlich das Seil loslassen und blind springen. Formalästhetisch wird derSprung ins Unbekannte dadurch unterstützt, dass Elisabeths Loslassen im letztenPanel am Ende der Seite stattfindet und die Qualität eines Cliffhangers hat(II, 17). Der letzte Sprung durch das Ende des Kamins enthält damit einenzweiten metaphorischen Bezug: Er gemahnt an eine Geburt. Und in der Tatmuss Elisabeth eine solche auch vollziehen, wenn sie nun in den Raum desverschwörungstheoretischen Wissens eintritt und damit gleichzeitig beginnt,die von ihr bislang verdrängte Realität der negativen metaphysischen Mächteanzuerkennen.Da die Bibliothek jedoch zensiertes Wissen enthält und Elisabeth vorangehendbereits für die Zugänglichmachung dieses Wissens eingetreten ist, kanndie Bibliothek nicht sofort als ganze im Sinne der genannten Metaphorik fürdie negative Seite stehen. Die Erzählung muss daher einen Zwischenschritteinbauen und für Elisabeth eine zweite Schwelle mit einer metaphorischenRedundanz konstruieren. So kommt Elisabeth nach dem Sprung zunächsteinmal in eine lichtdurchflutete große Höhle, in der sie die von ihr verteidigteSphäre des Wissens findet: Die Bibliothek enthält „alle Sprachen der Wissenschaft“und eine Fülle von Büchern, die „nach Sprachen und Wissensgebietengeordnet“ sind (II, 18f), also eben jenen Schatz, den Elisabeth sich zuvor vorgestellthat. Die Quellen des verschwörungstheoretischen Wissens hingegensind von diesem Reichtum des Wissens getrennt und befinden sich in eineranderen Kaverne. Um diese zu erreichen, muss Elisabeth ins Wasser, in dieunterirdischen Fluten, und wiederum durch einen engen, dunklen Gang hindurchtauchen(II, 19). In dieser abgetrennten Nebenkaverne erst findet sie mitConrad das gesuchte Manuskript sowie die Übersetzung Anselms und hier erstwird Elisabeth von Conrad in die verschwörungstheoretischen ´Wahrheiten´eingeführt. Das Durchtauchen kann erneut als Geburtsmetapher betrachtetwerden. Gleichzeitig kann man darin einen metaphorischen Bezug zur Taufeals Initiationsritus sehen; der Taufritus wird damit freilich gerade umgekehrt –er hat keine Heils-, sondern eine Unheilsperspektive, und gliedert nicht in dieumfassende Gemeinschaft der Gläubigen, sondern in den elitären Zirkel derVerschwörungstheoretiker ein. Diese doppelte Metaphorik verdeutlicht so,dass für Elisabeth nun eine neue Phase beginnt, in der sie mit einem anderenWissen und zunehmend einer anderen Realität konfrontiert ist.Das Wissen, dem Elisabeth fortan nachjagt, betrifft nun die dunkle metaphysischeGeschichte der Welt, die hinter der Alltagsrealität wirkenden transzendentenMächte und die drohende Apokalypse. Es ist das Wissen über einemetaphysische Verschwörung gegen die Immanenz der Welt und die Kontingenzdes konkreten menschlichen Lebens. Wie die Verschwörungstheorie istes ein arkanes Sonderwissen, das von den herkömmlichen Wissensformentrennt und für diese eine geradezu nichtende Qualität besitzt. Je mehr Elisabethsich dieses Wissen aneignet, desto mehr tritt sie gewissermaßen in dieNacht des Wissens ein. An zwei Stellen wird auch dies wieder deutlich akzentuiert: Gegen Ende des zweiten Bandes beginnt mit der Reise nach Stornwallder Weg in die Finsternis; in Stornwall ist auch das Manuskript mit dem apokalyptischenWissen aufbewahrt. Elisabeths Eintritt in die Finsternis wirdwiederum mit der Metaphorik der Unterwelt und des Durchtauchens verbunden– die Gefährten dringen durch einen Abwasserkanal in die Felsenburg vonStornwall ein und müssen dort erneut tauchen (II, 40f). Soweit man darinnochmals einen Anklang an die Taufe sehen kann, ist deren Bedeutung nunbesonders deutlich ins Gegenteil verkehrt. Die Negativität des Wissens, das inStornwall aufbewahrt ist, wird dann im dritten Band in Szene gesetzt. In mehrerenPanels, die in Rottönen und Schwarz gehalten sind, wird nun das Gegenstückzu der lichtvollen, großen Kaverne der unterirdischen Bibliothek gezeichnet.Während in der unterirdischen Bibliothek ein lichtes Blau als Farbedes Geistes dominiert, erinnert in der Bibliothek von Stornwall schon die Dominanzvon Rot und Schwarz an die Finsternis der Hölle und das Höllenfeuer(III, 14); der metaphorische Bezug zu letzterem wird auf der Folgeseite direktunterstrichen, als Conrad Feuer legt, um das Manuskript zu verbrennen (III,15). Okkulte, magische Symbole und Figuren mit Totenköpfen auf der Truhemit dem Manuskript komplettieren diesen Eindruck. Die internationale Gelehrtengruppe,die an der Lösung der Rätsel arbeitet, ist aus disparaten Wissensgebieten,orthodoxen und esoterischen Traditionen, Glauben und Aberglaubenbunt zusammengewürfelt (III, 14) und erscheint in dieser chaotischenMischung als unheilige Intellektualität. Elisabeths Memoiren benennen dies inCaptions: „So viel Wissen, so viel Korruption“ (III, 14). Elisabeth kann esgleichwohl nicht mehr vermeiden, sich dieses Wissen anzueignen und sogaran seiner Produktion mitzuwirken. Ihre eigene Intellektualität wird dabei einStück weit in Bann gezogen: Ebenfalls noch im dritten Band nämlich arbeitetElisabeth unter Anleitung durch Clemens an der Lösung des siebten Rätselsmit; ihre Mimik wechselt dabei von Unsicherheit und Zurückhaltung zu zunehmenderFaszination an der intellektuellen Erschließung dieser Lösung unddabei auch am Gebrauch der nötigen (in diesem Fall kabbalistischen) Methoden(III, 38). Die Sequenz in der verfallenen Kirche am Ende des dritten Bandeseröffnet Elisabeth dann die apokalyptische Dimension des arkanen Sonderwissens.Zusammen mit dem Auftrag Conrads, den Antichristen zu töten,akzeptiert Elisabeth nun die Realität der metaphysischen Geschichte. Sie istdamit endgültig in Conrads Welt eingetaucht. Die Antiklimax am Ende desdritten Bandes, als Elisabeth in den Fluten des Flusses untergeht, versinnbildlichtdabei deutlich, dass diese Welt sie zu verschlingen droht und ihr abermalseine Wiedergeburt Not tut, wenn sie die Konfrontation mit dem neuenapokalyptischen Wissen bestehen können soll. Dies geschieht im viertenBand, in dem Elisabeth das Abenteuer weitgehend ohne Conrad bestehenmuss und zu ihrem eigenen Umgang mit dem negativen metaphysischen Wissenfindet.Die zweite Phase gibt ihr jedoch dafür noch etwas mit auf den Weg: Siestärkt die miteinander verschränkten Motive der Menschlichkeit und der Moralität, die sich im ersten Band mit der kritischen Infragestellung von ConradsInquisitorentätigkeit bereits zeigen. Erzählerisch möglich wird das dadurch,dass diese Motive sich nicht primär in der Konfrontation mit Conrad bewährenmüssen, sondern in der Auseinandersetzung Elisabeths mit Trevor. Dieserwird als genuin materialistische Figur eingeführt, der seine Dienste an denMeistbietenden verkauft und sich lediglich an Nutzenerwägungen orientiert.Im zweiten Band warnt Conrad deswegen Elisabeth, Trevor allzu viel Vertrauenzu schenken. Elisabeth kontert: „Ich bin nicht blind… ich weiß einenMann wie Trevor sehr gut einzuschätzen“ (II, 34). Als Trevor nach der Fluchtaus Stornwall auf dem Schiff einem toten Matrosen den Geldbeutel abschneidet,blickt sie ihn voll Trauer über dieses Verhalten an und wendet sich ab (III,21). Wieder an der Küste Schottlands angekommen, wirft Trevor der Mutterdes Fischers, der die Gefährten nach Stornwall gebracht hat und dabei zu Todegekommen ist, Geld in ihren Korb. Er begründet dies damit, dass auch der Fischerseine Dienste nur angeboten habe, „um zu essen, um zu überleben, umfrei zu sein. Für Geld, Prinzessin! Das allein zählt in dieser ungerechtenWelt!“ (III, 23) Für Elisabeth ist dies nicht ausreichend: „Diese Frau hat geradeihr Kind verloren, und Dir fällt nichts Besseres ein, was du ihr geben könntest?“(III, 23) Elisabeth geht es so um eine qualitative Menschlichkeit, umkonkrete, empathische Beziehungen zwischen konkreten Menschen, die sieder rein quantitativen Nutzenorientierung und der daran gebundenen materialistischenWeltsicht Trevors entgegensetzt. Elisabeths Parteinahme für Immanenzund Kontingenz wird auf diese Weise gegen eine solche materialistischeAuslegung und bloßen Utilitarismus profiliert. Für sie zählen menschlicheWerte, die sich bloßer Verrechenbarkeit entziehen. Elisabeth ist so keine Figureines ´illusionslosen Realismus´, wie ihn Trevor mit seiner Rede von der ungerechtenWelt vor Augen stellt und wie er gleichzeitig auch der Verschwörungstheoriezueigen ist. Implizit setzt die Abgrenzung Elisabeths gegenüberTrevor sie mit dem Motiv der Menschlichkeit daher auch von der Verschwörungstheorieab. Das Motiv der Menschlichkeit verschränkt sich zudem mitdem der Moralität. So zeigt die Folgeseite Elisabeth dann moralisch entschlossen,nicht zuzulassen, „dass weitere Unschuldige sterben, weil wir ihnen nichtzu Hilfe gekommen sind!“ (III, 24). Trotz ihres Eintauchens in Conrads Weltund seine verschwörungstheoretische negative Metaphysik bildet diese Motivverschränkungdaher ein Widerstandspotenzial, das in der dritten Phase undam Ende wirksam werden kann.Die dritte Phase beginnt mit Elisabeths Wiedergeburt nach der Rettung ausden Fluten. Zwar weiß Elisabeth vorerst noch nicht, dass sie diese RettungTrevor zu verdanken hat, und obschon sie von Conrad nun getrennt ist, hat siesich innerlich noch nicht vollständig von diesem als ihrem Mentor gelöst.Dennoch geht sie von Beginn des Bandes an in Führung und zeigt nun auchdie Fähigkeit, dem negativen metaphysischen Wissen eigenständig und zunehmendsouverän zu begegnen. Deutlich wird dies schon auf den ersten Seitenim Gespräch mit Clemens bei der zweiten Lösung des siebten Rätsels: Elisabeth betont zunächst, dass es für Clemens und seinen Glauben „noch Sicherheit“gebe, sie selbst diese jedoch verloren habe (IV, 11). Gewissermaßenversuchsweise schlägt sie vor, das Rätsel nun nicht auf der Basis des gewohntenGlaubenswissens von 12 Stämmen Israels und 12 Aposteln, sondern mitder Hypothese eines verlorenen 13. Stammes und eines 13. Apostels zu lösen(IV, 11). Clemens weist dies zunächst als blasphemisch zurück – „nur einKetzer würde es wagen“ – und Elisabeth entgegnet: „Oder ein Geist, derZweifel zulässt!“ (IV, 11) Gleich darauf benennt sie das Motiv der Neugier,die in Clemens ebenso brenne wie in ihr, und fordert ihn auf, sich auf einenForschungsprozess einzulassen, bei dem noch nicht feststeht, wohin er führt(IV, 11). Als sie sich nach der Lösung des siebten Rätsels von Clemens verabschiedet,unterstreicht sie, dass sie diesen neuen Weg beschreiten muss undnicht zurück könne, weil sie „zu viel gesehen“ habe; gleichwohl sei sie „nichtverloren“, denn: „ein Licht, das niemals flackert, führt mich“ (IV, 13).Der Motivkomplex des vernünftigen Wissens und der Neugier ist damit ineine neue Phase getreten. Elisabeth verlässt den Raum des gewohnten Wissensund der zugehörigen Methoden. Sie traut der Neugier, der curiositas, die dazuherausfordert und antreibt, nach neuem, bislang unvertrautem Wissen zu suchen.Dazu macht sie sich allein mit den Mitteln der Vernunft auf, auch wenndie Erkenntnisgewinnung hypothetische Annahmen erfordert, die bislang alsblasphemisch oder ketzerisch eingestuft worden sind. Damit sprengt die Erzählungihren historischen Rahmen gleichzeitig weit auf: Elisabeths Referenzauf den Geist, der Zweifel zulässt, und ihre Bereitschaft, alle gewohnten Sicherheitenad experimentum über Bord zu werfen, deuten voraus auf den methodischenZweifel bei Descartes und die hypothetische Figur des genius malignus,der gleichfalls der Erschütterung aller bisherigen Sicherheiten dient.Wie Descartes macht sich Elisabeth auf zu neuen Ufern, um eine neuartigegewisse Erkenntnis zu erreichen. Und wie Descartes scheint sie dabei keineRücksichten auf bisherige Gewissheiten nehmen zu können. Der Verweis aufdas niemals flackernde Licht, das ihr den Weg weist, lässt dabei hintergründigdie Metapher vom Licht der Vernunft erscheinen. Zwar legt der Folgetext nahe,dass Elisabeth bei diesen Worten an Conrad denkt, doch eröffnet die ästhetischeKonfiguration einen größeren Bedeutungsspielraum: Elisabeths Sprechblasezum Licht ragt zur Hälfte in ein breites Panel, das den hellen, in GelbundOckertönen strahlenden Himmel zeigt; im selben Panel steht noch dieSprechblase von Clemens, der Elisabeths Lichtmetapher auf Gott hin deutet.Elisabeth macht im nächsten Panel deutlich, dass dies ein Missverständnis sei,doch es ist nicht sie, die die Deutung der Lichtmetapher auf Conrad hin vornimmt,sondern die Oberin des Klosters. Diese stellt am Ende der Seite undder Szene zudem die Frage, was Elisabeth „sonst machen“ würde, wenn sieConrad verlöre (IV, 13). Die Antwort bleibt an dieser Stelle offen und wirderst ganz am Ende gegeben. Dort aber sind es die Vernunft und das vernünftigeWissen, die zusammen mit Moralität und Menschlichkeit ein neues Zeitaltereröffnen. Man kann in der vieldeutigen Szene hier daher bereits einenVerweis auf das Licht der Vernunft sehen. Diese Deutung wird zudem dadurcherhärtet, dass die Erzählung Elisabeth immer wieder in ein besonderesVerhältnis zum Licht bringt: Wiederholt lässt sie sie in Panels erscheinen, indenen sie in eine lichtvolle Ferne blickt (z.B. III, 33; IV, 22) oder gar im Lichtgebadet wird (so etwa nach ihrer Rettung aus den Fluten bei ihrem Erwachenin Kloster und am Ende im Sonnenaufgang auf den Bergen; IV, 6). Mit denBlicken in die Ferne scheint Elisabeth geradezu auf das Licht zu warten – bissie es am Ende als Licht der Vernunft in sich findet – und im Licht gebadet erscheintsie selbst als lichtvolle Gestalt bzw. vom Licht der Vernunft beinahezur Welt gebracht. Die Szene mit Clemens lässt dabei gleichzeitig – vom Endeher betrachtet – deutlich werden, dass Elisabeth sich erst noch vollständig vonConrad als ihrem Mentor lösen muss, um dieses Licht ganz für sich zu gewinnen.Sie muss gewissermaßen ihren äußeren Mentor Conrad gegen den innerenMentor der Vernunft austauschen, um künftig einen sicheren Gang in derWelt gehen zu können.Mit dem Licht der Vernunft gewinnt Elisabeth gleichzeitig allmählich einespezifische Souveränität. Schon in der Szene mit Clemens zeigt sie eine solcheSouveränität, wenn sie sich von den Gewissheiten der zeitgenössischen Glaubenswahrheitentrennt und mit gewagten Methoden und hypothetischen Annahmenzu neuen Erkenntnissen aufmacht. Allerdings widmet sie diese Souveränitäthier noch dem verschwörungstheoretischen Wissen – die neuen Erkenntnissesind noch jene, die sich der negativen Metaphysik zuordnen undden Weg zum Dritten Testament öffnen sollen. Sie begegnet diesem negativenWissen gleichwohl offensiv: Ohne Angst vor der Erkenntnis – also anders alsbeispielsweise Anselm oder Honorius – widmet sie sich der Enthüllung dieserWissensbestände, ungeachtet ihrer möglichen Schrecknisse und Konsequenzen.Um freilich dann zu einer Souveränität zu gelangen, die der negativenMetaphysik ihre Macht nimmt, und damit wirklich eigenen Stand zu gewinnen,muss sie nochmals tief in diese hinein und bis zum Herzen der Finsternisvordringen. Erst in diesem Durchgang kann sie darüber hinaus gelangen undsich endgültig dagegen durchsetzen. Elisabeth ist sich der Notwendigkeit diesesEintauchens bewusst. In einer Parallelmontage mit Conrads Vordringenzur Burg des Grafen von Sayn spricht sie ein Gebet. Darin wird zunächst deutlich,dass sie den Raum der gewohnten Glaubenswelt ihrer Zeit verlassen undsich geradezu in Widerspruch dazu begeben hat – sie hat ihre „Pflichten überalle Maßen vernachlässigt und gelernt das zu tun, was [Gottes] Gebote verdammen“(IV, 31). Dennoch sieht sie ihren Weg als richtig an und bringt diesdarin zum Ausdruck, dass sie mit diesem Weg Gottes „Namen auf ungewöhnlicheArt gewürdigt“, aber eben doch immerhin gewürdigt habe; bei dem vonConrad übernommenen Auftrag, den Antichristen zu töten, betrachtet sie sichals Instrument von Gottes Willen (IV, 31). Sie bittet Gott, über sie zu wachen,während sie „in die Finsternis eintauche“, und dafür zu sorgen, „dass die Finsternisnicht in [sie] eintauche“ (IV, 32). In den Szenen danach enthüllt sich imGespräch mit Guillaume – wiederum in einer Parallelmontage mit Conrad, derdieselbe Enthüllung in der Burg des Grafen von Sayn durch Bischof Uther erfährt– die wahre Identität des Grafen als der Bruder Jesu und „der Messiasdes Endes aller Zeiten“ (IV, 38); auf der Überfahrt in den hohen Norden erarbeitetGuillaume mit ihr zusammen dafür die Belege aus der Heiligen Schriftund aus den Schriften der Essener sowie die Identität der Horde als der „verloreneStamm Israels“ (IV, 40). Die letzten fehlenden Elemente erfährt sie dannkurz vor Ende der Erzählung, als der Graf von Sayn Conrad enthüllt, dass dasDritte Testament gewissermaßen den Schalter für die Auslösung der Apokalypsebildet und Conrad selbst der Antichrist ist, der diesen Schalter betätigensoll (IV, 70).Mit diesen Enthüllungen taucht Elisabeth nun vollständig in die verschwörungstheoretischenegative Metaphysik und damit in die Nacht des Wissensein. Ihr Gebet kündigt dies an und benennt zugleich das Eintauchen in dieFinsternis als Motiv auf der sprachlichen Ebene. Elisabeth befindet sich damitgleichzeitig in Conrads Welt, im Fakten-Realismus seines ideologischenGlaubens, der insbesondere die negativen transzendenten Mächte als reifiziertemetaphysische Agenten betrachtet. Auch Elisabeth muss diese Realität nunals konkrete Realität mit geradezu apokalyptischen Konsequenzen für die Immanenzakzeptieren und kann sie nicht länger nur als Größen einer metaphorischenRede deuten. Aus den Inhalten des ideologischen Glaubens ist ein Wissengeworden, das die Immanenz als Ganzes zu zerstören vermag und das dabeigleichzeitig Faktum geworden ist, nicht mehr Glaubensbestand. Es ist gewissermaßendie Inkarnation der metaphysischen Negation, die Immanenzwerdungder Nichtung der Immanenz und damit gleichzeitig die Nichtung alles(übrigen) immanenten Wissens. Eben deshalb kann dieses negative metaphysischeWissen als die Nacht des Wissens bezeichnet werden. Das Zentrumin dieser Nacht des Wissens bildet die Enthüllung der Bedeutung des DrittenTestaments und der Rolle Conrads. Die Fahrt in den hohen Norden bringt Elisabethdann nicht nur geistig, sondern als Person und damit als Akteurin insHerz dieser Finsternis. Notwendig ist dieses physische Vordringen in die Finsternis,um dort gegen die metaphysische Geschichte der Welt bzw. die Verschwörungder transzendenten Mächte gegen die Immanenz vorgehen zu können.Mit dem konkreten Versteck des Dritten Testaments auf der Spitze desGletschers im hohen Norden hat die Immanenzwerdung der Nichtung der Immanenzeinen konkreten Ort, an dem diese Nichtung der Immanenz auch ausgeliefertist und von ihr her angegriffen werden kann. Die Überführung derApokalypse als Glaubensbestand in ein faktenrealistisches Wissen – die Inkarnationdes negativen Wissens – und die Verortung der Nichtung sind so dieBedingung der Möglichkeit dafür, dass sich die Immanenz gegen ihre Nichtungund die Welt gegen ihre metaphysische Geschichte zur Wehr setzenkann. Eine Erzählung, die die Handlung in der Zeit entfaltet, bedarf einer solchenInkarnation, um das Ende der Story als Handlung im Plot entwerfen zukönnen. Erzählbar sind jedoch auch Geschehnisse, die den Figuren zustoßen,erzählbar ist auch die Passivität, das Ausgeliefertsein. Die Tatsache, dass dasEnde der Erzählung als Handlung konfiguriert ist, steht daher in unlösbaremZusammenhang mit der Bedeutungskonstitution. Insbesondere die Rolle desDritten Testaments als Schalter für die Auslösung der Apokalypse eröffnetdabei die Möglichkeit einer Entscheidung, die auch gegen die metaphysischeGeschichte gerichtet sein kann, und diese Entscheidung kann von Menschenals Menschen in all ihrer Kontingenz getroffen werden. Die metaphysischeGeschichte der Welt erscheint deshalb nicht als unausweichlich, als von derTranszendenz her präformiert bzw. als Gottes Vorsehung. Möglich wird amEnde vielmehr eine menschliche Wahl auf der Basis menschlicher Freiheit.Es ist Elisabeth, die diese Wahl stellvertretend für die Menschheit und fürdie Immanenz als ganze trifft. Hierzu muss sie sich gleichwohl von Conrad alsihrem Mentor endgültig verabschieden. Die Möglichkeit dazu wird ihr dadurcheröffnet, dass sie von Steiner erfährt, wer sie in Wahrheit aus den Flutendes Flusses gerettet hat, nämlich Trevor. Dies löst Elisabeth aus jeder moralischenVerpflichtung gegenüber Conrad und entlässt sie damit in eben jene Eigenständigkeit,mit der sie gezwungenermaßen durch die Trennung von Conradund Trevor ohnehin bereits den ganzen vierten Band über gehandelt hat.Der Topos der Wahl wird dabei durch den Grafen von Sayn im Gespräch mitConrad eingeführt: Mit Bezug auf den zweiten Schöpfungsbericht weist derGraf darauf hin, dass der Mensch „vom Baum der Erkenntnis gekostet“ habeund seither „mit dem Bewusstsein von Gut und Böse“ umherirre, gleichwohl„unfähig“ sei, „diese im Moment der Wahl voneinander zu unterscheiden“(IV, 70). Die Apokalypse bedeute daher auch ein Ende des Zweifels (IV, 70).Der Verweis auf die Erkenntnis benennt das Motiv des menschlichen Wissens,verschiebt es jedoch nun auf die Ebene der Moralität. Ähnliches geschieht mitdem Motiv des Zweifels, der hier nicht als methodischer für die Erlangungvon theoretischem Wissen erscheint, sondern als praktischer Zweifel, der indie Orientierungslosigkeit mündet. Der Mensch, aus dem Paradies verstoßen,scheint sich demzufolge mit seiner Fähigkeit der Erkenntnis in die Überforderungbegeben zu haben und in der Welt kein moralisch rechtes Leben führenzu können. Er wirkt wie ein Irrläufer, ein missglücktes Experiment der Schaffungkontingenter, erkenntnisfähiger Freiheit. Die Lösung, die der Graf vonSayn dafür anbietet, ist entsprechend radikal – das Experiment wird rückgängiggemacht und die Kontingenz vernichtet.Dagegen steht Elisabeth nun auf: „Es ist wahr, ich habe Meinesgleichenzweifeln und wanken gesehen. Aber ich sah auch, wie sie liebten, litten undsich opferten…“ (IV, 71) Sie bringt damit zunächst das Motiv der Menschlichkeitbzw. den Wert des kontingenten menschlichen Lebens zum Tragenund verbindet dies bereits mit der Moralität, die sich in diesem Leben in Gestaltder Liebe, des geduldigen Ertragens und altruistischer Handlungen zeigt.Auf diese Weise tritt Elisabeth zugleich aus der Welt des verschwörungstheoretischennegativen metaphysischen Wissens heraus: Unterwegs zu den Templernnoch erscheint ihr das „Los“ der „einfachen Leute“ geradezu „nichtig“und bezeichnet sie deren „Freud und Leid“ angesichts ihres Wissens um diemetaphysische Geschichte und ihrer eigenen Rolle darin als „belanglos“ (IV,30). Elisabeth befindet sich dort noch in der klassischen Situation der Verschwörungstheoretikerin,die sich durch ihr arkanes Sonderwissen von dernormalen Welt getrennt fühlt und diese zusammen mit dem normalen menschlichenLeben als uneigentlichen Status bewertet. Obwohl sie mit dem Mutzum Wissen auftritt und ´ketzerische´ Vernunftexperimente wagt, steht sienoch in Conrads Welt. Zwar bewegt sie sich in dieser Welt souverän und eigenständig,doch kann sie sich noch nicht in ein eigenständiges Verhältnis zudieser Welt als ganzer setzen – geschweige denn, diese Welt überwinden.Auch der mutig Wissenden mit ihrem impliziten Prinzip des Sapere aude erscheinendaher Kontingenz und Immanenz angesichts der metaphysischen Geschichtevorerst noch nachrangig. Jetzt hingegen rückt eben dieses normaleLeben der einfachen Leute in den Status der Eigentlichkeit, des eigentlichWichtigen, für das Elisabeth sich einsetzt und das sie gegen die metaphysischeGeschichte in Stellung bringt. Sie schlägt sich damit auf die Seite dieses normalenLebens, seiner Kontingenz und Immanenz, und tritt aus dem verschwörungstheoretischenSetting der negativen Metaphysik heraus. Das ist die Voraussetzungdafür, dass sie diesem Setting nun als Ganzes gegenübertreten unddagegen aufstehen kann. Von dieser Parteinahme aus unterstreicht sie dann dieFähigkeit und die Kompetenz des Menschen zur Wahl: „Vor allem aber sahich sie wählen. Diese Wahl ist es, die verbotene Frucht, die aus uns Menschenmacht.“ (IV, 71) Die Wahl als Akt der menschlichen Freiheit wird von ihrdamit geradezu als ein konstitutiver Grundakt des Menschseins überhaupt akzentuiert.Hat sie in der zweiten Phase ihrer Entwicklung das Wissen als Möglichkeitsbedingungder Freiheit und Selbstständigkeit des Menschen benannt,so wird dies nun weiter dahingehend ausgezogen, dass die sich in der Wahläußernde Freiheit den Menschen überhaupt erst zum Menschen macht.Die Wahl ist dabei durchaus ein kontingenter Akt konkreter endlicher Menschen.Elisabeths Parteinahme für das normale Leben normaler Menschen unddie Unterstreichung der Kompetenz zur Wahl sowie ihr Heraustreten aus demverschwörungstheoretischen Setting der negativen Metaphysik bedeuten daherauch, dass Elisabeth nun endgültig die Seite der Immanenz gewählt hat – unddieser die eindeutig dominierende Stellung in dem Oppositionspaar von Transzendenzund Immanenz zumisst. Ihre nächsten Sätze machen dies deutlich:„Ich will nicht wissen. Ich will diese Enthüllung nicht. Ich verweigere micheuerer Apokalypse!“ (IV, 71) Das hier abgelehnte Wissen ist dabei geradenicht das kontingente, immanente und vernünftige Wissen, für das Elisabethsich bisher immer wieder eingesetzt hat, sondern eben das faktenrealistischeWissen des ideologischen Glaubens und der negativen Metaphysik. Eben diesesWissen weist sie nun als irrelevant von sich. Gleichzeitig verweigert siesich der Apokalypse und damit letztlich der metaphysischen Geschichte derWelt. Vom Grafen vom Sayn in Frage gestellt, mit welchem Recht sie einesolche Weigerung vollziehe, antwortet sie: „Ich bin die Schöpfung! Ich werdenicht ins Nichts zurückkehren!“ (IV, 71) Mit diesen Sätzen hat Elisabeth nunihre universalhistorische Rolle angenommen und tritt als Repräsentantin derMenschheit und der Welt bzw. der geschaffenen Wirklichkeit als ganzer auf.Im Paradigma der Opposition von Transzendenz und Immanenz kann sie dieApokalypse nicht als Übergang in ein himmlisches Jerusalem verstehen, sondernnur als Vernichtung des Geschaffenen. Die Heilsperspektive entgeht ihr;im Muster des ideologischen Glaubens, wie er von Conrad verkörpert unddurch den Grafen von Sayn reifiziert wird, dominiert die Unheilsperspektiveund erscheint das Heilshafte allenfalls als Vermeidung von Bestrafung undHöllenfeuer, die den Ketzern als denjenigen drohen, denen es an einstimmigemWohlverhalten ermangelt. Konfrontiert mit einem solchen Unheilsparadigmades ideologischen Glaubens und der negativen Metaphysik kann diewahrhaft menschliche Reaktion deshalb nur darin bestehen, diese als ganze zuverwerfen.Angesichts einer metaphysischen Geschichte, die die konkreten Menschenund ihr kontingentes Schicksal nicht zu achten scheint, ist diese menschlicheReaktion zugleich eine moralische. Die Dimension der menschlichen Moralitätbringt Elisabeth dann nochmals mit Blick auf Trevor und dessen selbstloseRettungstat zur Sprache: „Wenn Trevor sich freikaufen konnte, dann verdienenwir zumindest eine Chance…“ (IV, 71) Die Kompetenz des Menschen zurWahl wird damit nochmals als zugleich moralische Kompetenz unterstrichen.Wo sogar ein materialistischer Nihilist wie Trevor am Ende doch zu einer moralischenWahl fähig ist, die das kontingente Leben eines anderen Menschenüber das eigene Wohl und den eigenen Nutzen setzt, erscheint darüber hinausdas endliche, kontingente Menschenwesen letztlich sogar der metaphysischenGeschichte und ihren transzendenten Veranstaltern moralisch überlegen zusein, die diese Achtung aufzubringen anscheinend nicht in der Lage sind. Elisabethseigene Wahl, die Immanenz und ihre Belange der Transzendenz vorundüberzuordnen, erhält vor diesem Hintergrund daher selbst moralischesGepräge und erscheint als moralische Wahl. Auf diese Weise legitimiert dieErzählung dann auch ihre darauf folgende Aktion, mit der sie ihre Wahl in Tatenübersetzt – indem sie Conrad den Dolch in den Leib stößt, als dieser beginnt,die Siegel des Dritten Testaments zu öffnen. Die Absage an den ideologischenGlauben, an die Abwertung der Immanenz und des kontingentenmenschlichen Lebens wird so ratifiziert, indem der Repräsentant dieser Abwertungin dem Moment vernichtet wird, in dem er diese endgültig durchzusetzendroht. Wie zu sehen war, erfüllt Elisabeth damit mittelbar zugleichConrads Auftrag, den Antichristen zu töten. Gleichwohl bleibt die Wahl, diesie trifft, ganz ihre eigene und ist ihre Tat mehr als nur eine Erfüllung diesesAuftrags: Weder hat Conrad vorhergesehen, dass er selbst die Rolle des Antichristenspielen würde, noch war sein Auftrag mit der Intention verbunden,das Muster des ideologischen Glaubens als Ganzes zu durchkreuzen und dieImmanenz über die Transzendenz zu stellen. Conrad kann daher nur abtretenund wird lediglich als Abtretender zu einer universalhistorisch bedeutsamenFigur, während es Elisabeth ist, die von nun an die Heldenrolle übernimmtund ihren Mentor zusammen mit seiner Welt vollständig hinter sich gelassenhat.Elisabeth ist damit durch die Nacht des Wissens hindurch gegangen unddiese Nacht endet. Für ihren Abschluss greift die Erzählung daher auf dieLichtmetapher zurück: Nach dem Tod des Grafen von Sayn und dem TodConrads erhellt sich der Himmel, ein warmes Licht färbt den Gletscherschneeund liegt auf Elisabeths Gesicht, die mit großen, offenen Augen aus dem Panelin die Ferne blickt (IV, 75). Auf einer Doppelseite wird danach gezeigt, wassich ihrem Blick darbietet – ein Panorama von Berggipfeln, Wolken und deraufgehenden Sonne am Horizont (IV, 76f). Elisabeth steht selbst auf dem Gipfelund befindet sich so über den Wolken; ihr Blickfeld ist frei und ist der hellenSonne zugewandt. Diese Freiheit und Offenheit dokumentiert sich auchformalästhetisch: Die Doppelseite ist ohne Panelränder; sie ergibt ein überbeide Seiten sich erstreckendes Superpanel ohne graphische Begrenzung, dasdamit selbst über die Schnittkanten der Seiten hinauszureichen scheint und soin eine nicht definierte Weite und Offenheit führt. Diese lichthafte Weite bildetzugleich den Kontrapunkt zur Splash page des Bandes, die gleichfalls alsDoppelseite angelegt ist, jedoch die Finsternis (mit Elisabeths Versinken inden schwarzen Fluten) ausdrückt. Insofern auf dieser eröffnenden Doppelseiteauch die Rettung Elisabeths aus den Fluten ins Bild kommt, weist sie zugleichauf eine Rettung aus der Finsternis voraus – eine Rettung, die hier nun nicht(nur) vom männlichen Personal, sondern von Elisabeth als weibliche Inkarnationder Schöpfung heraufgeführt wird. In den Captions der Memoiren Elisabethsbringt der Text das Motiv des Wissens zurück und thematisiert das gesetzteEnde. Der Text beginnt mit einer Reflexion Elisabeths über ihr Handelnund seine Verantwortbarkeit: Mit Conrad, so bekennt sie, sei „ein Teil meinerSeele und die Aussicht auf ein dunkles Zeitalter gegangen. Tag um Tag steigertdas Elend dieser Welt die Last meiner Trauer. Die Wahl, die ich im Namenaller getroffen habe, verurteilt mich zu einem durch jeden Todesschreineuerlich verdammten Leben… das durch jedes Lächeln die Absolution erlangt.“(IV, 76) Elisabeth reflektiert damit über die Konsequenz einer Tat, diedie Existenz der Immanenz prolongiert, ohne dass ein Ende dieser Prolongationabsehbar wäre. Damit sind auch die Negativposten dieser Immanenz verlängert,die Bedingungen der Endlichkeit, der Antastbarkeit, Verletzbarkeitund Versehrbarkeit kontingenter und endlicher Lebewesen. Elisabeth nimmtdies ungeschmälert und ungeschminkt in Blick. Dagegen jedoch setzt sie dieFreude an der Existenz, das glückvolle Lächeln des Daseins, in dem sich fürsie der Wert des Fortbestands einer endlichen, kontingenten Menschheit fürdiese selbst beweist. Deren Geschichte ist mit Elisabeths Verweigerung gegenüberdem metaphysischen Plan zudem wieder oder zum ersten Mal eine offeneGeschichte geworden und sie ist die Geschichte der Menschen, generiertausschließlich durch menschliches Handeln. Damit ist an die Stelle der metaphysischenGeschichte die immanente Geschichte getreten, deren Weg nurbegrenzt und deren Ende nicht vorhersehbar ist. Diese Unvorhersehbarkeitbildet gewissermaßen den Preis für die gewonnene Offenheit. Gegangen hingegenist mit der Verabschiedung der metaphysischen Geschichte die Aussichtauf ein dunkles Zeitalter, das zunächst einmal und unmittelbar die Epoche derapokalyptischen Vernichtung gewesen wäre, mit dem ohne Zweifel jedochauch eine vom ideologischen Glauben Conrads geprägte Epoche gemeint ist.So weit die Erzählung hintergründig das Mittelalter als eine entsprechend dominierteEpoche erscheinen lässt, wird zugleich diese durch eine neue abgelöst.Auf diese neue Epoche spielt der Text in den Passagen an, die sich demWissen widmen. Diese wird zunächst als das wieder entdeckte Wissen der Antikeeingeführt: Elisabeth spricht hier von einen Kosmos des Wissens, der sichvon „den Tafeln des Vitruvius bis zu den Pergamenten des Aristarchos“ erstrecktund nennt dies – wie zuvor schon den Bestand der unterirdischen Bibliothek– einen „Schatz“ (IV, 76). Dieser Schatz inspiriert neue Gedanken, sodass der forschende Geist nicht stehen bleibt oder sich auf Traditionsbeständeselbstgenügsam zurückwendet, sondern vielmehr kreativ voranschreitet undNeues entwickelt: So „finden bereits die Ideen der Alten den Weg zum neuemGeiste. Kopien von Texten, welche wir verloren glaubten, tauchen in europäischenUniversitäten auf.“ (IV, 77) Der Text lässt sich einerseits als Referenzauf die Aristotelesrezeption seit Mitte des 12. Jahrhunderts sehen; er bringtandererseits aber auch bereits das Zeitalter der Renaissance in Blick, das im14. Jahrhundert einsetzt, und feiert die Wiedergeburt des Denkens aus denWissensbeständen der nichtchristlichen Antike. Hieran schließt erneut eineCharakterisierung des Wirkens Elisabeths an, die noch weiter, nämlich auf dieAufklärung voraus verweist. Elisabeth und die Überlebenden des vorangegangenenKampfes haben sich zusammengetan und sich auf der ehemaligen FestungsinselStornwall angesiedelt. Von dort, „einst dem Herz[en] der Finsternis“,verbreiten sie „das Licht des Verstandes und die Hoffnung auf eine Wiedergeburt…(IV, 77) Die zuvor bereits bildlich eingebrachte Metapher vomLicht der Vernunft wird hier nun sprachlich explizit gemacht. Mit ihrer Wahlund der Durchsetzung der Immanenz gegen die metaphysische Geschichte hatsich Elisabeth endgültig auf die Seite dieses Lichts, „das niemals flackert“ (IV,13), gestellt und wird von ihm nicht nur geleitet, sondern wirkt daran mit, diesesLicht selbst zu verbreiten. Gleichzeitig setzt sich nun ihr Engagement fürdas Wissen geradezu epochal durch und verspricht nicht weniger, als eineWiedergeburt des Menschengeschlechts aus dem ´Wagnis des Wissens´ unddes ´Gebrauchs des Verstandes ohne Leitung eines Anderen´ (ImmanuelKant). Elisabeth ist damit am Ende ganz bei sich angekommen – sie ist einigmit ihrer immer schon bestehenden Parteinahme für das vernünftige Wissen,die Menschlichkeit und die Moralität. Zugleich ist sie eine Vorreiterin und Galionsfigurder neuen, gerade anhebenden Epoche der Renaissance, mit einemVorausblick auf die Aufklärung. Das drohende Ende der Immanenz in derApokalypse ist auf diese Weise umgewendet in das immanente Ende einer geschichtlichenEpoche, auf die eine neue folgt.Inwieweit Elisabeths Wahl dabei die Immanenz gänzlich von der Transzendenzgelöst hat, bleibt offen. Allerdings erinnert dieser Abschluss in seinerDramatik und angesichts des zuvor inszenierten gewaltigen Ringens mit denapokalyptischen Mächten an das nietzscheanische Motiv der von der Sonnelosgeketteten Erde. Mit dem Grafen von Sayn und Conrad sind die entscheidendenRepräsentanten einer Dominanz der Transzendenz über die Immanenzgetötet und ist die Immanenz zumindest in die dominante Stellung gebracht.Falls die Erzählung damit Assoziationen an den Tod Gottes bei Nietzsche weckenwollte, wäre damit möglicherweise auch der Zugriff der Transzendenzauf die Immanenz ausgelöscht und die Immanenz zusammen mit dem menschlichenHandeln und der menschlichen Geschichte in eine rein säkulare Freiheitentlassen. Auch Nietzsche fragt im Übrigen in der genannten Passage zumindestrhetorisch nach der Verantwortbarkeit einer solchen Tat: „Was taten wir,als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun?Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend?[…] Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?“ (Nietzsche1966, 127) Doch auch Nietzsche sieht damit ein dunkles Zeitalter als zu Endegegangen an: „Wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tatwillen [Gott getötet zu haben] in eine höhere Geschichte, als alle Geschichtebisher war!“ (Nietzsche 1966, 127) Die von ihm bemühten Metaphern lassenin ihrer Bildlichkeit die abschließende Doppelseite zumindest teilweise als Paralleleerscheinen. So stellt er die neuen Freigeister und Philosophen in einemHalbsatz gleichfalls auf die Berge und lässt sie, „zwischen Heute und Morgenhingestellt“, als „Erstlinge und Frühgeburten des kommenden Jahrhunderts“eine neue Zeit erwarten und sich dabei „wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt“fühlen (Nietzsche 1966, 205f). Ebenso weitet sich für Nietzsche derHorizont – „endlich erscheint uns der Horizont wieder frei“ (Nietzsche 1966,206). Vor diesem freien Horizont ist für Nietzsche „jedes Wagnis des Erkennenden[…] wieder erlaubt“ (Nietzsche 1966, 206). Möglicherweise will dieErzählung also auf diese nietzscheanischen Passagen anspielen und ihr Verständniseines freien Horizonts und des Wagnisses des vernünftigen Wissensunter den Bedingungen der vollständigen Lösung der Immanenz von derTranszendenz etablieren. Gleichwohl ist die Schlussposition der Erzählungtrotz ihrer Anklänge an Nietzsche keine schlichte Rekapitulation nietzscheanischerReligionskritik. Sie ist vielmehr im gesamten Kontext der Erzählung unddamit auch im Zusammenhang mit den von anderen Figuren verkörperten Positionenzu sehen, auf die noch genauer einzugehen ist.Keine Parallele finden zudem Nietzsches amoralischer Naturalismus undseine Reflexionen über den Nihilismus. Elisabeth findet ihre Legitimationvielmehr im kontingenten Glück des Menschseins, in der Freude am Existierenüberhaupt, und in der menschlichen Fähigkeit zur Liebe und zum altruistischenHandeln. Die menschliche Kompetenz, jeweils neu eine Wahl zu treffenund dabei bis zur Selbstlosigkeit gehen zu können, beweist für sie, dass derMensch auch zu Moralität fähig ist und sein Leben als moralisches zu vollziehen vermag. Das vernünftige Wissen ist daher in der Erzählung unlöslich mitMoralität und Menschlichkeit zu einem Motivkomplex verbunden. Offenbleibt, ob mit diesem Motivkomplex lediglich die apokalyptische Welt des ideologischenGlaubens und die Abwertung der Immanenz verabschiedet werdensollen und ob eine andere Gestalt des Glaubens und des Transzendenzbezugesdenkbar ist. Offen bleibt daher auch, ob Elisabeth jemals wieder betenwird oder ob das Gebet vor ihrem Eintritt in die Finsternis ihr letztes war. ImAufbau der Erzählung steht dieses Gebet noch vor Elisabeths endgültiger Lösungvon ihrem Mentor Conrad und könnte so ihr letztes gewesen sein.Gleichwohl hat Elisabeth durch ihren Ziehvater, Bischof Charles von Elsenor,offenkundig auch eine andere, aufgeklärtere und immanenzvermitteltere Formdes Glaubens kennen gelernt. In der Auseinandersetzung mit Conrad und Steinerakzentuiert sie zudem ein Gottesbild, das von dem des ideologischenGlaubens deutlich abweicht – Gott erscheint dort gerade nicht als einer, derdie Immanenz zu Gunsten der Transzendenz und der metaphysischen Geschichteabwertet und dem das Leben der Menschen nicht wichtig wäre. Ebensozeigt Elisabeth durchgängig, dass es für sie keinen Widerspruch zwischenGottes Willen und dem Recht des Menschen auf Wissen und Selbstbestimmunggeben kann. Auch mit Blick auf die Figur Elisabeths selbst und ihreEntwicklung würde daher eine schlichte religionskritische Deutung diesesSchlusses dem Komplexitätsniveau der Erzählung nicht gerecht. Festzuhaltenbleibt daher vorerst nur, dass mit diesem Ende der Welt des ideologischenGlaubens und der negativen Metaphysik eine Absage erteilt und die Immanenzzusammen mit der Kontingenz menschlichen Lebens deutlich aufgewertetwird.
Gläubige und Ungläubige, Machtbesessene und Apokalyptiker: Weitere Figuren
Durch die weiteren Figuren, die teilweise tragende Rollen haben, teilweise jedochauch ausgesprochene Nebenfiguren bleiben, werden einzelne Motivenochmals in modifizierter Form durchgespielt und weitere Motive eingeführt.Aus motivanalytischer Perspektive lassen sich dabei mitunter Paare bilden,mit denen ein Motiv in zwei verschiedene Richtungen geführt wird. Dies istetwa der Fall bei Trevor und Tessingher sowie bei Honorius und Clemens. Diebeiden letztgenannten akzentuieren Varianten zu den auch von den beidenHauptfiguren Conrad und Elisabeth verkörperten Motiven des Glaubens, desWissens und der curiositas. Sie ergänzen auf diese Weise die Auseinandersetzungmit diesen Motiven im erzählerischen Diskurs zu einem komplexerenund differenzierteren Bild. Honorius zeigt sich trotz seines kurzen Auftritts alseine vielschichtige Figur: Er ist Franziskaner und ursprünglich der Prior desKlosters von Veynes. Ins Bild gesetzt wird er jedoch zu einem Zeitpunkt, alser diese Position im Orden bereits aufgegeben hat und eine Art Eremitendaseinzusammen mit seiner Haushälterin im „Herrenhaus von Tourmalet“ führt(I, 34). Dieses ist hoch oben in den Pyrenäen angesiedelt und steht allein amRand einer Klippe, fernab aller menschlichen Gemeinschaft (I, 34f). Honoriusselbst trägt seine franziskanische Ordenskutte, verfügt über lange, wallendeweiße Haare und einen ebensolchen Bart; er ist alt und sein Gebiss ist fehlerhaft(I, 36). Sein etwas verwahrlostes Aussehen und die Einsamkeit seinesHauses wecken Assoziationen an das frühe Anachoretentum der Wüstenväter.Dazu fügt sich auch der Standort seines Hauses am Rand der Klippen, die steilin einen Abgrund abfallen – ähnlich dem durchaus extremistischen Leben derWüstenväter führt auch Honorius a life on the edge. Wie der weitere Gang derHandlung zeigt, verdankt sich dies jedoch nicht einer spirituellen Experimentierfreudigkeit,sondern dem Drang zum Wissen. Ausgestattet mit einer Brilleund einer reichhaltigen Bibliothek ist Honorius ein Gelehrter (I, 36). Die Szenedes Gesprächs mit Elisabeth über den faktenrealistischen Gehalt derReisetagebücher des Julius von Samarien bringt ihn dabei kurzzeitig in derRolle des Verschwörungstheoretikers (I, 40). Das Bild des Lebens am Abgrundund der Existenz jenseits aller normalen menschlichen Gemeinschaftfügt sich gut zu dieser Rolle, die der Plot der Erzählung an dieser Stelle benötigt,um der Suche von Conrad und Elisabeth einen konkreten Gegenstand undihrer Quest ein Ziel zu geben. Honorius ist jedoch mehr als nur ein Verschwörungstheoretiker.Dreh- und Angelpunkt für die motivische Bedeutung der Figur sind die beidenGeschichten, die Honorius erzählt, nämlich die Parabel über Julius undseine eigene Geschichte mit den in Qumran gefundenen Texten. Die Parabelerschließt die innere Zerrissenheit Honorius zwischen Glauben und Wissen:Julius erhält von Gott eine Truhe mit dem ultimativen Wissen, und dies gewissermaßenals Belohnung für seine eigenen Studien als einer der „fortgeschrittenstenGelehrten“, der bereits nahe an dieses ultimative Wissen herangekommenist (I, 37). Er darf diese Truhe jedoch nicht öffnen, so dass diese einerseitsals Bestätigung des richtigen Weges seiner eigenen Studien erscheint,andererseits jedoch eine Art Mahnmal dafür darstellt, dass der menschlicheForscherdrang bestimmte Grenzen und Schwellen nicht überschreiten dürfe.Honorius selbst legt daher die Parabel so aus, „dass alles, was der Menschkennen sollte, der Wille Gottes ist“ (I, 37). Honorius´ eigene Geschichte mitden Qumran-Texten parallelisiert dann diese Parabel. Obwohl schon beimRücktransport der Texte einzelne Mitglieder der mit diesem Transport beauftragtenGruppe auf rätselhafte Weise zu Tode kommen, nimmt Honorius dieszunächst nicht als Fingerzeig für die Gefährlichkeit dieser Texte. Vom Willenzum Wissen getrieben, verweigert er sich vielmehr partiell dem Auftrag derKirche, die Texte zu vernichten, und gibt schließlich der curiositas nach, als erdie „Pergamente“ im Reliquienschrein zumindest ´überfliegt´ (I, 39). Andersals Julius in der Parabel aber bereut Honorius dies sogleich: Das Wissen, daser durch den Blick in die Pergamente erhält, verdeutlicht ihm nun den verderblichenCharakter der Texte – „ich begriff, was dieses Manuskript war, das soviel Unglück über unsere Reisegruppe gebracht hatte“ (I, 39). Er verzichtetdaher auf das Wissen, indem er die Pergamente einmauern lässt und sich auferlegt,den Inhalt „zu vergessen“ (I, 39). Gegen Elisabeth optiert er sogar fürdie Legitimität der kirchlich verordneten Verbrennung der Manuskripte undschließt mit dem Fazit: „Es gibt Grenzen für das, was ein Mensch wissen sollte…Die Wissenssuche muss da aufhören, wo die Eitelkeit vor Gott beginnt!“(I, 39)Honorius verkörpert damit sehr deutlich die Option für ein Wissen innerhalbder Grenzen des Glaubens. Der Glaube wird doppelt profiliert: Er erscheinteinerseits als die demütige Haltung des Geschöpfs vor seinem Schöpfer,als Bescheidenheit des endlichen Menschen, der sich nicht nur der Grenzenseiner Erkenntnisfähigkeit bewusst ist, sondern auch seine Erkenntnisinteresseninhaltlich an dem ausrichtet, was ihm – in Schrift und Tradition – alsOffenbarungswahrheit begegnet. Zum anderen akzentuiert Honorius denGlauben als Akt des Gehorsams gegenüber der Kirche. Aus den Erfahrungenseiner Geschichte heraus allerdings wagt Honorius es dabei durchaus, Positionender Kirche auch in Frage zu stellen wenn er betont, dass die Kirche „unrecht“hatte, die Parabel über Julius „als Apokryphe zu betrachten“ und durchDekret „aus den offiziellen Schriften“ zu tilgen (I, 36). Auch recherchiert erselbst weiter, nachdem das Manuskript bereits eingemauert ist. Bei dieser Recherchesucht er gleichwohl nicht nach dem Ort des ultimativen Wissens (alsodes Dritten Testaments), der ja im Manuskript benannt wird, sondern lediglichnach einem Beleg dafür, dass dieses Wissen überhaupt existiert (I, 40). Letztlichwill Honorius damit genau der Botschaft der Parabel entsprechen, alsowie Julius in der Parabel eine Bestätigung für die Existenz des ultimativenWissens erhalten, auf dieses für den Geist des Menschen nicht gedachte Wissenaber selbst gleichzeitig verzichten und damit dem Willen Gottes entsprechen.Der Glaube als Gehorsam gegenüber Gott und die Anerkennung dermenschlichen Grenzen haben damit den Primat gegenüber dem Wissen, dasinnerhalb dieser Grenzen jedoch durchaus erstrebt werden darf. In zweiter Positionbezieht sich der Glaubensgehorsam auch auf die Kirche; dies gilt jedochnur so weit, wie sich die Verordnungen der Kirche gleichzeitig vor der fragendenmenschlichen Vernunft und dem gegebenen Wissen nicht als unzutreffenderweisen: So hat das Wissen, das Honorius durch die in Qumran gefundenenManuskripte erwirbt, ihm einerseits gezeigt, dass die Parabel ein fundamentumin re hat – und deshalb widerspricht er hier der kirchlichen Auffassung –, andererseitsaber hat ihm dieses Wissen auch gezeigt, dass die kirchlich verlangteVerbrennung der Manuskripte gute Gründe für sich in Anspruch nehmenkann, – und hier revidiert er daher seine eigene ursprüngliche Haltung, dieManuskripte und ihren Wissensgehalt vor der Zerstörung retten zu wollen. Interessant ist dabei, dass Honorius die schicksalshaften Todesfälle in der Reisegruppeerst dann als quasi übernatürliches Zeichen – der Text spricht von einem„Fluch“ (I, 38f) – gelten lässt, als er auf der Ebene des Wissens Einblickin den Inhalt der Manuskripte erhalten hat. Eingriffe der transzendenten Mächtein die Immanenz erkennt er so durchaus an, jedoch erst, wenn diese durchein vernünftiges Wissen plausibilisiert sind.Honorius´ Haltung changiert damit insgesamt zwischen einer eher augustinischenPosition (die ihm als Franziskaner auch zukäme) und den rationalenNeuorientierungen im Gefolge der ´Renaissance des 12. Jahrhunderts´ und derAristotelesrezeption. Deutlich augustinisch ist die rahmengebende Vorordnungdes Glaubens vor das Wissen, die das credo dem intelligere als Bedingungvoraussetzt. Bei Augustinus führt dies letztlich zur Abwertung der curiositas,die als sich selbst genügendes Erkenntnisstreben gefasst und als Eitelkeitzurückgewiesen wird (Aug. conf. VII 20,26). Honorius schließt sich dem offenbaran, wenn auch er ein Wissen brandmarkt, das „Eitelkeit vor Gott“ ist (I,39). Gleichwohl geht er dabei nicht so weit, wie etwa in der Patristik Tertullian,der gegen eine platonische, stoische oder dialektische Transformation desChristentums (also gegen eine das Denken prägende Rezeption nichtchristlicherPhilosophie) betont, dass es nach Jesus Christus keiner Forschung undWissbegierde mehr bedürfe, sondern der Glaube genüge (Tert. praescr. 7).Darüber hinaus nutzt Honorius neue, aus bisher unbekannten Quellen stammendeWissensbestände, fragt und forscht weiter, und kritisiert von dort ausauch autoritative Vorgaben und kirchliche Entscheidungen. Dies bringt ihn indie Nähe der Autoren der ´Renaissance des 12. Jahrhunderts´ und der Aristotelikerdes 13. Jahrhunderts: Als wahr gelten kann für diese nur ein Wissen, dassich auch als vernünftig erweist. So insistiert etwa Thomas von Aquin darauf,dass es keinen Widerspruch zwischen vernünftiger Erkenntnis und den Wahrheitender Heiligen Schrift und der Offenbarung geben kann – wo solche Widersprücheauftauchen, ist für Thomas vielmehr die vernünftige Untersuchungnoch nicht weit genug getrieben worden. Allerdings bleiben für ihn die Wahrheitender Schrift und der Offenbarung materiales Rationalitätskriterium: Forschungsergebnisse– etwa in der nichtchristlichen Philosophie –, die der christlichenOffenbarungswahrheit widersprechen, stellen nicht diese Offenbarungswahrheitinfrage, sondern sind als ´Missbrauch der Philosophie´ und´Mangel an Vernunft´ selbst infrage zu stellen (Thomas von Aquin, Scg 17).Honorius´ Position zu Glaube und Wissen aber changiert so – mit Blick aufdie Revision der curiositas zugunsten des Verzichts auf bestimmte Wissensbeständekann man jedoch letztlich die augustinische als die für Honorius maßgeblicherePosition sehen. Honorius unterscheidet sich darin von den Aristotelikernseiner Zeit, vor allem aber von der Wissensorientierung, wie sie in derErzählung Elisabeth verkörpert, und ebenso von der Renaissance, die sie einläutet,bzw. von ihrer prototypisch auf die Aufklärung vorausdeutenden Haltung.Schon Honorius macht dabei eine Entwicklung durch, von der der Plotgleichwohl nur ein früheres und ein gegenwärtiges Stadium zur Darstellungbringt. Das frühere Stadium erscheint in Honorius´ Bericht über seinen Versuch,zumindest einen Teil der Qumran-Texte gegen den kirchlichen Auftragvor der Verbrennung zu retten, während das spätere Stadium sich in seinemFazit zu den gebotenen Grenzen der menschlichen Wissenssuche abbildet.Honorius´ Entwicklung ist damit bis zu einen gewissen Grad gegenläufig zurgeistesgeschichtlichen Entwicklung, die mit der ´Renaissance des 12. Jahrhunderts´ und der aristotelisch-thomanischen Scholastik eine ausgesprochenoptimistische Sicht des vernünftigen Wissens pflegt. Eine Entwicklung nunlässt sich auch bei Clemens als der zweiten Figur wahrnehmen, mit der nebenden Hauptfiguren die Motive von Glauben und Wissen durchgespielt werden.Auch Clemens ist Franziskaner, jedoch im Unterschied zu Honorius ein jungerMönch. Die ihm gewidmeten Panels lassen ihn stets in warmen Farben erscheinen,von Licht umspielt. Als er im dritten Band zum ersten Mal auftritt,wird er in seiner Jugend als verletzbar, unsicher und noch unreif inszeniert.Das erste Panel, das ihn in Frontalansicht zeigt, lässt ihn furchtsam, verstörtdurch das Feuer in St. Lukas, und mit großen Augen nach oben auf Conradblicken (III, 34). Obschon Clemens über eine Tonsur verfügt, sind seineverbleibenden Haare lang, wild wuchernd, und geben ihm ein ansatzweise femininesGepräge (III, 34). Die Tonsur wirkt damit noch nicht vollständig, sowie auch Clemens noch nicht zu einer bewusst gewählten, erwachsenen Identitätgefunden hat. Eben dazu fordern ihn nun die Ereignisse heraus.Als er dann jedoch im Gespräch mit Conrad und Elisabeth beginnt, dassiebte Rätsel zu lösen, packt ihn die wissenschaftliche Leidenschaft und seinBlick und sein Auftreten beginnen sich zu verändern. Er doziert, bezieht Elisabethin den Prozess der Lösung des Rätsels ein wie ein Magister, der seinenSchüler mäeutisch führt, und tritt damit in die Fußstapfen seines eigenen Lehrers,des Mönchs Wenzel, der zuvor an dieser Lösung gearbeitet hat (III, 35,38). Clemens ist nun der Experte, der kompetente Gelehrte, der die hebräischeSprache beherrscht und sich kundig in den kabbalistischen Methoden bewegt(III, 38f). Er zeigt sich damit geistig offen und ohne Berührungsängste gegenüberErkenntnisquellen, die außerhalb der christlichen Theologie liegen. Diessetzt sich im vierten Band fort, als Clemens nun seine Zweifel an der erstenLösung des siebten Rätsels Elisabeth gegenüber äußert und sich dann sogarauf ihren Zweifel und die ´ketzerische´ Supposition eines 13. Stammes und eines13. Apostels einlässt. Mehrmals wird dabei auch das Motiv der curiositaseingebracht, wenn Elisabeth Clemens damit konfrontiert, dass er ebenso wiesie ´vor Neugier brenne´, und dieser es mit derselben sprachlichen Wendungbestätigt (IV, 11, 13). Clemens ringt dabei mit seiner Neugier; als er mit Elisabethüber seine Zweifel an der ersten Lösung spricht, läuft er erregt in derKirche auf und ab, gestikuliert, wendet sich impulsiv zunächst gegen die ketzerischeSupposition, gesteht jedoch zuvor bereits ein, dass auch er an dieseMöglichkeit gedacht hat, und arbeitet schließlich die Lösung sogar auf dieserBasis aus (IV, 11f). Als er im Klosterinnenhof Elisabeth die Lösung bringt,eilt er mit fliegenden Gewändern zu ihr, von der Leidenschaft der Erkenntnisbewegt (IV, 12); durchaus stolz erläutert der diese Lösung und wird dabei inleichter Untersicht – also in einer heroisierenden Pose – ins Bild gesetzt (IV,12). Clemens zeigt sich nun souverän im Wissen und findet zunächst dadurchzu einer spezifischen erwachsenen Reife. Seine Identität ist an dieser Stelle diedes Gelehrten und seine Leidenschaft durchaus die der curiositas. Es ist zudemein reines Vernunftkalkül, das auf den Weg des Zweifels und dann zurLösung geführt hat: Clemens erscheint die erste Lösung falsch, weil sie eineRedundanz im Rätseltext voraussetzen muss und damit letztlich zu voraussetzungsreichist. Stattdessen unterstellt Clemens implizit ein Prinzip rationalerÖkonomie, wie es Wilhelm von Ockham in dieser Zeit formulieren wird.Clemens ist damit Honorius voraus. Seine Erkenntnisorientierung ist radikaler,im Gebrauch der christentumsfremden Methoden offenbar völlig unbesorgtund einer an den Nominalismus erinnernden Rationalität verpflichtet.Gleichwohl ist auch Clemens´ Suche nach Wissen in den Glauben eingebettet.So kommt es nicht von ungefähr, dass er seine Zweifel an der Lösung Elisabethausgerechnet in der Kirche vorträgt und ihn die Panels dort im warmenLicht zeigen, das durch das Fenster im Altarraum einfällt (IV, 11). Bei Clemenssteht dieses Licht daher nicht vorrangig für die Vernunft, sondern es istdas Licht des Glaubens, das seine Erkenntnissuche zudem künftig begleitenwird. Aus diesem Licht tritt Clemens auch nicht hinaus, als er die ketzerischeSupposition als Hypothese für seinen Lösungsversuch akzeptiert. Nachdem erElisabeth die Lösung vorgelegt hat und diese weiterreisen will, wünscht er ihrwie mit segnenden Worten, dass Gott sie schützen möge, und kündigt an, fürsie zu beten (IV, 12). Clemens vermag so also seine Gratwanderung bei derErkenntnissuche durchzuführen, ohne den Glauben als seine Grundorientierungaufzugeben. Im abschließenden Gespräch mit Elisabeth wird deutlich,dass er sich zu dieser Grundorientierung bewusst entschieden hat. Erneut aufseine Neugier hin angesprochen entgegnet er: „Ich brenne vor Neugier, FräuleinElisabeth. Aber ich gebe ihr nicht nach, denn sie würde mich dem Herrnentzweien. Ich habe gelernt und studiert, was der Herr und die Kirche wünschten…Muss ein Mensch wirklich mehr wissen, als ihm Gott selbst enthüllt?“(IV, 13) Mit dieser Entscheidung ist die Entwicklung Clemens´ zu einer erwachsenenIdentität vollständig. Er ist der Gelehrte, der sich für den Glaubenentschieden hat und seine Erkenntnissuche (künftig) im Rahmen dieses Glaubensvollziehen will, auch wenn dies Einschränkungen im Wissen nach sichzieht.Ungeachtet seiner Radikalität bei der Erkenntnissuche bleibt Clemens alsodem Glauben als seinem frame of reference verpflichtet. Es ist jedoch gleichzeitigdiese Radikalität, die diese Verpflichtung bei ihm zur Folge einer bewusstgetroffenen Entscheidung macht. Glaube und Vernunft sowie Glaubeund Wissen gehen bei Clemens nicht mehr harmonisch miteinander Hand inHand, wie dies etwa noch in der aristotelisch-thomanischen Scholastik der Fallist. Die Instrumente der Erkenntnisgewinnung bzw. die erkenntniskonstitutiveRationalität und der Glaube klaffen auseinander, so dass die Rückbindung anden Glauben einer Dezision bedarf. Damit rückt gegenüber der Erkenntnisstiftenden Vernunft der Wille in den Vordergrund, der diese Dezision vollzieht.Auch in dieser Hinsicht hat die gläubige Option Clemens´ daher eineVerwandtschaft zur Glaubensoption des Nominalismus und zu dessen augustinisch-voluntaristischen Grundzügen. Der Glaube wird entsprechend tatsächlichzu einem wählbaren Referenzrahmen, gegenüber dem auch ein andererReferenzrahmen gewählt werden könnte. Symbolisch verdeutlicht sich diesin jenem Panel, das vor dem lichterfüllten Himmel sowohl die Sprechblase Elisabethsals auch die Clemens´ enthält und die Metapher vom ´niemals flackerndenLicht´ verkörpert. Während Elisabeth damit Conrad meint (zugleichaber das Licht der Vernunft symbolisiert wird), deutet Clemens die Metapherauf Gott: „Ja, der Herr ist da, um seine Kinder zu führen, selbst wenn sie vomZweifel befallen sind…“ (IV, 13) Derselbe lichtvolle Himmel kann so fürzweierlei stehen und es ist eine Frage der Deutung, des Bezugssystems, welcherBedeutungsgehalt in ihm zu Erscheinung kommt. Er ist kein Realsymbolmehr, kein welthaftes Phänomen, dem ein eindeutiger Verweis entweder peranalogiam auf eine transzendente oder metaphorisch auf eine diesseitige Realitätabzugewinnen wäre. Entsprechend ist auch die Wahl des Referenzrahmensnun eine Frage der Entscheidung. In ihrem Referenzrahmen haben daherbeide mit ihren Äußerungen Recht – und können beide sich irren (so wie esElisabeth mit ihrer Annahme, Conrad habe sie gerettet und sei ihr vorauseilt,letztlich auch tut). Clemens aber verkörpert mithin eine etwas andere Auslegungdes Motivkomplexes von Glaube und Wissen als Honorius. WährendHonorius eher eine rückwärts gewandte, augustinische Option zum Tragenbringt, weist Clemens Position voraus auf die dezisionistischen Implikationendes gläubigen Nominalismus.Honorius und insbesondere Clemens stellen in der Erzählung positive Figurendar und damit auch Modelle einer Verbindung von Glauben und Wissen,denen eine spezifische Berechtigung nicht abgesprochen werden kann. Diesgilt vor allem für Clemens, während Honorius durch seine Rolle bezüglich derReisetagebücher Julius´ auch eine negative Verbindung mit dem Dritten Testamentbesitzt – immerhin hält seine Entscheidung, das Manuskript nur zuverstecken, anstatt es zu vernichten, dieses auch verfügbar. Darüber hinausneigt Honorius zu einem verschwörungstheoretischen Realismus, der den negativenmetaphysischen Mächten Substanzialität zumisst und so nicht völligfrei von Implikationen eines ideologischen Glaubens nach dem Muster Conradsist. Seine Entwicklung, die gegenüber der geistesgeschichtlichen gegenläufigund so rückwärts gewandt ist, unterstreicht dabei zusätzlich, dass seinModell ebenso wie der ideologische Glaube einer vergangenen Epoche angehört.Gleichwohl unterscheidet sich Honorius´ augustinische Glaubensoptionauch von der ideologischen Glaubensposition Conrads, so dass sie letztlich lediglichals ein älteres, typisch ´mittelalterliches´ (im Sinn einer populärklischeehaften Vorstellung vom Mittelalter) Modell der Zuordnung von Glaubeund Wissen erscheint. Als solches gibt die Erzählung ihm ein gewisses historischesRecht und verdeutlicht zugleich, dass dieses Recht zusammen mitder Epoche nun aber überholt ist. Etwas anders verhält es sich bei Clemens.Sein Modell basiert auf einer bewusst getroffenen Entscheidung, die von Elisabethpositiv bewertet wird. In Abgrenzung gegen die nihilistische FreiheitsoptionTrevors, die in Elisabeths Augen Orientierungslosigkeit nach sich zieht,rät sie Clemens: „Bleibt Euren Überzeugungen treu, Clemens. Sie zeichnenEuren Weg vor… Ich selbst habe zu viel gesehen, um zurück zu können.“ (IV,13) Die Erzählung lässt damit die Glaubensoption von Clemens als eine legitimeOrientierungsbasis erscheinen und gibt dem Respekt für persönlicheGlaubensüberzeugungen einen positiven Stellenwert. Anders als Honorius hatClemens seine Wahl zudem nicht aus Angst heraus getroffen, sondern um seineneigenen Lebensentwurf weiterhin stimmig leben zu können. Als bewusste,persönlich getroffene Wahl, in der sich eine subjektive Notwendigkeit ausdrückt– Clemens will sich ´nicht dem Herrn entzweien´ – und die eine lebensdienlicheFunktion besitzt, wird der Glaube so von der Erzählung auchdann bejaht, wenn dies den subjektiven Verzicht auf bestimmte Wissensformeneinschließt. In diesem Fall gilt der Fortschrittsvorbehalt, wie er in Bezugauf Honorius geltend gemacht wird, daher offensichtlich nicht.Das kontradiktorische Gegenstück zum Glauben ist der Unglaube. Als Motivwird dieser mit den Figuren Trevor und Tessingher durchgespielt, wobeiTrevor durch seine Rolle als drittes Mitglied der Heldengruppe und durch seineEntwicklung eine positive Funktion, Tessingher hingegen eine negative zukommt.Trevor wird im zweiten Band eingeführt und noch bevor er im Bilderscheint sowohl als „Söldner“ als auch als „Dieb“ charakterisiert (II, 4). Seinerster bildhafter Auftritt zeigt ihn, wie er vortäuscht, ein Bettler zu sein; er istunrasiert, jung, rotblond und grinst schelmisch (II, 6). Sein ganzer Habituslässt ihn im Gespräch mit einem anderen Agenten Steiners als leichtfertig undhedonistisch erscheinen – er gibt ganz den Charaktertyp des happy go luckyab. Schon in diesem ersten Dialog lehnt er fervent ab, „Märtyrer für Deinen[des anderen Agenten] verdammten Gott“ zu werden und zeigt sich so als ungläubig(II, 7). Im Heldentrio ist Trevor die Figur des Trickster, also eine unberechenbareGestalt, der nicht zu trauen ist und die nur ihren eigenen Vorteilim Sinn hat. Diese Orientierung wird von Steiner im Gespräch mit Conradbestätigt und gleichzeitig als ökonomische genauer qualifiziert: „Trevor wirdniemanden verraten, weil allein das Geld für ihn zählt! Ich zahle gut… besserals jeder andere… und was man ihm auch bietet, er weiß, dass ich das Doppeltezahle!“ (II, 33) Trevor ist ein materialistischer Nihilist, der außer demGeldwert keine weiteren Werte zu kennen scheint, wie seine Pietätslosigkeitexemplifiziert, als er im dritten Band dem toten Matrosen den Geldbeutel abschneidetund dabei dessen Tod begrüßt (III, 21). Als Trevor der Mutter destoten Fischers, der die Gefährten nach Stornwall übergesetzt hatte, einigeMünzen in den Korb wirft und Elisabeth dies kritisch hinterfragt, unterstreichter diese seine Orientierung, indem er betont, dass „in dieser ungerechtenWelt“ allein Geld zähle (III, 23). Es ist daher auch diese Orientierung, die ihngegenüber Elisabeth und Conrad zum Trickster macht – als Steiner wegen derGeiselnahme seiner Familie zu den Templern überläuft, scheint Trevor keineSchwierigkeiten zu haben, Conrad und Elisabeth gegen Geld an die Templerzu verraten (III, 53).In der Verbindung scheinen der materialistische Nihilismus und der UnglaubeTrevors dabei Freiheit zu ergeben. Trevor selbst akzentuiert dies, wenner das materialistische Streben nach Geld auf drei miteinander verzahnte Motivationenzurückführt, nämlich „essen“ zu können, „zu überleben“ und „freizu sein“ (III, 23). Elisabeth treibt diesen theoretischen Gedanken dann tiefer,indem sie auch Trevors Absage an Gott mit seinem Freiheitsstreben zusammendenkt.Im Gespräch mit Clemens referenziert sie auf Trevor als Negativbeispiel:„Ich kannte jemanden, der nicht dachte wie Ihr, jemand, der sich Gottnicht unterwerfen wollte…“ (IV, 13) Und sogleich betont sie, dass dieseNichtunterwerfung vom Wunsch nach Freiheit motiviert war und dass dieseFreiheit gleichwohl fehl geht: „Er verlor sich in seiner Freiheit. Er verriet seineFreunde für Gold, er wird lebenslang seine Reue mit sich tragen und qualvollsterben.“ (IV, 13) Die Freiheit, die der Unglaube mit sich zu bringenscheint, enthüllt sich demzufolge lediglich als Orientierungslosigkeit, als Anomie,in der auch die menschlichen Werte verloren gehen. Darüber hinauserweist sich diese Freiheit letztlich als Trug – führt sie doch nur in eine neue,unvermerkte Abhängigkeit, nämlich die vom „Gold“, vom Mammon. Trevorsnihilistischer Materialismus zeigt sich damit geradezu als Folge seines Unglaubensund als performativer Widerspruch des damit verbundenen Freiheitsstrebens.Entsprechend muss auch das Glücksstreben seines Hedonismus fehlgehen:Als Trevor seinen Lohn von den Templern entgegennimmt, blickt erausgesprochen unglücklich seitlich aus dem Panel auf Elisabeth und auch zweiweitere Panels zeigen ihn später traurig und bedrückt (III, 51, 53).Gleichwohl macht Trevor eine auch Entwicklung durch, die seinen materialistischenNihilismus bricht. Er verliebt sich in Elisabeth, die er schon imzweiten Band während der Überfahrt (vergeblich) zu küssen versucht (II, 35).Dabei deutet er Elisabeths Immanenzorientierung allerdings fälschlich als seinereigenen Orientierung kongenial, wenn er ihr empfiehlt, sich von ConradsWelt zu distanzieren und sich statt dessen jemanden zu suchen, „der zu unsererWelt gehört“ (II, 35). Dennoch bringt gerade der fehlgehende Versuch dieser,wenn man so will, sowohl geistigen als auch körperlichen Umfassungsbewegungbei Trevor eine Entwicklung auf den Weg, die ihn über seinen Materialismushinausführt und ihm andere Wertdimensionen in den Blick bringt.Während der anschließenden Reise durch das von den Engländern besetzteSchottland zeigt er sich „von dem Anblick dieses Landes, das dasselbe Jochwie das seine ertrug, sichtlich betroffen“ (II, 36). Deutlich wird ihm nun offenbar,dass es mehr als nur die individuelle Freiheit und das individuelleWohlergehen im Hedonismus gibt. Die kollektive Freiheit und die Chance, dieeigene ethnische und kulturelle Identität zu leben, überschreiten die materialistischeDimension des Geldes. Sie sind mit diesem letztlich nicht zu erkaufenund vor allem durch dieses nicht zu ersetzen. Trevors materialistischer Nihilismusund Hedonismus werden so erschüttert. Die Verliebtheit bricht seineVerhärtung in der ´Illusionslosigkeit´ auf und macht ihn empfänglich für dieLeidensdimensionen anderer Menschen – auch wenn er in der Konfrontationmit dem Leid der Mutter des Fischers dann dennoch vorerst noch keine andereReaktionsweise, kein anderes Verhaltensmuster in sich findet als die Geldzahlung,um diesem Leid zu begegnen. Ein neues Muster kommt jedoch – fastübergangslos – dann zu Beginn des vierten Bandes zum Tragen, als er Elisabethaus den Fluten rettet. Dieses neue Muster bricht geradezu radikal mitTrevors bisherigem Materialismus und Nihilismus – er riskiert sein eigenesLeben, um das von Elisabeth zu retten, und verliert es dabei sogar. Hier ist ausder Verliebtheit nun Liebe geworden, eine Liebe, die selbstlos agiert und nichtmehr nur hedonistisch das Ihre sucht. Trevor vollbringt damit eine supererogatorischeLeistung, die von Elisabeth am Ende mit der Formulierung vom´Loskaufen´ geradezu als Kompensation seiner Schuld als Verräter interpretiertwird. Trevors letzte Tat macht sein materialistisches, hedonistisches Lebenam Ende doch noch heil.Motivisch kommen dabei sowohl die Moralität als auch die Liebe und dievon dieser erschlossenen Werte des Menschlichen zur Durchsetzung: Schondie Verliebtheit erscheint als gewissermaßen der Katalysator oder besser noch:als die heuristische Kraft, die Trevor für die menschlichen Belange und Wertejenseits des hedonistischen Strebens und seiner materialistischen Erfüllungsensibel machen und ihm diese als neue Dimension erschließen. Die versagteFreiheit der Schotten, die er dadurch zunächst als wertvolles Ziel entdeckt, istjedoch keine transzendente oder metaphysische Größe, sondern ein konkreter,kontingenter und immanenter Wert. Ebenso kontingent und immanent ist dieBeziehung zwischen Menschen, die durch die Verliebtheit und schließlich diedaraus entstehende Liebe gestiftet wird. Trevors selbstlose Tat richtet sichgleichfalls auf etwas Immanentes und Kontingentes – nicht Elisabeths Seelenheil,sondern ihr diesseitiges Leben wird von ihm gerettet. Mit der Figur Trevorbetont der erzählerische Diskurs so nochmals die Bedeutung der Immanenzund des kontingenten, menschlichen Lebens sowie der kontingenten Lebensbedingungender Menschen (am Beispiel der unterdrückten Schotten) undder kontingenten menschlichen Werte, die zentral über Elisabeth akzentuiertsind. Gleichzeitig unterstreicht der Diskurs (erneut), dass diese Werte nicht ineiner menschlichen Freiheit gedeihen und existieren können, die sich als bindungslose,hedonistische Größe versteht, sondern dass es des Rahmens derMoralität bedarf. Die Redundanz, die der erzählerische Diskurs damit schafft,dient der zusätzlichen Verdeutlichung dieser Botschaft. Darüber hinaus aberdifferenziert die Erzählung mit Trevor die Sichtweise der Moralität: Es istletztlich die Liebe, die den heuristischen Schlüssel für die Erschließung dermoralischen Bewandtnisse und zudem die eigentlich menschliche, motivationale Kraft für eine hinreichende Stärke der menschlichen Werte und ihrerDurchsetzung in der Welt bildet. Insofern ist auch Elisabeths Referenz aufTrevor, als sie gegen den Grafen von Sayn die menschliche Kompetenz derWahl in Stellung bringt, nicht zu unterschätzen: Die Wahlfähigkeit des Menschenwurzelt als Fähigkeit zur richtigen Wahl letztlich in der menschlichenLiebesfähigkeit. Trevors Beispiel belegt daher, dass der Graf von Sayn mitseinem anthropologischen Pessimismus unrecht hat – der Mensch, der vomBaum der Erkenntnis des Guten und Bösen gekostet hat, ist mitnichten überfordertund unfähig, das Rechte zu tun. Die Liebe treibt ihn vielmehr geradezuzu einem selbstlosen Einsatz für den anderen Menschen. So steht hinter derBedeutung der Moralität nochmals die unschätzbare Bedeutung der Liebe, diegrößer ist selbst als das Wissen – auch wenn dieses den Schlusspunkt der Erzählungin Elisabeths Monolog besetzen darf.Trevors Unglaube führt damit also nicht ins Unheil, sondern wird Endedurch Moralität und Liebe an die menschlichen Werte angeschlossen und sovor der Anomie dann doch bewahrt. Anders verhält es sich bei Tessingher.Mit dieser Figur wird die Negativität des Unglaubens und des Nihilismus gewissermaßenin Reinkultur durchgespielt. Die Fremdcharakterisierungendurch Bischof Uther und Guillaume verdeutlichen, wer Tessingher ist: Schonim ersten Band, als Tessingher Guillaume Informationen überbringt, bezeichnetdieser ihn als „Zauberer“, den er aus „dem Kerker […] herausgeholt habe“(I, 29). Gegenüber Conrad nennt er ihn einen „Alchimisten“ (IV, 19) und Tessingherselbst gesteht Bischof Uther ein, dass die Templer ihn „vor dem Scheiterhaufen“gerettet haben (III, 25). Uther benennt den Unglauben Tessinghers– „Ihr seid ungläubig und feige. Deshalb habe ich Euch ausgewählt.“ (III, 25)Bildlich wird Tessingher als beleibte Figur inszeniert, mit einer Glatze, auf derein einzelnes Haarbüschel wächst (I, 29 et passim). Oft wird der Standpunktdes Betrachters in leichter Obersicht angesetzt oder Tessingher in geduckterHaltung gezeigt, unterwürfig, mit angstvollen Augen und schwitzend – die Inkarnationdes unterlegenen, autoritären Charakters (etwa I, 29; III, 25). DieEnthüllungen Guillaumes gegenüber Conrad machen deutlich, dass Tessinghervon Anfang an als Doppelagent der Templer arbeitet, dies jedoch nicht freiwilligtut, sondern dazu erpresst wird (IV, 19). Tessingher erscheint so alsGestalt, die durch ihren Unglauben von einer Abhängigkeit in die nächste gerät.Als Alchimist ist er zwar eine Figur, die Gewalt über die verborgenenKräfte der Wirklichkeit zu gewinnen versucht, gleichzeitig jedoch jemand, dersich in die Fallstricke des Aberglaubens verwickelt hat. Danach sitzt er im Gefängnisund kommt aus diesem lediglich in die neue Abhängigkeit der Templer,um sich fortan eingezwängt zwischen diesen und Uther als Diener zweierHerren vorzufinden. Tessingher findet sich so haltlos an allerlei äußere Mächteausgeliefert, die ihn schrankenlos manipulieren und beständig in Bedrängnisexistieren lassen. Ohne Glauben und ohne Moralität ist Tessingher in dieserSituation völlig orientierungslos und kann sich aus ihr daher auch nicht befreien.Die Abhängigkeit von Uther macht zudem deutlich, dass der Unglaubeauch keine Freiheit von der negativen Metaphysik, der Finsternis des ideologischenGlaubens und der Nacht des Wissens bietet. Ohne irgendein Widerstandspotenzialliefert der Unglaube Tessingher vielmehr an deren nichtendeKraft aus. Mit dieser Figur illustriert der erzählerische Diskurs daher dieOhnmacht und Negativität des bloßen Unglaubens. Dieser wird blind für diemenschlichen Werte, verfällt in Amoralität und Anomie und erhält daraus nihilistischesGepräge. Damit verdeutlicht der erzählerische Diskurs zugleich,dass der Unglaube keine zureichende Lösung darstellt und keine wirklichmenschliche Zukunftsperspektive eröffnet.Eine weitgehend positive Figur stellt schließlich noch Steiner dar, dergleichwohl auch ein vielschichtiger, schillernder Charakter ist. Eingeführtwird er im zweiten Band zunächst in der Fremdcharakterisierung durch BischofUther, der Steiners Tätigkeit als Oberhaupt der Kirchenspione benennt(II, 4). Conrads Erläuterungen zeichnen ihn dann als dessen einstigen Schülerund Ordensmann, der sich zugleich der Wertschätzung durch Bischof Charleserfreute. Gleichwohl hätten der Bischof und Steiner eine differente „Visionvon der Kirche“ gehabt – während der Bischof „glaubte, ihre Integrität sei diebeste Waffe gegen die Korruption der Welt“, habe Steiner ´seine Hände beschmutzt´, „um das Böse mit seinen eigenen Waffen zu bekämpfen“, und denOrden verlassen, um fortan die Geheimdiensttätigkeiten der Kirche zu koordinieren(II, 8). In der erzählten Gegenwart findet sich Steiner im „Chassiden-Viertel“ in Toledo und wird als jemand charakterisiert, der stets versteht, „denDienst vor Gott und den irdischen Komfort in Einklang zu bringen“ (II, 9). InsBild gesetzt wird Steiner dann in einem lichtdurchfluteten Raum mit orientalischemGepräge; er trägt einen roten Vollbart zu einem kahlen Schädel und istmit einem ebenfalls orientalisch anmutenden Gewand angetan – mit weiterHose und einer Art Kaftan (II, 10). Mit diesen Fremdcharakterisierungen unddem ersten bildhaften Auftritt Steiners sind zugleich die wesentlichen Motiveeingeführt, die mit dieser Figur verbunden sind. Die Verbindung mit Conradund die Wertschätzung durch Bischof Charles schlagen Steiner grundsätzlichden positiven Figuren zu. Erst später erfährt man, dass Steiner Familie hat, erpressbarist und Conrad und Elisabeth deshalb sogar an die Templer verrät.Die Positivität Steiners wird dadurch gebrochen, der Bruch jedoch zugleichgemildert, weil dieser Verrat durch Erpressung zu Stande kam. Nach der Ermordungseiner Familie stellt sich Steiner deshalb sofort wieder auf die Seiteder Gefährten und befreit Conrad aus der Folterkammer; in der Schlusssequenzim hohen Norden unterstützt er durchgängig Elisabeth. Er zeigt sichdamit als grundsätzlich loyal gegenüber seinen Freunden, obschon diese Loyalitätnicht absolut ist. Im Konfliktfall mit anderen, persönlicheren Loyalitätenvermag er sich durchaus nicht weniger als bei seiner Geheimdiensttätigkeit´die Hände schmutzig zu machen´ und die eine Loyalität zu Gunsten einer anderenaufzukündigen. Darüber hinaus kann er bei der Durchsetzung seinerLoyalitäten zu geradezu brachialen Mitteln greifen, wie die äußerst gewalttätigeBefreiung Conrads aus dem Kerker der Templer zeigt.Steiner ist so der ´Realist´, der der Gebrochenheit der irdischen Existenz,den Widersprüchen der Kontingenz und Immanenz dadurch Rechnung trägt,dass er selbst Brüche in seinem Verhalten und Handeln in Kauf nimmt undsich widersprüchlich, einmal so und einmal anders, positioniert. Zu diesem´Realismus´ gehört auch, dass für Steiner die immanente Gestalt der Kircheals Organisation gegenüber der metaphysischen Geschichte und der Transzendenzgrößere Bedeutung hat, als dies etwa bei Conrad der Fall ist. Steiner hatin dieser Hinsicht eine weltlichere Perspektive als Conrad und widmet seinLeben deshalb auch vorrangig der weltlichen Außenseite der Kirche. Diesbringt ihn in ein spezifisches Verhältnis zum Motiv der Macht, das auch mitGuillaume durchgespielt wird: Steiner sammelt und verteilt Informationenletztlich, um die Machtinteressen der Kirche zu unterstützen und bei derenDurchsetzung behilflich zu sein. Ähnlich wie Guillaume agiert er dabei in einerWelt hinter den Kulissen, beschafft fallweise arkanes Sonderwissen undzeigt so strukturelle Verwandtschaften mit Verschwörungstheoretikern. Ausdiesem Grund bildet er für Elisabeth eine Brücke zu eben dieser Welt der Verschwörungstheorie.Steiner selbst bleibt jedoch diesseits derselben im Bereichder politischen Intrigen und geheimen Handlungen; die metaphysischapokalyptischeVerschwörung, mit der er durch Conrad und Elisabeth zunehmendkonfrontiert wird, bleibt ihm letztlich fremd und äußerlich. Steiner istgewissermaßen zu weltlich, um in diesen Zusammenhang als Akteur mit einemähnlichen Involvement wie Conrad einzutreten; anderes als Elisabethtaucht er auch nicht in die Finsternis der negativen Metaphysik ein, um danachmit derselben Verve wie sie die Immanenz dagegen in Stellung bringen zukönnen. Im Unterschied zu Guillaume ist darüber hinaus nicht der eigeneMachterwerb sein primäres Handlungsmotiv. Anderes als bei Trevor und Tessingherbietet sich deshalb auch hier keine so deutliche motivanalytischePaarbildung an.Steiner steht vielmehr stattdessen in erster Linie in einer spezifischen Nähezu Elisabeths Immanenzorientierung und akzentuiert dazu einen weiteren Motivkomplex:So zeigt sich Steiner von Beginn an als weltläufiger Mensch, deroffen ist für andere Kulturen und deren Lebens- sowie Wissensformen. Er ist,wenn man so will, eine multikulturelle Persönlichkeit und wird als solche deshalbim jüdischen Viertel und mit arabischen bzw. muslimischen Kleidungsstückenins Bild gesetzt. Am Ende der Erzählung verdeutlicht Elisabeths Monologin den Memoiren, dass Steiner als einer der Überlebenden daran mitwirkt,„das Licht des Verstandes und die Hoffnung auf eine Wiedergeburt“von Stornwall aus zu verbreiten (IV, 77). Steiner ist so am Ende einer der prototypischenRenaissancemenschen, zählt zu jenen, die diese neue Epoche heraufführen.Primär dazu fügt sich deshalb Steiners Weltlichkeit, während dasMotiv der Macht demgegenüber eher sekundär bleibt. Unterstrichen wird dieseBedeutung auf der ästhetischen Ebene zudem durch die Lichtfülle, die SteinersDomizil in Toledo kennzeichnet. Der weltläufige, multikulturelle Wissenshändlerlebt gewissermaßen schon bei seinem ersten Auftritt in dem Licht,mit dem am Ende der Erzählung die neue Epoche der Renaissance heraufdämmert.Und es ist die Verbindung von Weltläufigkeit, multikultureller Offenheitund Wissen, die als Motivkomplex komplementär zu Elisabeths Wissensorientierungdamit akzentuiert wird und die ´Wiedergeburt´ aus den´Texten der Alten´, also der nichtchristlichen Antike, um den Aspekt des Wissensder Anderen, der fremden Kulturen, erweitert.Im Unterschied zu Steiner als Figur mit einigen Brüchen, stellt Guillaumeeine durchweg negative Figur dar. Zwar kämpft auch er gegen den Grafen vonSayn, doch nicht zum Zweck der Erhaltung der Welt oder um das metaphysischBöse zu besiegen, sondern um die Macht zu gewinnen. Guillaumes Zielist die Vereinigung der Menschheit in einem Glauben, einer Kirche und untereiner Führung. Das Dritte Testament ist für ihn das Machtwort Gottes, „dasLicht, das die Verirrten zum wahren Glauben führen wird. Alle Menschenvereint vor einem Kreuz, in einer Kirche…“ (IV, 41) Guillaume schafft sichdieses Ziel dabei freilich nicht selbst, sondern übernimmt es als das jahrhundertealtegeheime Projekt des Templerordens, der ohnehin nur zu diesemZweck gegründet wurde. Die Einheitsvision des Ordens ist ebenso wie dieGuillaumes mit brachialer Gewaltbereitschaft verbunden und basiert auf einemdichotomischen Paradigma: „… durch die Macht des göttlichen Wortes,die Kraft des Universums, werden die Gottlosen und die Verderbten durch dieGerechten gestraft, die im Namen des Allerhöchsten über die Jahrhundertehinweg herrschen werden!“ (IV, 17) Zwar nehmen weder die Templer nochGuillaume die apokalyptische Dimension des Dritten Testaments wahr, docheignet auch ihnen ein Wille zur Vernichtung, der gewissermaßen eine innerweltlicheVariante des apokalyptischen Kampfs realisieren möchte. GuillaumesMacht- und Vernichtungswille richtet sich deshalb auf „das Ende allerKetzerei, das Ende der falschen Propheten und verirrten Religionen“ (IV, 22).Was immer der Vision von der ausschließlichen Macht der einen christlichenKirche entgegensteht, soll ausgelöscht werden. Guillaumes Vision ist mithinschlicht totalitär. Das dichotomische Denken hat dabei eine Verwandtschaftmit Conrads Unterscheidung der Menschen in Rechtgläubige und Ketzer. Anderesals bei Conrad wird die Transzendenz jedoch nicht auf Kosten der Immanenzals ganzer in die dominante Stellung gebracht, sondern soll das transzendenteReich Gottes zumindest in analoger Form als die eine Kirche derMacht realgeschichtlich verwirklicht werden. Es steht zu vermuten, dass dieTempler und Guillaume dies als transzendenten Auftrag verstehen und so ihreneigenen ideologischen Glauben konstituieren – ideologisch, da ihre totalitäreVision auch eine nichtende Qualität gegenüber dem kontingenten Reichder Menschlichkeit, den Bedürfnissen und Interessen der konkreten Menschenbesitzt. Gleichwohl ist diese Ideologie nun mit der Vorstellung der eigenen irdischenHerrschaft verbunden und richtet sich auf deren konkrete immanenteVerwirklichung in Gestalt einer Institution. Transzendenz und Immanenz werdendadurch gewissermaßen gleichgewichtig, ohne dass dies jedoch jene Zügeder Moralität und Menschlichkeit annähme, wie sie Elisabeths Aufwertung derImmanenz in sich trägt. Von der Immanenz bleibt vielmehr lediglich die Dimensionder Macht übrig, deren Bedeutung nun allerdings keinen wenigergewichtigen Stellenwert besitzt als die Transzendenz.Guillaume erstrebt darüber hinaus die Macht für sich selbst – er will dasOberhaupt dieser künftigen Kirche sein (IV, 41). Dafür instrumentalisiert erseine gesamte Umgebung einschließlich des Templerordens. Die instrumentellePerspektive kommt bereits bei seinem ersten Auftritt in der Szene mit Tessingherzur Anschauung, den er ausschließlich als Mittel zur Erlangung vonInformationen einsetzt und dabei mit seiner gesamten Existenz auf diesen instrumentellenCharakter reduziert: „Deine elende Existenz ist wieder dein, sobaldich mein Ziel erreicht habe!“ (I, 29) Nicht anderes verfährt Guillaumemit Conrad, dem er zuerst Macht anbietet, um das Versteck des Dritten Testamentszu erfahren, und den er dann sofort foltern lässt, als dieser das Angebotausschlägt. Personen zählen für Guillaume daher nicht, sondern ausschließlichihre Verwendbarkeit in einem eigennützigen instrumentellen Kalkül.Der instrumentellen Reduktion fällt schließlich sogar der ganze Templerordenanheim, wenn Guillaume unter Nutzung der politischen Umstände danngezielt dessen Untergang plant, um seine Männer für die letzte Schlacht inDanzig zusammenziehen zu können. So erläutert Guillaume Conrad, dass „dasEnde“ der Templer „kurz bevor“ stehe, weil Philipp IV. wie viele Andere vorihm den Templern ihren Reichtum neide (IV, 19). Doch Guillaume nutzt diesenUmstand für seine Pläne: „…nicht ein neidvoller König soll alles ruinieren.Wir selbst werden die Architekten unserer eigenen Zerstörung sein“ (IV,19). Obschon die Templer demnach an dieser Planung teilhaben, bleibt esGuillaume, der die Fäden zieht und den Orden letztlich für seine eigenenMachtziele instrumentalisiert. Die von ihm genannte Zerstörung dient nur einerverdeckten Verlagerung der Templerarmee aus dem Orient nach Böhmen– „die Festnahme“ der Templer „erfolgte in Frankreich und der Welt wurdedas Ende des Tempels verkündet, während sich ihre Armee des Orients inBöhmen versammelte“ (IV, 21). Dabei geht es Guillaume jedoch nur um manpowerfür den Endkampf um das Dritte Testament. Für dessen Erlangung ist erbereit, den Templerorden als ganzen und dann auch dessen Armee bedenkenlosder Vernichtung preiszugeben. Die Nichtachtung der Menschen als Personenzeigt sich daher nochmals am Ende, als Guillaume Elisabeth und eineGruppe seiner Männer betrügerisch für ein Ablenkungsmanöver zu opfernversucht und die Templer schließlich im chancenlosen, aufreibenden Kampfmit der Horde zurücklässt, einem Kampf, der nur dazu dient, die Horde solange aufzuhalten, bis Guillaume sich allein das Dritte Testament angeeignethat.Die Erzählung verdeutlicht den totalitären Charakter der Instrumentalitätwie auch der von Guillaume erstrebten Macht darüber hinaus mit den erzählerischenMitteln der Verschwörungstheorie. Guillaumes Machtspiel – und auchdas des Templerordens – stellt geradezu idealtypisch das verschwörungstheoretischeMachtmotiv vor Augen: Der Templerorden ist für die Verwirklichungeiner geheimen Agenda zum Zweck der Machterringung gegründet wordenund verbirgt diese Agenda hinter vorgeblichen anderen Zwecken, mit denendie Welt getäuscht werden soll. Nach dem Fall Akkos zieht sich Guillaumenoch weiter in den Hintergrund zurück, um die Fäden aus dem Verborgenenzu ziehen, so dass die Großmeister der Templer nun in Wahrheit gar nichtmehr die eigentlichen Leitfiguren, sondern selbst ein Instrument der Täuschungsind. Gleichzeitig dehnt Guillaume seinen Einfluss hinter den Kulissenauf die weltlichen politischen Figuren, wie Phillipp IV., und sogar auf dasPapsttum aus. In typisch verschwörungstheoretischer Inversion erscheinen dieoffiziell Mächtigen nun (zumindest auch) als die Manipulierten und agiert diewahre Macht hinter den Kulissen. Da das von Guillaume verfolgte Ziel immerschon auch das des Templerordens war, ergibt sich zugleich auch der verschwörungstheoretischeTopos einer Verschwörung seit Jahrhunderten, wie erbeispielsweise auch in HBHG ausgearbeitet ist. Guillaumes Macht reicht zudemso weit, dass er (durch Tessingher) die Gefährten in Stornwall zu manipulierenversuchen kann, um sie für den Diebstahl der Manuskripte Julius´ einzusetzen(IV, 21). Die totalitäre Machtvision Guillaumes wird von der Erzählungso parallelisiert durch die totalitären Züge der pervasiven Macht der Verschwörung,an deren Spitze Guillaume selbst steht. Die Totalität der Verschwörungseit Jahrhunderten nimmt gewissermaßen die Totalität der erstrebtenMacht der einzigen Kirche vorweg – und der erzählerische Diskurs diskreditiertdiese damit zugleich: Die erstrebte totale und einzige Machtkirche istebenso moralisch negativ, wie es die Verschwörung selbst ist. Dazu fügt sichauch, dass Guillaume zwischenzeitlich zum Verschwörungstheoretiker wirdund – wie zuvor schon Conrad in der Bibliothek – sich dem arkanen Sonderwissenüber den Bruder Jesu zuwendet, das mit Mitteln des Codelesens ausder Heiligen Schrift extrahiert und durch apokryphe Schriften validiert wird(IV, 40). Implizit akzentuiert sich darin gleichzeitig nochmals die durchgängigeInstrumentalisierung, mit der Guillaume die gesamte Realität aus seinemMachtinteresse heraus behandelt: Wo es diesem Interesse dient, lässt er sogarden traditionellen Glauben der Kirche hinter sich und wirft sich – ähnlich wieConrad jeglicher Transzendenz – jeglicher vorgeblichen Wahrheit in die Arme,die Macht verspricht. Die Wertungsposition der Erzählung entsteht damitauf mehreren Ebenen: Der erzählerische Diskurs wertet die totalitäre Machtder von Guillaume erstrebten einzigen Kirche unter Auslöschung aller anderenGlaubensformen und Religionen negativ, indem er die Figur Guillaume durchihr eigensüchtiges Machtstreben und ihre bedenkenlose Instrumentalisierungaller übrigen Personen und des ganzen Ordens moralisch negativ erscheinenlässt. Sie unterstreicht dies mit verschwörungstheoretischen Mitteln und diskreditiertGuillaume zudem als bedenkenlosen Wendehals, der sich jederWahrheit anschließt, die zu seinem Machtstreben zu passen scheint. Zugespitztwird diese Wertung zudem nochmals in der Szene mit Conrad: Guillaumewird mit seinem Machtangebot gegenüber Conrad schlicht in die Positiondes Teufels bzw. des satanischen Versuchers gebracht und so deutlich alsnegative Figur herausgestellt. Sein Versuch der Immanentisierung des ReichesGottes in Gestalt der irdischen totalen Macht einer einzigen Kirche erscheintdamit geradezu als das Anathema schlechthin.Als absolut negative Figur tritt schließlich der Graf von Sayn auf, der engmit Bischof Uther und – oft bis zur Ununterscheidbarkeit – mit der Horde verbundenist. Zusammengenommen verkörpern der Graf und die Horde die apokalyptischeVernichtungsmacht schlechthin; Uther erscheint hingegen lediglichals ihr Handlanger, nicht unähnlich dem menschlichen Helfershelfer desVampirs in der Horrorgeschichte. Der Graf und die Horde erhalten übernatürlichesGepräge, sind metaphysische Mächte. Die Erzählung bringt dies mitMitteln des Horrorfilms ins Bild, wenngleich gegenüber diesem Genre durchauszurückhaltend. So wird in der Schlusssequenz – und erst dort – an zweiStellen mit verhaltender Deutlichkeit gezeigt, dass der Graf und die Hordewohl Gestaltwandler sind: Als Conrad auf dem Gipfel des Gletschers die lebloseFigur Guillaumes hinter sich zurücklässt, erscheint in seinem Rücken einRabe und steht an derselben Stelle dann im nächsten Panel der Graf von Sayn(IV, 65). Zuvor bereits verwandelt sich das Hordenmitglied, das Conrad in denNorden gebracht hat, nach einem Angriff auf Elisabeth und einem Kampf mitConrad in Raben, kurz bevor eine Gletscherspalte diese Figur zu zerquetschendroht (IV, 56f). Es bleibt offen, ob dieses Hordenmitglied nicht eigentlich derGraf von Sayn in anderer Gestalt ist. Die Verhaltenheit, mit der der Figurentypdes Gestaltwandlers eingesetzt ist, wie auch die zwar vorhandene, aber ebenfallszurückhaltende Verwendung von Darstellungstechniken des Horrorfilmszielt auf eine Steigerung der Metaphysizität und Symbolträchtigkeit des Grafenund der Horde: Diese sollen nicht allzu deutlich reifiziert werden, um umsoungreifbarer und unheimlicher wirken zu können. Der Horrorfilm ist letztlichdeutlicher zur Reifizierung gezwungen – Filme sind Bewegungsbilder,movies, und müssen Körperaktionen oder körperhaft inszenierte Veränderungenvon Zuständen etc. zeigen können –, während der Comic hier Möglichkeitenbesitzt, stärker mit abstrakten Zeichen zu arbeiten. Gleichwohl kommt natürlichdie negative metaphysische Macht hier auch körperhaft inkarniert insBild, doch verbleibt bewusst vieles im Diffusen und unentscheidbar Verwobenen.Insbesondere die Gestaltwandlung ist entsprechend zurückgenommen.Die Negativität des Grafen und der Horde wird auf drei Ebenen verdeutlicht:Zum einen werden der Graf und die Horde sprachlich im ersten Banddurch Fremdcharakterisierungen mit den Mächten der Hölle identifiziert. Sospricht der gekreuzigte Bischof Charles von Elsenor mit brechender Stimmedavon, dass „die Hölle“ über die Menschen gekommen sei (I, 20). ÄhnlicheWorte wählt der Abgesandte der Templer, der Conrad und Elisabeth auf demWeg zu Honorius gefolgt ist: „Ich bin nicht der einzige, der euch folgt! Es istder Teufel! Der Teufel und die gesamte Hölle sind Euch auf den Fersen!“ (I,33) Zum zweiten zeichnen sich der Graf und die Horde durch menschenverachtende,brachiale Gewaltübung aus. Auch dies zeigt sich schon im erstenBand, als der verräterische Mönch aus dem Kloster von Veynes vom Anführerder Horde nicht das versprochene Geld erhält, sondern mit dem Schwert erschlagenwird (I, 11), oder als Prior Honorius von einem Hordenmitglied mitdem Speer geradezu an die Wand genagelt wird (I, 45). Besonders drastischerscheint die Gewalt im dritten und vierten Band, als der Anführer der HordeSteiners Familie umbringt und als er Steiner die blutbefleckte Puppe des Kindesals Beleg für den Verlust der Familie überbringt, nachdem er außerdemnoch einen alten Vertrauten Steiners mit der Axt niedergemetzelt hat (IV, 25).Auf einer dritten Ebene wird die Negativität symbolisch verdeutlicht. Dazuzählt zunächst einmal die Gesichtslosigkeit sowohl des Grafen als auch derHorde. Gesichtslos wirkt der Graf bereits in der Vorgeschichte im erstenBand, wo er stets von hinten beleuchtet im Dunkeln bleibt und am Ende derSzene aus dem Feuer zu kommen scheint – auch hier legt sich die Höllenassoziationnahe (I, 4, 7). Die Horde wiederum trägt eiserne Gesichtsmasken, beidenen selbst die Augenhöhlen durch Metall mit einigen wenigen Sehlöchernverschlossen sind (I, 11, 44 et passim). Des Weiteren trägt die Horde ausgefranste,schwarze Umhänge, die aus Federn zu bestehen scheinen und an dasmonströse Gefieder überdimensionalen schwarzer Vögel erinnern; auch ihreübrige Kleidung ist schwarz und sie reiten schwarze Pferde (I, 11, 44). AlsGestaltwandler selbst in der Lage, sich in Raben zu verwandeln, sind der Grafund die Horde zugleich stets von Raben begleitet. Durch ihre Gesichtslosigkeitwirken sie so wie eine anonyme, fast maschinenhafte und entmenschte Gewaltbzw. wie die Gewalttätigkeit als Selbstzweck. Durch das Schwarz und die Raben,die Totenvögel, bilden sie eine durch und durch finstere Macht, dieMacht des Todes schlechthin, die das Menschenleben unterschiedslos hinwegfegt.Die Charakterisierung des Grafen und der Horde als Verkörperung derschlechthin apokalyptischen Macht erfolgt durch die Herstellung von Bezügenzur Heiligen Schrift und insbesondere zu den Texten aus Qumran. Schon inder Vorgeschichte des ersten Bandes wird symbolisch die Beziehung des Grafenzum johannäischen Schrifttum etabliert. Obschon dessen Gesicht und auchdie meisten Körperpartien im Dunkeln bleiben, ist auf dem Brustteil seinesWamses ein Adler zu erkennen, also das symbolische Tier, das Johannes vonder Tradition zugeteilt wird (I, 4, 7). Immer wieder erscheint die Horde auf ihrenPferden wie die Inkarnation der apokalyptischen Reiter, so etwa im erstenBand beim Sturm auf das Herrenhaus von Tourmalet (I, 44), am Ende deszweiten Bandes, als sie über die Panels mit dem Papst hinweg dem Betrachterentgegen sprengen (II, 48) und in der Schlusssequenz des vierten Bandes beiden wiederholten Angriffen auf Elisabeth und die Templer (IV, 60, 62). In derlangen Schlusssequenz erscheint zudem die Gletscher- und Eislandschaft deshohen Nordens geradezu als das Land der Apokalypse, in dem der Graf unddie Horde gewissermaßen nach Hause kommen, ihren ureigensten Raum derGewalt und Vernichtung finden. Die Landschaft wird dabei selbst streckenweisezur Verkörperung der negativen metaphysischen Macht: Elisabeth nenntes in den Captions ihrer Memoiren den „Rand der Erde“ und das „Nichts“, wosie und die Templer „das jüngste Gericht“ erwartet (IV, 41f). Steiner identifiziertdann die aufragenden Bergspitzen mit den sieben Köpfen des Drachenaus Offb 12, 3 bzw. den sieben Köpfen des Tieres aus Offb 13, 1 (IV, 43). Wiesich der Drache in der Offenbarung des Tieres bedient, um die Christen zu bekämpfen,so reißt der kalbende Gletscher kurz nach der Ankunft der Templerdas von ihnen errichtete überlebensgroße Kreuz zusammen mit einem Teil derMänner in den Abgrund (IV, 45; Offb 13, 6f). Freilich bedrängt der Gletscherdann auch das Hordenmitglied, als er dieses in einer Spalte zu erdrückendroht; da dieses sich, in Raben verwandelt, jedoch leichthin retten kann, bewirktder Gletscher hier letztlich nicht mehr, als dass die Horde ihre Qualitätals Gestaltwandler und damit ihren metaphysischen Charakter offenbarenmuss. In den Kampfszenen zwischen den Templern und der Horde scheintdiese sich geradezu auf ihrem angestammten Terrain zu bewegen und derGletscher eher ein Verbündeter als ein Gegner zu sein, während die Templerstets von Eis und Naturgewalt bedrängt wirken und gewissermaßen ständigmit dem Rücken zur Wand stehen.Schon das johannäischen Schrifttum arbeitet mit dem symbolischen Gegensatzvon Licht und Finsternis. Es nimmt dabei vermutlich Anleihen am Gedankengutder Essener bzw. auch voressenischer jüdischer Texte, die unsgleichwohl nur durch die Qumran-Funde überliefert sind. Dort wiederum istder Gegensatz breit zu einem Kampf zwischen den ´Kindern´ bzw. ´Söhnendes Lichts´ und denjenigen ´der Finsternis´ ausgearbeitet, etwa in der Kriegsrolle,die diesen Kampf zudem zu einem apokalyptische Endgefecht ausgestaltet(1QM). „Le troisième testament“ nun spielt mehrfach auf die Essener unddie Qumran-Schriften an: Schon der erste Band referenziert darauf, wenn BischofCharles von Elsenor die im Kloster von Veynes gefundenen Manuskripteals vermutlich essenischen Ursprungs bezeichnet (I, 16). Eine Art metatextuellenVerweis stellt die internationale Gruppe von Gelehrten dar, die inStornwall an den Manuskripten Julius´ arbeitet – sie lässt sich als anachronistischeParaphrase der internationalen Gruppe unter de Vaux betrachten, die abden 1950er Jahren mit der Erforschung von Texten aus Qumran betraut ist.Als im dritten Band Bischof Uther Tessingher als Agenten der Templer enttarntund von ihm Teile der Agenda dieser seiner Gegner erfährt, identifizierter die Templer mit den Söhnen des Lichts: „Ich habe die Tempelritter lediglichals Hindernis betrachtet. Sie sind so viel mehr als das. Die Söhne desLichts sind nun bekannt.“ (III, 25) Mit Bezug auf die Kriegsrolle und den dortgeschilderten Endkampf setzt er hinzu: „Der Krieg steht vor unserem Toren“(III, 25), und interpretiert so die Auseinandersetzung zwischen seiner Gruppebzw. derjenigen des Grafen von Sayn und den Templern als Erfüllung der inder Kriegsrolle vorgenommenen Prophezeiungen. Vor diesem Hintergrund betrachtet,tritt die Horde dann in der Rolle der Söhne der Finsternis auf. Dazufügt sich nicht nur ihr finsteres Gepräge, sondern auch, dass sie durchgängigin Nachtszenen ins Bild gesetzt wird. Der Text bestätigt dies im dritten Band,wenn Elisabeths Memoiren in den Captions darauf hinweisen, dass sich ihre„Gegenspieler nicht am Tage fortzubewegen“ scheinen (III, 26).Ebenfalls im dritten Band erfährt man, dass der Graf Conrad nach dem gewaltsamenEnde des Prozesses in der Vorgeschichte mit den hebräischen Worten:„Bouhou elai, Kittim“ („komm zu mir, Kittim“) anspricht (III, 4). Die Kittimwerden in der Kriegsrolle wiederholt mit den Söhnen der Finsternis identifiziert.Auf sie und die Kriegsrolle bezieht sich auch Guillaume, der währendder Überfahrt in den Norden die mutmaßliche Selbstsicht des Grafen expliziert:„Die Essener glaubten, dass am Ende der Zeit ein Kampf zwischen denKittims, den Söhnen des Lichtes und den Söhnen der Finsternis unter der Aufsichteines übergeordneten Wesens stehen würde, einer Art apokalyptischemChristus… Sayn glaubt dieser zu sein…“ (IV, 40; die Autoren scheinen allerdingshier – wie auch bei dem hebräischen Satz – einerseits fälschlich die Kittimmit den Söhnen des Lichts zu identifizieren, andererseits beide Male zuverfehlen, dass Kittim im Hebräischen bereits im Plural steht; auch die Messiasthematikist hier nicht ganz zutreffend wiedergegeben). Der Graf von Saynbestätigt am Ende Conrad gegenüber diese Deutung: „Ich bin der glorreicheChrist, der Messias, der vorsteht dem Jüngsten Gericht.“ (IV, 70) Gleichzeitigmischt sich dies an dieser Stelle wieder mit typisch christlichem Gedankengut,wenn der Graf zugleich von sich sagt, er sei „der Leidende und die Erlösungder Welt“ (IV, 70) – hier findet sich nun die typisch jesuanische Messiasdeutungmit Bezug auf den Gottesknecht in Jes 53, die dem Gedankenkreis derKriegsrolle und den Essenern bzw. der Qumran-Gemeinschaft völlig fremd ist.Auch die nachfolgende Referenz auf den göttlichen Zorn und schließlich dashimmlische Jerusalem entspricht wieder in erster Linie dem christlichenSchriftkontext der johannäischen Offenbarung.Insgesamt aber ist auffällig, dass die Erzählung ihre Charakterisierung derapokalyptischen Macht und des apokalyptischen Endkampfs mit massivemBezügen zu den Qumran-Texten und essenischem Gedankengut ausarbeitet.Die dort gegebenen Dualismen überformen daher letztlich auch den Einbezugdes johannäischen Schrifttums bzw. stellen dieses in einen Interpretationsrahmenqumranischer Provenienz. Die antidualistischen Perspektiven andererbiblischer, insbesondere neutestamentlicher Texte bleiben demgegenüber ausgeblendet.Die vom Grafen und der Horde verkörperte apokalyptische Machtwie auch die von der Erzählung insgesamt konfigurierte Apokalyptik ist dahernicht wirklich christlich. Dazu fügt sich in der Erzählung schlüssig, dass derwahre Charakter des Grafen sowohl von den Protagonisten Conrad und Elisabethals auch von dem Antagonisten Guillaume jeweils erst mit verschwörungstheoretischenMitteln erarbeitet werden kann, durch Codelesen aus einemdevianten Schriftsinn, einer vom christlichen Konsens und der kirchlichenTradition abweichenden, esoterischen Lektüre gewonnen und durch dieApokryphen in ihrem Wahrheitsgehalt bestätigt werden muss. Die Apokalypsedes Grafen und der Horde gehört damit auch in der Erzählung selbst letztlicheiner alternativen Traditionslinie, einem ketzerischen Glaubenssystem an. Indieser Apokalyptik äußert sich deshalb auch nicht das Verhältnis eines liebendenSchöpfers zur seiner Schöpfung, der die Immanenz in die Transzendenzheimholt und dabei dennoch mit ihrer eigenen Geschichte gelten lässt, sondernfinden ausschließlich der Zorn und die Nichtung ihren Ausdruck. Folgerichtigzeigt sie sich allenfalls noch anschlussfähig an den ideologischen GlaubenConrads, wenn dieser sich der nichtenden Konsequenz seiner ausschließlichenTranszendenzorientierung auf Kosten der Immanenz bewusst wird. Ein Glaubedieser Art aber muss die Vorstellung eines liebenden Gottes letztlich streichen.Es ist daher nur schlüssig, dass der Graf von Sayn gegen den Protest Conrads– „Gott kann niemals ein Wesen wie Dich gezeugt haben“ – das Bild einesnegativen Gottes aufbietet: „Du irrst. Er wollte den Sturm, die Nacht unddie Kälte. Er hat das Alter und die Pest erschaffen, die an unserem Körper nagen…“(IV, 66) Im Hintergrund dieser Passage scheint das Theodizeeproblemauf, doch stellt sich dieses für den Grafen nicht, da es erst zusammen mit derVorstellung eines liebenden Gottes entstehen kann. Für den Grafen ist Gott jedochnicht der liebende, sondern vielmehr eine grausame Figur: „Er hat micherschaffen und mich in dieser Welt voller Schmerz ausgesetzt! Ich habe gelittenwie ein Mensch leidet, ohne Hoffnung auf ein Ende!“ (IV, 66) Gott ist hierlediglich ein Autokrat, der tut, was er will, schafft und zerstört, ohne Empathiefür seine Kreationen. Für den Grafen gibt es daher auch in der Erzählung, dieJulius in seinen Reisetagebüchern als Erklärung für die Herkunft des DrittenTestaments bietet, kein empathisches Moment: Voller Erbitterung darüber, soheißt es darin, dass das Leiden in der Welt anhält und die Menschen die BotschaftChristi nicht annähmen, hätten die Apostel sechs Tage lang Gott angefleht– und von ihm daraufhin das Dritte Testament erhalten (II, 20). Sie nutztenes jedoch nicht für die Einläutung der Apokalypse, erläutert der Graf beimShowdown Conrad, sondern versteckten es vor dem Bruder Jesu, „branntensich alle eine Flamme auf die Brust und nannten es Pfingsten“ (IV, 70). DerGraf interpretiert dies als Verrat an ihm: „Als der Erstgeborene für den Todam Kreuz auserwählt wurde, verstand ich, dass ich dazu verurteilt war, biszum Ende zu bleiben.“ (IV, 70) Der Verzicht der Apostel auf die Nutzung desDritten Testaments für die Herbeiführung der Apokalypse erscheint dem Grafenvor diesem Hintergrund seines eigenen Schicksals nicht in erster Linie alsVerweigerung gegenüber Gottes Plan, sondern vor allem als unverzeihlicheProlongierung der Verbannung des Bruders Jesu in die Welt des Leidens. DerGott, der diese Verbannung allererst vollzogen hat, kann mithin aber kein Mitleidund keine Empathie kennen. Der Graf reflektiert daher nicht weiter darüber,ob in der Erzählung des Julius sich etwa auch ein Mitgefühl Gottes mitseiner leidenden Schöpfung äußert, Gott sozusagen aus Barmherzigkeit dieMöglichkeit zur apokalyptischen Aufhebung der Immanenz an die Apostelübergibt und gar mit einkalkuliert, dass diese – konfrontiert mit der Möglichkeitdes Endes aller Dinge – es sich nochmals anders überlegen könnten. Fürden Grafen bleibt Gott vielmehr derjenige, der das Leid mitgeschaffen und sogar bewusst gewollt hat, der unbarmherzig seine Pläne schmiedet und einerseitsden Erlöser wählt (und grausam kreuzigen lässt, um seinen eigenen Zornüber die Sünde der Menschen durch ein Opfer zu mildern), andererseits denapokalyptischen Messias hilflos in der Welt aussetzt und zum dritten schließlichmit einem Federstrich seine Schöpfung wieder apokalyptisch durchstreicht,indem er den Menschen die Mittel zur Auslösung des Endes übergibt– gewissermaßen in der Haltung gegenüber den Aposteln: „Ihr jammert undklagt; es passt euch nicht in der Welt? Bitte, dann sei eben Schluss mit derImmanenz!“ In all dem äußert sich für den Grafen nichts anderes als GottesAutokratie.Soweit der Graf Gott überhaupt Emotionen zuschreibt, reduzieren diesesich zudem weitgehend auf den Zorn des autokratischen Herrschers. DiesenZorn parallelisiert der Graf selbst als Zorn über die Verlängerung seines Aufenthaltsin der Welt – und nimmt die Apokalypse so als Gericht über die Weltebenso, wie über die einstige Verweigerung der Apostel gegenüber der Apokalypse.Entsprechend gewinnt auch das vom Grafen als Folge der apokalyptischenVernichtung versprochene himmlische Jerusalem keine wirklich positivenZüge. Zum einen entsteht es ohnehin erst, wenn der vom Grafen wesentlichbreiter ausgemalte Zorn Gottes „verglüht“ ist; zum anderen scheint dasZentrale zu sein, dass es dann keinen eigenen menschlichen Willen mehr gibt,sondern nur noch den Willen Gottes (IV, 70). Die Negativität des Grafen, derHorde und ihrer Apokalyptik findet so in einem negativen Gottesbild ihre Zuspitzungund ihren Abschluss und das Gottesbild verdeutlicht mittelbar nochmals,wer und was der Graf von Sayn ist: Er ist die Finsternis der Religion, dieNacht der negativen Metaphysik in personifizierter Gestalt; in ihm verkörpertsich die Apokalypse ohne Heilsperspektive, eine absolutistische Transzendenz,vor der die Immanenz keinen eigenständigen Wert besitzt, vor der dasmenschliche Leben in seiner Kontingenz und die menschlichen Geschichtenichtig sind – und die entsprechend mit der Immanenz nach dem Modus einesWillkürherrschers verfährt. Der Gott des Grafen ist ohne Liebe, reine Willensmacht,seine Beschlüsse sind unhinterfragbar, uneinsehbar, und der Sinnder Erschaffung der Immanenz ist ebenso wenig transparent wie die Gründefür ihre Vernichtung – auch die Reaktion Gottes auf das Flehen der verbittertenApostel erscheint im Kontext des Gottesbildes des Grafen kaum als guterGrund für die Apokalypse, sondern eher als unwirsche Dezision. Der Graf inseiner Rolle als apokalyptischer ´Messias des Endes´ ist daher nichts anderesals die Exekutive einer blanken, übermächtigen und letztlich gnadenlosenWillkür; das von ihm gebrachte Ende der Immanenz wird zur Exekution imSinn einer sinnlos verhängten Kapitalstrafe. Die Frage, weshalb Gott all diesveranstaltet, die gesamte Schöpfung schafft und auch noch mit Leid ausstattet,und weshalb er sie wieder vernichtet, seinen Zorn in der Apokalypse rasenlässt und die davon ausgenommenen Menschen dann ungefragt mit seinemWillen vereint, wäre entsprechend aus der Perspektive des Grafen so zu beantworten: Weil er es kann, weil er die blanke Willkürmacht ist, weil seineÜbermacht furchtbar und er daher den Menschen ein furchtbarer Gott ist.Zu den negativen Figuren rechnet schließlich noch Bischof Uther. Eingeführtwird er zu Beginn des zweiten Bandes als gnadenloser Folterer des AgentenSteiners. Er wird dabei als eine Art Teufelsfigur ins Bild gesetzt: Vonhinten beleuchtet bleibt sein Gesicht stets im Dunkeln; zu sehen sind gleichwohlseine langen weißen Haare und ein Bart, der den Mund umrahmt undspitz am Kinn ausläuft (II, 4f). Die Lichtführung macht ihn zu einer finsteren,beinahe gesichtslosen und dadurch umso bedrohlicheren Gestalt, während derSpitzbart ihm etwas Satanisches gibt. Die offen getragenen, langen Haare undder Bart erinnern gleichzeitig an die Ikonographie der Christusgestalt, diegleichwohl nun ins Negative gewendet ist und Uther auf diese Weise mit seinemHerrn als ´apokalyptischem Christus´ symbolisch verbindet. Bei seinenspäteren Auftritten erscheint Uther als hagere Gestalt mit deutlich hervortretendenWangenknochen, tiefen Augenhöhlen und einem stechenden Blick(etwa III, 17). Er erhält dadurch ein asketisches Gepräge, das Leibfeindlichkeitausstrahlt, gleichzeitig jedoch dadurch gebrochen wird, dass seine Kleidungprächtig ausgestattet und geschmückt ist. Sein Habitus und die immer wiederverwendete leichte Untersicht in den Panels zeigen ihn als machtorientierteFigur. Uthers Askese erscheint deshalb als innerer Widerspruch der Person,der – psychologisch gesehen – die Autoaggression in eine verkniffene Bösartigkeitumwendet, als Grausamkeit und Vernichtungswillen nach außen dringenlässt. Uther ist damit bis zu einem gewissen Grad auch ein Gegenbild zuConrad. Wie zu sehen war, wird auch dieser im vierten Band mit offenen weißenHaaren und Vollbart im Modus der Christusikonographie gestaltet;gleichwohl wird er dieser am Ende durch seine Konversion positiv gerecht.Sein mönchischer Habitus bei seiner zweiten Einführung im ersten Bandstrahlt ebenfalls eine gewisse Askese aus. Doch erscheint diese bei Conradkeineswegs als leibfeindlich; vielmehr wirkt er in seiner physischen Präsenzund Gewandtheit durchaus mit seiner Körperlichkeit einig. Sein asketischerHabitus wirkt deshalb eher wie abgeklärte Schlichtheit. Bei Uther hingegenherrschen Grausamkeit und nichtende Aggression vor, die sich mit dem Willenzur Macht verbinden. So lässt sich daher wohl auch seine Motivation zurKooperation mit dem Grafen von Sayn deuten: Die apokalyptische Macht desMessias des Endes allen Seins muss für Uther geradezu die Erfüllung seineseigenen Macht- und Vernichtungswunsches darstellen.Der höllische Charakter der Figur wird durch das Setting unterstrichen undkomplettiert: Die Folterszene am Beginn des zweiten Bandes findet in Stornwallstatt, dessen Düsternis durch schwarze Felsen und eine Tönung der Panelsfast ausschließlich in Grautönen inszeniert wird; als einzige weitere Farbenstehen daneben das Rot des Blutes, ein fahles Rosa für die bleiche Hautdes Gefolterten und ein schmutziges Braun für die hölzerne Streckbank. DieLetztgenannte wiederum hat die Form eines Pentagramms, das als Symbol etwain der Gnosis begegnet und in der frühen Neuzeit (ähnlich wie bei den Pythagoräern der Antike) als magisches Gesundheits- und Heilszeichen verwendetwird. Die volkstümliche Religiosität schreibt ihm im Mittelalter und derfrühen Neuzeit apotropäische Kraft zu, so etwa eine bannende Wirkung gegenHexen. Das Pentagramm gehört so auch in den Bereich des Aberglaubens, alsoeiner Amalgamierung der volkstümlichen Religiosität mit magischen Vorstellungenund der Angst vor reifizierten negativen metaphysischen Mächten.Der Aberglaube verbindet sich wiederum eng mit der populären Vorstellungvom Mittelalter als einer finsteren, unaufgeklärten Epoche. In dieser Richtungwird man die Verwendung hier verstehen dürfen – die Präsenz des Pentagrammsin Stornwall zeichnet Uther und seine Gefolgsleute als Vertreter einervom Aberglauben tief durchtränkten, finsteren Epoche. Text und Bildlichkeitordnen entsprechend nicht nur den Grafen von Sayn und seine Horde, sonderneben auch Uther und seine Mönche auch an anderen Stellen immer wieder derHölle und satanischen Mächten zu. Wie bereits zu sehen war, dienen die FarbenRot und Schwarz sowie die Symbolik des Feuers im dritten Band bei derDarstellung des Skriptoriums und der Arbeit der internationalen Gelehrtengruppeder Versinnbildlichung dieses Charakters. Auch das Pentagrammtaucht entsprechend hier wieder auf, sowohl als Symbol an der Tür der Kammer,in dem die Manuskripte des Julius aufbewahrt sind, als auch an die Wanddieser Kammer gemalt mit den bisherigen Lösungen der Rätsel (III, 14f). Inder Folterszene zu Beginn des zweiten Bandes entspricht zudem auch die Folterselbst der Höllenthematik – gehört zur populären Ikonographie der Hölledoch auch das Quälen und Foltern ihrer Insassen.Als eine Art Höllenfürst mit Zügen aus der Christusikonographie stelltUther zudem eine Figur der Inversion dar. Dem entspricht in der Folterszene,dass seine Hölle kein Ort des Feuers und der Glut ist, sondern eine kalte, steinerneHölle und die Folter bei Regen stattfindet. Kälte kennzeichnet im übertragenenSinn auch Uther selbst – er droht dem Gefolterten beinahe geschäftsmäßigmit langen Qualen, falls dieser sein Wissen nicht preisgibt, undbietet ihm für seine Aussage einen baldigen Tod an. Als Steiners Agent dannaussagt, kündigt Uther ihm an: „Gut. Das war klug von Dir. Ich werde gnädigsein.“ (II, 5) Die ´Gnade´ besteht gleichwohl dann darin, den Agenten von Rabenzerfleischen zu lassen, ein Vorgang, der den im Hintergrund stehendenTessingher vor Übelkeit würgen lässt (II, 5). Uthers Grausamkeit hat hier geradezubürokratische Züge; er nutzt die Folter bis zum Exzess ausschließlichum Informationen zu erpressen und ergötzt sich nicht weiter an der Qual seinesOpfers, sondern wendet sich ab und befiehlt geschäftsmäßig, sein Pferdsatteln zu lassen (II, 5). Ähnlich geschäftsmäßig beauftragt er im dritten BandTessingher, alle Lösungen der Rätsel durch die Gelehrtengruppe nochmals überprüfenzu lassen und die einzelnen Mitglieder der Gruppe dabei nötigenfalls´zu Tode zu hetzen´ (III, 8); der Auftrag mutet dabei wie eine überflüssige,unnötig Kräfte und Menschen verzehrende Wiederholung bereits geschehenerTitanenarbeit an. Die Grausamkeit Uthers zeigt in diesen Szenen einebürokratische Kälte und Vernichtungsbereitschaft, durch die die Figur besonders unmenschlich erscheint. Die Inversion, mit der in der Folterszene dergrausige Tod durch Zerfleischen von Uther als Gnade tituliert wird, fügt sichdabei zu der Inversion der Nutzung der Christusikonographie. Gerade die Inversionverstärkt durch den Abgrund zwischen dem mit dieser Ikonographieeigentlich Gemeinten und der Charakteristik der Figur Uther dessen Negativität.Die Erzählung erteilt mit dieser Figur daher nochmals besonders zugespitztdem Motiv der Macht – wie es auch Guillaume verkörpert – und dergnadenlosen Instrumentalisierung von Menschen ihre Absage. Gleichzeitiglässt sie die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit auch dadurch als Überwindungeiner abergläubischen, von Angst und religiös begründeter Gewaltdurchzogenen, finsteren Epoche erscheinen. Mit Uther wird die religiöse Begründungder Gewalt gleichwohl als scheinreligiös und letztlich von der Nichtungder negativen Metaphysik getragen gezeichnet. Die Gefolgsschaft, dieUther dem Grafen von Sayn leistet, zeigt sich deshalb gleichfalls als Inversion:Sie verkehrt die christliche Nachfolge, die in Nächstenliebe dem Lebendient, in ihr Gegenteil. Als soziale Organisation verkörpert Uthers Gemeinschaftgewissermaßen ein negatives Analogat zur christlichen Kirche, nämlicheine Kirche der Hölle.
Verschwörungstheoretische Elemente
„Le Troisième Testament“ präsentiert sich als Verschwörungserzählung. EineReihe verschwörungstheoretischer Elemente ist bereits in der Figuren- undMotivanalyse deutlich geworden. Nachfolgend soll die Verwendung verschwörungstheoretischerElemente jedoch nun nochmals eigens und systematisierendbetrachtet werden. Typisch für die Verschwörungstheorie ist diezentrale und grundstürzende Bedeutung, die der Verschwörung zuerkanntwird. In der vorliegenden Erzählung tritt dies bereits im ersten Band geradezuklassisch vor Augen, als Conrad die Bedeutung der Manuskripte aus demKloster von Veynes im Gespräch mit Bischof Charles von Elsenor bewertet:„… schrecklich für die Kirche! Eine Infragestellung des gesamten Dogmas!“(I, 16) Nicht weniger als die Fortexistenz der Kirche und die Gültigkeit deschristlichen Glaubens scheinen mithin auf dem Spiel zu stehen. Damit sindhintergründig sofort auch Verschleierungsinteressen der Kirche und das Motivder Macht bzw. Machtbewahrung eingeführt. Am Ende der Erzählung geht esdann freilich nicht um diese, sondern um die noch viel fundamentalere Bedrohungdurch die Apokalypse. Das hintergründige Motiv der Macht bleibt allerdingserhalten, wird mit dem Dritten Testament in Zusammenhang gebrachtund schließlich bei den Templern konkret verankert. Bis sich die apokalyptischeBedrohung herausschält, bleibt zudem die Möglichkeit offen, dass dasDritte Testament als das authentische Wort Gottes die Heilige Schrift überholen,die christliche Botschaft in Frage stellen und damit die Kirche gefährdenkönnte. Die in einem verschwörungstheoretischen Setting damit geweckte Erwartung,nun auf genuin kirchliche Agenten zu stoßen, die zum Zweck derkirchlichen Machtbewahrung Jagd auf das Dritte Testament machen und esunterschlagen wollen, wird gleichwohl nicht erfüllt. In diese Rolle tretenvielmehr die Templer ein, die jedoch gerade nicht die Unterschlagung beabsichtigen,sondern auf eine Revolutionierung der Kirche und die eigeneMachtfülle abzielen. Auch mit dieser Verschiebung bleibt die Erzählungdurchaus im verschwörungstheoretischen Paradigma; die Verschiebung selbstist zudem durchaus typisch für Verschwörungstheorien – zeichnen sich diesedoch durch ständige, auch widersprüchliche Verlagerungen von Zuschreibungen,durch Inversionen und den Übergang zu anderen Verschwörungstheorienmit neuen Akteuren aus. Gemäß der von der Verschwörungstheorie verwendetenStruktur des Kriminalromans schälen sich die wahre Verschwörung undihr Umfang oft erst nach einem anders gelagerten Anfangsverdacht heraus.Eben dies ist auch hier der Fall.Dem grundstürzenden Charakter der Verschwörung entspricht in der Verschwörungstheoriein der Regel ihre universalhistorische Gestalt als Weltverschwörung.Die vorliegende Erzählung entfaltet dies in einzelnen Schritten:Im Gespräch zwischen Steiner und Conrad im zweiten Band wird deutlich,dass die Horde schon vor mehr als 130 Jahren aktiv war (II, 14). Greifbar wirddamit der Topos einer Verschwörung seit Jahrhunderten. Dieser Topos wirdim vierten Band durch die resümierende Erzählung Guillaumes über die Geschichteund Aktivitäten der Templer sowie seine eigene Rolle wieder aufgenommenund nochmals bestätigt – die Verschwörung umfasst nun immerhindie etwas mehr als zwei Jahrhunderte währende Geschichte des Templerordens.Als sich im vierten Band dann herausstellt, dass der Graf von Sayn womöglichder Bruder Jesu ist und die Horde gegebenenfalls sogar den 13.Stamm Israels darstellt, wird der historische Umfang der Verschwörungnochmals nach rückwärts zum Beginn der christlichen Zeitrechnung und mitdem 13. Stamm sogar über diese hinaus ausgedehnt. Die Verschwörung umfasstdamit die gesamte Geschichte der Christenheit und des Judentums, alsoalle historischen Zeiträume, die aus der Sicht eines spätmittelalterlichen Christentumsrelevant erscheinen. Vom Standpunkt der negativen Metaphysik ausbetrachtet, für die der Immanenz das apokalyptische Ende durch die metaphysischeGeschichte der Welt schon von Beginn an bestimmt erscheint, umfasstdie Verschwörung als metaphysische bzw. als die der metaphysischen Mächtegegen die Immanenz letztlich sogar die gesamte Geschichte des Kosmos bishin zum Beschluss Gottes, diesen nicht nur zu schaffen, sondern auch wiederaufzuheben. In diesem Fall wäre Gott selbst der oberste Verschwörer – allerdingsnur, wenn ihm selbst eine negative Metaphysik unterstellt werden könnte;bei der nachfolgenden Betrachtung der Konstruktion der Message wird aufdiese Frage nochmals kritisch zurück zu kommen sein. Des ungeachtet ist andieser Stelle gleichwohl festzustellen, dass die Erzählung zumindest mit derTopologie einer universalhistorischen Weltverschwörung arbeitet, die mindestensbis zu der Zeit Jesu und der Geschichte Israels zurückreicht.Zusammen mit dem Weltverschwörungscharakter findet sich auch der Toposder Erklärung aus einem Prinzip in der Erzählung. Im Kern nämlichscheint die Universalgeschichte bewegt und determiniert durch die Verschwörung,die entsprechend das Bewegungsgesetz der Geschichte bildet. Dabei verfolgtdie Erzählung immer wieder auch die Zurückführung der geschichtlichenEreignisse auf eines der beiden klassischen Handlungsmotive, die die verschwörungstheoretischeTopologie den Verschwörern unterstellt: Im zweitenBand deutet Conrad in der unterirdischen Bibliothek an, dass die mit demDritten Testament verbundene Macht das Motiv für die Jagd der Verschwörernach diesem sein könnte – „ein mächtiges Wort: das Dritte Testament! DieMenschen würden töten, um es zu bekommen…“ (II, 21) Damit ist das einezentrale Motiv benannt, das die Verschwörungstheorie als Handlungsprinzipannimmt. Als dann im selben Band zunächst Bischof Uther als Kopf der Verschwörungvon Steiner enttarnt und die Horde ihm zugeordnet wird, scheintsich dieses Motiv einem zentralen Verschwörer zuordnen zu lassen (II, 30f).Gleichzeitig tritt bei dieser Gelegenheit mittelbar das zweite verschwörungstheoretischeHandlungsmotiv in Blick, nämlich die Profitorientierung: Soscheint Uther mit „der Hanse in Gotland und Nowgorod“, also mit mächtigenökonomischen Interessengruppen, verbunden zu sein (II, 31). Die Macht stehtallerdings im Vordergrund und das Profitmotiv ordnet sich ihr lediglich alsNebenmotiv einer mit den Verschwörern verbundenen Gruppe zu. Die Erzählungbleibt damit der Konzentration der Verschwörungstheorie auf jeweils einesdieser beiden Motive als dem primär leitwirksamen treu – und damit auchder Erklärung aus einem Prinzip verpflichtet. Unverstellt deutlich wird diesesMotiv dann von den Templern verkörpert: Guillaume benennt im Gesprächmit Conrad die ´Herrschaft der Gerechten´ „durch die Macht des göttlichenWortes, die Kraft des Universums“ als das Ziel der Templer, das zugleichschon den Anlass für ihre Gründung geboten hat (IV, 17).Mit dem Grafen von Sayn setzt die Erzählung am Ende gleichwohl ein anderesHandlungsmotiv und ein anderes Prinzip für die Erklärung der verschwörerischenGeschehnisse an. Das Prinzip ist hier nun die negative Metaphysikdes Endes, die übermächtige Dominanz der metaphysischen Mächteüber die Immanenz, aus der das Bestreben des Grafen zur Freisetzung der Apokalypsehervorgeht. Für ihn geht es nicht in erster Linie um die Macht imSinn der Herrschaft, die die Verschwörungstheorie im Auge hat, sondern eherum die Macht der Nichtung – die Nichtung der Immanenz, in der er selbstnicht sein möchte und die er als Verbannung erlebt sowie die Nichtung desMenschseins, das er nicht bejaht und nicht bejahen will. Der Graf verhält sichzur Immanenz, zum Dasein von Welt und Mensch als blanke, radikale undgewalttätige Negation; dies ist sein Wesen und zugleich sein Motiv, nicht dieMacht. Mittelbar wird über sein negatives Gottesbild allerdings ein transzen203dentes Analogat der irdischen Herrschaftsmacht akzentuiert – wenn die Immanenzvernichtet werden und der Zorn Gottes rasen können soll, um danachin der transzendenten Sphäre nur noch seinen eigenen Willen existieren zu lassen,so ist es die absolute Willkürmacht dieses Gottes, die das letztbezüglichePrinzip der Verschwörung der metaphysischen Mächte gegen die Immanenzbildet. Die negative, apokalyptische Metaphysik des Grafen – wenn man sowill, die Metaphysik des Endes und der Nichtung – ist daher von diesem Gottesbildaus betrachtet selbst eine Verschwörungstheorie bzw. eine verschwörungstheoretischeMetaphysik. Dem Motiv der Nichtung der Immanenz ordnetsich dann ein zweites Motiv des Grafen zu, nämlich die Durchsetzung seinerGottesvorstellung mit Hilfe einer absoluten Gewalttat, wie sie die Apokalypsegegenüber der Immanenz darstellt. Auch die Willkürmacht des absolutistischenGottes erscheint dabei entsprechend als absolute Gewalt. Auf dieseWeise – indem die negative Metaphysik durch Verbindung mit dem negativenGottesbild selbst Züge einer Verschwörungstheorie erhält und beide so ihrenGewaltcharakter offenbaren müssen – unterzieht die Erzählung diese Metaphysikund die Verschwörungstheorie einer grundsätzlichen Kritik. Konturiertwird diese Kritik durch die Kontrastpositionen von Elisabeth und Conrad amEnde der Erzählungen, sowie bis zu einem gewissen Grad auch von Clemens(s.u.). Auch mit der Verbindung zwischen der negativen Metaphysik, dem negativenGottesbild und der Verschwörungstheorie aber folgt die Erzählungnochmals der verschwörungstheoretischen Erklärung der Universalgeschichteaus einem Prinzip (und verlässt diese dann zusammen mit der Verschwörungstheoriedurch Conrads und Elisabeths Schlusspositionen).Daneben bedient sich die Erzählung noch einer Reihe weiterer verschwörungstheoretischerElemente. So nimmt sie Bezug auf die vielfältigen Verschwörungstheorien,die sich um die Templer ranken: Ähnlich wie beispielsweisein HBHG unterstellt sie, dass die späteren Gründer der Templer mit einergeheimen Agenda am Kreuzzug teilgenommen haben, also ein ganz anderesZiel als die Eroberung Jerusalems für die Christenheit verfolgten (IV, 16f).Es geht hier freilich nicht wie in HBHG um die Durchsetzung der Herrschaftsrechteeiner jesuanischen Dynastie, sondern um die Errichtung der Einen Kirchemit Hilfe des Dritten Testaments. Wie in HBHG und anderen templerbezogenenVerschwörungstheorien aber bildet der Orden lediglich die Maske fürim Geheimen verfolgte, gänzlich andere Ziele. Hinsichtlich der historischenZerschlagung des Templerordens greift die Erzählung zudem auf den verschwörungstheoretischenTopos zurück, dass die Opfer in Wahrheit die Täterseien, wenn Guillaume sich und die Templer als die „Architekten unserer eigenenZerstörung“ zeichnet (IV, 19). Ebenso lässt sie den Topos aufscheinen,dass die offiziell Mächtigen in Wahrheit Manipulierte und so ohnmächtig sind.Deutlich wird dies vor allem in der Szene am Ende des zweiten Bandes, in derder Papst das von Steiners Agent überbrachte Dokument sogleich an einenTempler aushändigt, der hinter dem Thron des Papstes hinter einem Vorhangsteht (II, 48) – und auf diese Weise auch bildhaft die Manipulation des Oberhaupts der Kirche durch geheime Hintermänner vor Augen treten lässt. Wiederholttritt zudem der argumentative Topos auf, dass die Abwesenheit vonBeweisen den eigentlichen Beweis darstellt bzw. dass dort, wo nichts zu sehenist, gerade deshalb etwas sein muss. Beinahe klassisch findet sich dieser Toposin HBHG, wenn die Autoren das Fehlen jedes Nachweises der Existenz desangeblich von den Vorfahren Plantards bewohnten Schlosses Barbarie in denoffiziellen Quellen gerade als Beleg dafür nehmen, dass sich gemäß ihrer verschwörungstheoretischenQuelle (den Dossiers secretes) tatsächlich jemanddarum bemüht habe, dieses „aus der Geschichte zu streichen“ und „sämtlicheSpuren zu verwischen“ (Lincoln, Baigent, Leigh 2006, 146). Ähnlich verfährtConrad in der unterirdischen Bibliothek bezüglich der Stadt Gischala, in derdie Apostel das Dritte Testament erhalten haben sollen: „Sie existiert! Aber sietaucht nicht ein einziges Mal in den Evangelien auf! Als wenn man sie totschweigenwollte… sie auslöschen!“ (II, 21) Realgeschichtlich stellt Gischala(Gusch Chalav) eine Stadt in Obergaliläa dar. Dort übt der Zelotenführer Johannesvon Gischala während des jüdisch-römischen Kriegs (66-74 n.Chr.) einetyrannische Herrschaft aus, bis sich die Bürger Gischalas mit Hilfe des römischenGenerals Titus davon befreien und Johannes nach Jerusalem flüchtenmuss (van der Horst 1996). Dieser Abschnitt der Stadtgeschichte fügt sich metonymischzu HBHG, das Jesus selbst zum zelotenfreundlichen Widerständlergegen die Römer zu machen sucht, sowie zur Folgepublikation Baigents undLeighs (2006), die den Evangelien eine römerfreundliche Tendenz und antizelotischeUmdeutung Jesu unterstellt. Durch diesen metonymischen Bezug wirdder genannte verschwörungstheoretische Topos zusätzlich metatextuell unterstrichen(was sich freilich nur dem entsprechend informierten Leser erschließt).Auch Guillaume bedient sich dieses argumentativen Topos´, wenngleichetwas abgeschwächter Form. So nennt er die Vorstellung von einemBruder Jesu, der der 13. Apostel sei, „unsägliche Blasphemie“ und setzt jedochgleich hinzu, dass „die Existenz eines 13. Apostels und Verwandten Jesuin den biblischen Zeiten in den Schriften auch nicht geleugnet“ werde (IV,40). Aus dieser Leerstelle leitet er dann mit Rekurs auf Josephus (Flavius) undeine entsprechende Deutung anderer Schriftstellen den Beleg für das Vorhandenseindieses 13. Apostels her. Es ist dabei gerade das Fehlen einer Leugnung,das diese Deutung für Guillaume untermauert und den eigentlichen Beweisdarstellt.Schließlich aber lässt die Erzählung die beiden Hauptfiguren Conrad undElisabeth auf ihrem Weg tief in das verschwörungstheoretische Paradigma undDenken eindringen – um sie schließlich auch wieder darüber hinaus zu führen.Vermittelt vor allem über Elisabeth (und bis zu einem gewissen Grad durchClemens) nimmt die Erzählung gleichzeitig Stellung zur Verschwörungstheoriegenerell und dem verschwörungstheoretischen Denken. Wie wiederholt zusehen war, arbeitet die Verschwörungstheorie mit dem dichotomischen Paradigmavon Schein und Sein und betrachtet dabei die gesamte, offenbare Realitätals Täuschung, hinter der die eigentlichen, geheimen Bedeutungen mit Hilfe des arkanen Sonderwissens des Verschwörungstheoretikers erst aufgeschlüsseltwerden müssen. Der Verschwörungstheoretiker bedient sich dazuder Methode des Codelesens und versucht damit die Komplexität der Wirklichkeitdrastisch zu reduzieren. Diese verschwörungstheoretische Methodeführt bereits Conrad in der geheimen Bibliothek vor, als er die Übersetzungder Reisetagebücher des Julius zum Schlüssel für eine alternative Exegetisierungder Heiligen Schrift macht und die alternative Auslegung mit den Apokryphensubstantiiert. Ähnlich verfährt Guillaume, als er die Existenz desBruders Jesu als 13. Apostel zu belegen sucht. Kondensiert tritt die verschwörungstheoretischeMethodik bei der Lösung des siebten Rätsels durch Clemensunter Mitarbeit von Conrad und Elisabeth im dritten Band vor Augen: Clemensbetont zunächst, dass es um die Lösung eines „gigantischen Rätsels“ gehe,das „in einem recht langen Text verborgen“ liege (III, 35). Um das „Geheimniszu entschlüsseln“, müsse man „jenseits der Erzählung lesen und dieokkulte Sprache der Symbole kennen“ (III, 35). Clemens führt damit die verschwörungstheoretischeDifferenz zwischen Textoberfläche und Tiefenbedeutungein; mit dem Hinweis auf die okkulte Sprache verdeutlicht der zugleich,dass die Tiefenbedeutung mit der Textoberfläche in keinerlei semantischemZusammenhang steht. Die Gigantik des Rätsels und der recht lange Text entsprechender ausufernden Komplexität, der sich die Verschwörungstheorie mitihrem universalen Erklärungsanspruch gegenüber sieht.Typisch verschwörungstheoretisch geht es dann um eine äußerst drastischeReduktion der Komplexität: „Durch diese langwierige Arbeit kann der Eingeweihteden Originaltext auf einen oder mehrere Sätze reduzieren, die die wahreBotschaft enthalten…“ (III, 35) Diese Sätze sind im vorliegenden Fall diesieben Rätsel, die es zu lösen gilt, und die wiederum durch Nutzung kabbalistischerZahlensymbolik auf ein einziges Wort, den Namen des Fundorts desDritten Testaments, hinführen sollen. „So funktioniert es: ein ganzes Heft fürsieben Sätze, sieben Sätze für ein einziges Wort…“ (III, 35) Der so exegetisierteText wird auf diese Weise vollständig entwertet – sein Inhaltsreichtum,seine poetische Gestaltung, seine Semantik und sein Sinngehalt sind völlig irrelevantund dienen lediglich als Versteck für eine Ortsangabe, die in keinerleiBeziehung zu diesen steht. Typisch für die Verschwörungstheorie wird dieKomplexitätsreduktion zudem geradezu banal faktenrealistisch angesetzt. Dadurchwird auch die kabbalistische Zahlensymbolik, auf die Clemens zurückgreift,kontraintentional umgewertet – sie steht in keinerlei Beziehung zur jüdischenMystik mehr und dient auch nicht einer komplexen Realitätserschließung,sondern hat lediglich den Charakter eines Codeschlüssels. Dies dokumentiertsich nicht zuletzt darin, dass Clemens kein Wort über die semantischenDimensionen der Kabbalistik verliert, sondern nur auf die Verbindungzwischen Buchstaben und Zahlen zurückgreift und sich einer Codescheibe bedient(III, 38f). Die Codescheibe materialisiert dabei den randomisierten Charakterdes Codes und damit gleichzeitig nochmals dessen Beziehungslosigkeitzur jeglicher textuellen Semantik. Clemens erläutert darüber hinaus, dass sichauch die einzelnen, aus der Lösung der Rätsel gewonnen Buchstaben mit jederneuen Lösung und jedem neuen Buchstaben verändern, weil die Codescheibejeweils in eine neue Einstellung gebracht wird (III, 38f). Man kann darin formaldie ständigen Bedeutungsverschiebungen abgebildet sehen, mit denen dieVerschwörungstheorie arbeitet: Bei ihrer komplexitätsreduktiven Totalerfassungder Wirklichkeit wandelt die Verschwörungstheorie ja ihre jeweils gewonnen´Wahrheiten´ in ihrer hyperkomplexen Struktur immer wieder ab undum, um ihre unvermeidbaren internen Widersprüche und der Mangel anSchlüssigkeit zu verdecken.Auf diese Weise gibt die Erzählung auf der Ebene des Diskurses zugleicheinen Kommentar zur Verschwörungstheorie ab. Der randomisierte, in sichbedeutungslose Code, der von der Erzählung auch vollständig aus seinem religiösenund kulturellen Kontext der Kabbalistik herausgelöst wird, verweist aufden nicht minder willkürlichen und bedeutungslosen Charakter der Verschwörungstheorieund des verschwörungstheoretischen Denkens. Die Codescheibelässt sich daher im Zusammenhang mit den Erläuterungen von Clemens als einebildhafte, ironische Replik zur Verschwörungstheorie verstehen. Nochdeutlicher aber wird diese Replik in der Entwicklung der Figuren: Hier wirddas verschwörungstheoretische Denken einerseits verbunden mit dem ideologischenGlauben Conrads, andererseits mit der negativen Metaphysik des Grafenvon Sayn, die ja letztlich selbst verschwörungstheoretische Züge hat bzw.durch ihr negatives Gottesbild eine Art metaphysische Verschwörungstheorieist. Sowohl Conrad als auch Elisabeth tauchen, je tiefer sie mit der negativenMetaphysik vertraut werden, in die heillosen Konsequenzen des ideologischenGlaubens bzw. die Nacht des Wissens ein; bei beiden ist dies unlöslich damitverbunden, gleichzeitig die abgründige Welt des arkanen Sonderwissens derVerschwörungstheorie einzutreten. Und beide wenden sich am Ende sowohlvon der negativen Metaphysik als auch zusammen mit dieser von der Verschwörungstheorieab. Insbesondere Elisabeth macht dies auch verbal deutlich,wenn sie diese als negative Formen des Wissens zurückweist – „ich willnicht wissen. Ich will diese Enthüllung nicht.“ (IV, 71) Zwar beziehen sichdiese Sätze an dieser Stelle primär auf den Inhalt des Dritten Testaments, dochweist Elisabeth damit zugleich die gesamte negative Metaphysik sowie denideologischen Glauben Conrads und auch jenes verschwörungstheoretischeWissen zurück, das zu den apokalyptischen Inhalten dieser Metaphysik geführthat. Die Verschwörungstheorie und das verschwörungstheoretische Wissenerweisen sich generell als nicht weniger finster und unmenschlich, als dieverschwörungstheoretische negative Metaphysik selbst; mit jeglicher Verschwörungstheorieund ihrem jeglichen arkanen Sonderwissen tritt das Denkenselbst in die Nacht ein und verliert sich darin. Das am Ende heraufdämmerndeund auch verbal beschworene Licht steht daher ebenso für die Vertreibungdieser Nacht: für die Aufkündigung der verschwörungstheoretischenVerfinsterung des Verstandesgebrauchs schlechthin. Aber auch das andereLicht, das Clemens wählt, wird mittelbar in Stellung gegen die Verschwörungstheorie gebracht: Zwar lässt Clemens sich auf die Entschlüsselung dessiebten Rätsels ein und zeigt sich dabei souverän. Doch nutzt er die Codes unddie darauf zurückgeschnittene Kabbalistik lediglich als Methode und findetseine eigene Faszination an der Übung der Rationalität des Gelehrten, an derEntschlüsselung um der Entschlüsselung willen. Die verschwörungstheoretischenInhalte hingegen, der Fundort des Dritten Testaments, ja überhaupt, dasses um einen Ort geht, interessiert ihn hingegen nicht. Seine Wahl fällt vielmehrauf das Licht des Glaubens – und dieses vertreibt bei Clemens ebensodie Finsternis der Verschwörungstheorie.
Sympathielenkung und Message
„Le Troisième Testament“ entfaltet seinen werkspezifischen Diskurs vermitteltüber die Figuren, die jeweils bestimmte thematische Positionen vertreten.Durch die Interaktionen der Figuren, ihre wechselseitige Stellungnahme zueinander,ihre Entwicklung und die dabei geschehende Sympathielenkungentwickelt der erzählerische Diskurs Bewertungen dieser Positionen. Auf dieseWeise generiert er seine Message. In der Motiv- und Figurenanalyse ist dazubereits einiges deutlich geworden. Eigens in Blick zu nehmen ist jedochnoch die Message, die Gesamtaussage der Erzählung. Um diese in ihrer Differenziertheitvor Augen stellen zu können, ist es hilfreich, nochmals und systematischauf die Sympathielenkung einzugehen. Das gebräuchlichste Mittel,einen erzählerischen Diskurs in eine Message ausmünden zu lassen, bestehtdarin, die abschließende Wertungsposition durch einen Helden und seine Entwicklungvertreten zu lassen. Auch die vorliegende Erzählung nutzt diesesMittel, wenngleich nicht allein. Wer aber ist in „Le Troisième Testament“ derHeld? Wie zu sehen war, operiert die Erzählung mit zwei Hauptfiguren, Conradund Elisabeth. Die Hauptfiguren einer Erzählung müssen jedoch nichtnotwendigerweise in der Heldenposition auftreten. Sie könnten auch Antiheldensein, Negativbeispiele für eine von der Erzählung vorgeführte Wertungsposition,und entsprechend gerade mit Antipathie belegt werden. Die Messageentsteht dann gewissermaßen ex negativo durch eine Emotionslenkung, die aufdie Ablehnung der Hauptfigur zielt. Der Held hingegen ist in der Regel ein Figurentypus,für den die Erzählung von vorneherein auf Sympathie abstellt.Mit einem lediglich flüchtigen Blick auf Conrad und Elisabeth und die vonihnen vertretenen Motive könnte man nun annehmen, dass die Erzählung beideStrategien verwendet, indem sie Conrad als Antihelden aufbaut und mitAntipathie belegt, während Elisabeth die Heldenrolle vertritt und sympathischgezeichnet wird. Tatsächlich stellt Conrad ja bereits bei seiner ersten Einführungin der Vorgeschichte eine zwiespältige Figur dar, während Elisabeth vonvorneherein positiv präsentiert wird und durch die Captions ihrer Memoirennicht nur in die Rolle der Erzählerin, sondern zugleich eine Hauptrolle eintritt.Das Motiv der Menschlichkeit bei Conrad und sein nachdrücklicher Kampfgegen die eindeutig als böse gekennzeichneten Mächte und Figuren verweisenjedoch darauf, dass Conrad nicht als negative Figur in der Erzählung fungierensoll. Er wird vielmehr trotz und zusammen mit seiner Zwiespältigkeit in derHeldenrolle geführt, wobei die Erzählung auf mehreren Ebenen um Sympathiewirbt: So wird Conrad schon in der Vorgeschichte zumindest auch als Opfereiner korrupten Anklagebehörde gezeichnet und ihm mittelbar eine gewisseIntegrität zugesprochen, die dann durch die positive Fremdcharakterisierungdurch Bischof Charles von Elsenor unterstrichen und um weitere positive Eigenschaftenergänzt wird. Die zweite Einführung zeichnet Conrad zudem alsabgeklärte, bis zu einem gewissen Grad in sich ruhende Gestalt, die eine positiveAutorität und Männlichkeit ausstrahlt. Die ästhetische Konfiguration Conradsverstärkt diese Charakteristik durch cross-mediale Bezüge: Er ist deutlichangelehnt an Sean Connery, und zwar sowohl in dessen Rolle in der Verfilmungvon „Name der Rose“ (Jean-Jaques Annaud, BRD/I/F 1986) als auch inMichael Bays Actionfilm „The Rock“ (USA 1996). Das Eindringen in Stornwallüber unterirdische Kanäle ist dabei deutlich der Sequenz im zweitgenanntenFilm nachempfunden, in der Connery die Polizeibeamten durch ebensolcheKanäle in das Gefängnis von Alcatraz führt, das ebenso wie Stornwall aufeiner kleinen Felseninsel errichtet ist (II, 40-42). Unterstreicht der Bezug zu„Name der Rose“ die unabhängige Geistigkeit Conrads, so betont der Bezugauf „The Rock“ seine Virilität, seine Männlichkeit, die sich trotz seines Altersauch in den Actionsequenzen beweist – diese Sequenzen wiederum werdendurch den Bezug zum Kino und die dort etablierten Darstellungsweisen zusätzlichplausibilisiert.Die Zuordnung von Conrad und Elisabeth ist deshalb nicht die von Antiheldund Heldin, sondern folgt einer klassischen Konstellation: Conrad ist derHeld und Elisabeth ist seine Vertraute bzw. Gefährtin; Conrad erhält dabei bisweit in den dritten Band hinein der Rolle des väterlichen Mentors für Elisabeth.Auch diese Rolle und Elisabeths Vertrauensverhältnis zu Conrad unterstreichtseine Sympathieträchtigkeit als Held. Die Zwiespältigkeit hingegendient dazu, Conrad auf den Weg einer Entwicklung zu schicken, auf dem erden Konflikt zwischen den beiden Motiven des ideologischen Glaubens undder Menschlichkeit lösen muss. Conrad durchläuft dabei etliche Stationen dergleichfalls klassischen Heldenreise (Campbell 1999; Vogler 2004): Die Vorgeschichteetabliert die backstory wound, primär als Scheitern der Auseinandersetzungmit dem Grafen von Sayn, die Conrad am Ende dann doch bestehenmuss; durch Bischof Charles ergeht der Ruf ins Abenteuer an Conrad,dem er sich zunächst mit der Ablehnung einer neuerlichen Tätigkeit für dieInquisition zu verweigern sucht und den er nach dem Tod des Bischofs dennochannehmen muss. Mit der Flucht aus Paris überschreitet Conrad die ersteSchwelle; danach versucht er das Abenteuer durch Wiederanknüpfung an seine gewohnte Welt – mit der Nutzung des Inquisitorenrings und seinen früherenVerbindungen – zu bestehen. Kurzzeitig erhält Gerhard Steiner zu Beginndes zweiten Bandes die Rolle des Mentors des Helden. Das Eindringen inStornwall bedeutet dann das Vordringen zu tiefsten Höhle, in den Herrschaftsbereichdes Feindes, wo sich Conrad zum ersten Mal seiner backstory wound,seiner schicksalshaften Verbindung mit dem Grafen von Sayn stellen muss.Mit der Lösung der Rätsel erhält Conrad seine Belohnung dafür. Das Stadiumder Rückkehr ist aufgeteilt in die Flucht aus Stornwall und den Weg nachPrag, wobei sich mit der Antiklimax am Ende des dritten Bandes ein erneutesStadium der Krise anschließt, bevor dann im vierten Band die entscheidendeKonfrontation erfolgt und Conrad mit seinem Tod konfrontiert wird. DieRückkehr mit dem Elixier gibt es für ihn allerdings nur noch symbolisch durchdie Entscheidung für die Menschlichkeit und die Übergabe der Heldenrolle anElisabeth. Die Nutzung dieses klassischen Musters verdeutlicht so nochmals,dass Conrad von der Erzählung auch strukturell in der Heldenrolle geführtwird. Nicht zuletzt dadurch gelingt es der Erzählung außerdem, die keineswegsgeringfügige und ebenso wenig nur zur Selbstverteidigung dienendeGewaltübung Conrads einerseits als legitimes Mittel im Kampf gegen das abgrundtiefBöse, andererseits als Element seiner Zwiespältigkeit und nicht alsjede Sympathie durchstreichende Negativcharakteristik erscheinen zu lassen.Wie zu sehen war, besteht Conrads zentrale Aufgabe auf der Ebene der Motivedarin, die Negativität seines ideologischen Glaubens durch dessen nichtendeKonsequenzen zu erkennen, sich davon zu trennen und der Menschlichkeitsowie einer Wertschätzung der Immanenz zuzuwenden. Im narrationsimmanentenDiskurs stellen deswegen Elisabeth und Trevor Conrads Rolle alsInquisitor immer wieder in Frage und weisen auf die moralisch nicht tragbarenpraktischen Folgen seines ideologischen Glaubens hin. Durch die Konfrontationmit Bischof Uther, dem Prior der Mönche von Stornwall und schließlichdem Grafen von Sayn wird Conrad gezwungen, zuletzt die alle Menschlichkeitvernichtende Qualität des ideologischen Glaubens sowie dessen Verbindungmit einem negativen Gottesbild deutlich zu sehen. Dadurch dass Conrad alssympathieträchtige Heldenfigur durchgeführt ist, erscheint diese Konfrontationals heroische Selbsteinsicht und wird die Hinwendung zum Motiv derMenschlichkeit als die positive Bewältigung der backstory wound und des innerenKonflikts gleichfalls positiv bewertet. Der werkspezifische Diskurs beziehtdeshalb gerade auch über Conrad deutlich Position für die Menschlichkeit,den Wert des kontingenten menschlichen Lebens und der menschlichenBeziehungen. Diese Position, die ansonsten auch von Elisabeth verkörpertwird, wird dabei durch Conrad als mühsam errungene Position auf der Diskursebenezusätzlich als besonders wertvoll ausgezeichnet: Sie ist hier mit besondershohen Kosten, nämlich um den Preis des eigenen Lebens zu Gunstender Menschheit, gewonnen und so selbst entsprechend hoch anzusetzen.Im Unterschied zu Conrad ist bei Elisabeth die Sympathielenkung weitauseinliniger – sie erscheint von vornherein als durchweg positive Figur, die dierichtigen Positionen und wahren Werte verkörpert. Die Sympathie wird aufmehreren Ebenen erzeugt: Schon in der ästhetischen Konfiguration erscheintElisabeth – gemäß der wiederum klassischen Vorstellung, dass das Gute auchschön sein muss – durch ihr hübsches, immer wieder auch erotisches Aussehenals eindeutig positive Figur. Vor dem werkexternen Hintergrund des zeitgenössischenGenderdiskurses wirbt auch ihr selbstbewusstes, durchsetzungsfähigesAuftreten um Sympathie. In diesem Kontext gesellt sich dazu ebenfallspositiv, dass Elisabeth sich in dem in ihrer Zeit noch als Männerdomänebesetzten Gebiet des Wissens bewegt und dass sie dabei überkommene Autoritätenin Frage stellt. Der weitere Verlauf unterstreicht die positive Charakterisierungzusätzlich durch die Stärke, die sie beim Bestehen des Abenteuerszeigt und die sie – trotz der beiden Rettungsaktionen Conrads, die aus thematischenGründen auch symbolisch notwendig sind – mehr und mehr dem Heldengleichwertig erscheinen lassen. Dazu rechnen zentral etwa ihre Tauchaktion inder geheimen Bibliothek sowie insbesondere dann ihr selbständiges Agierenim vierten Band. Sympathieträchtig ist zudem auch ihre zwischendurch gezeigteEmpfindsamkeit und Offenheit, Obschon auch bei ihr einzelne Stationender Heldenreise angetippt werden – auch sie folgt zunächst widerstrebenddem Ruf ins Abenteuer mit mehreren Versuchen der Anknüpfung an ihre gewohnteWelt und muss in die tiefste Höhle, nämlich in die Nacht der negativenMetaphysik, vordringen, um dann die Rückkehr antreten zu können unddas Elixier des Wissens, der Moralität und der Menschlichkeit in die Welt zutragen – geht es bei ihr nicht so sehr um die Überwindung einer backstorywound, sondern eher um die Reifung einer immer schon vorhandenen richtigenOrientierung. Elisabeths Positionen werden daher im narrationsimmanentenDiskurs durch die anderen Figuren nicht wirklich in Frage gestellt; entsprechendeAnfragen durch beispielsweise Honorius oder auch Conrad dienendeshalb mehr der Konturierung ihrer Positionen vermittels Kontrastbildung.Elisabeth ist entsprechend die eigentliche Trägerin der Message – oder bessergesagt: des zentralen Kerns der Message – und darf diese bzw. diesen Kern inihrem Schlussmonolog zukunftsweisend vortragen.Worin aber besteht nun diese Message bzw. ihr Kern? Durch Elisabethzeichnet der werkspezifische Diskurs den Motivkomplex aus vernünftigemWissen, Moralität und Menschlichkeit positiv aus. Vernunft erscheint dabeials das Licht, das zum rechten Wissen führt; das rechte Wissen ist jenes, dasder Mensch selbsttätig in der vernünftigen, wissenschaftlichen Durchdringungder kontingenten Welt gewinnt, und dabei selbst eine kontingente Größe. Beider Wissensgewinnung darf es keine ideologischen Schranken für den Menschengeben, wie Elisabeths Positivwertung des Zweifels zeigt. Das vernünftigeWissen ist zugleich die Möglichkeitsbedingung für eine freie Selbstbestimmungdes Menschen. Auch diese freie Selbstbestimmung und in ihremGefolge eine vom Menschen bestimmte kontingente Geschichte werden durchElisabeth als Sympathieträgerin positiv ausgezeichnet. Vernunft und Wissenwerden in Ansätzen epochentypologisch kontextualisiert, da Elisabeths Siegeinerseits das Mittelalter als finstere Epoche des Aberglaubens überwindet,andererseits mit der Renaissance die Neuzeit einläutet und Elisabeth darüberhinaus streckenweise das sapere aude der Aufklärung vertritt. Die Erzählungstellt sich mit Elisabeth gleichwohl nicht einlinig auf die Seite eines blankenRationalismus. Durch Elisabeths Handeln und in ihren Texten wird vielmehrverdeutlicht, dass Vernunft und Wissen an Moralität und Menschlichkeit zurückgebundenensein müssen. Moralität wird material konfiguriert als altruistische,nächstenliebende und fürsorgende Haltung, die Sinn für die Zerbrechlichkeitund Leidensanfälligkeit der kontingenten menschlichen Existenz beweist.Gerade diese Kontingenz des menschlichen Lebens und die Immanenzals ganze gilt es wertzuschätzen. Die kontingenten Strukturen der Welt unddes menschlichen Daseins werden in ihrer Bedeutung und ihrer Wichtigkeitfür den konkreten Menschen und seine Lebensvollzüge aufgewertet; dabeiwird insbesondere das kontingente Glück des Menschen zusammen mit denkontingenten menschlichen Beziehungen zu einem zentralen Wert gemacht,der nicht von und vor der Transzendenz zur Belanglosigkeit erklärt werdendarf. Wie die Passage von der Absolution durch das Lächeln im Schlussmonologzeigt, legitimiert die kontingente Glücksfähigkeit des Menschen letztlichsogar die Existenz der Welt, den Bestand der Immanenz schlechthin. Die Messageentwickelt so die Position einer gewissen Weltfrömmigkeit, einer deutlichenPositivwertung der Kontingenz und Immanenz. Diese sind für die Existenzdes Menschen und das Gelingen des menschlichen Lebens in erster Linierelevant und dürfen daher nicht entwertet werden.Mit Blick auf die werkexternen Diskurse kann man darin daher auch gewisseeine Anknüpfung an die Wende zur Kontingenz in der neueren französischenPhilosophie sehen, die etwa bei Gilles Deleuze und Félix Guattari dieImmanenz bis hin zur Singularität geradezu in die Primärposition rückt unddie Glückschancen darin sozusagen post-poststrukturalistisch (wieder)entdeckt(wobei allerdings diese Autoren dann die Transzendenz durchstreichen; vgl.Deleuze, Guattari 1997). Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskurseerscheint es darüber hinaus signifikant, dass diese Message nicht durch einemännliche Hauptfigur, sondern eine weibliche Heldin vorgetragen wird. Beziehtman die Genderthematik als Hintergrund mit ein, so erscheint es durchausschlüssig, die proto-aufklärerische Akzentuierung von Vernunft und Wissenals Bedingung und Basis für den freien menschlichen Selbstentwurf miteiner altruistischen, beziehungsorientierten Moralität und Menschlichkeit zueinem Motivkomplex zusammenzuschließen. Die Einseitigkeit eines bloßenRationalismus – der im Genderdiskurs als typisch männlich erscheint – wirdso zu Gunsten einer wahren, auch beziehungsorientierten Vernünftigkeit überwunden.Zusammenfassen ließe sich die Message daher in dem Satz: „Gebtden Menschen die Freiheit, sich ihres Verstandes ohne Leitung eines Anderenzu bedienen und ihr kontingentes, immanentes Glück zu suchen, da sie durchihre beziehungsorientierte Moralität und Menschlichkeit dazu in der Lagesind, dies in einer gedeihlichen Weise zu tun, und die Immanenz ihren eigentlichen,ihnen zugeordneten Lebensraum darstellt.“Durch die negativen Figuren wird diese Message vereindeutigt und um einigeweitere Aspekte ergänzt. Die Vereindeutigung findet zunächst einmal dadurchstatt, dass eine Überwertigkeit der Transzendenz und Transzendenzorientierungdurch den werkimmanenten Diskurs abgelehnt wird. Dazu dientzum einen natürlich die Kritik des ideologischen Glaubens Conrads, die narrationsimmanentdurch Elisabeth und Trevor vorgenommen wird. Erst in derKonfrontation mit den negativen Figuren – in diesem Fall insbesondere demGrafen von Sayn, Bischof Uther und dem Prior der Mönche von Stornwall –aber werden die apokalyptischen Konsequenzen und damit der nichtende Charakterdieses ideologischen Glaubens vollends deutlich. Diese Figuren tragenzudem die Überwertigkeit der Transzendenz als negative Metaphysik eigenständigvor. Die Wertposition auf der Diskursebene wird dabei durch die Negativzeichnungund eine entsprechende Antipathie erzeugt. Beim Grafen vonSayn (und der Horde) geschieht dies – wie zu sehen war – durch die ästhetischeKonfiguration als gesichtslose, schwarze Gestalten, durch den Topos derNacht als ihnen zugehöriger Bewegungsraum, durch ihre exorbitante, brachialeGewaltübung und schließlich durch den Rückgriff auf die Licht-Finsternis-Symbolik der essenischen Schriften und der johannäischen Apokalypse, diewiederum durch diese Schriften gefiltert und zugespitzt wird. Bischof Utherwird vor allem durch seine zynische Gewalt, die satanischen Züge, diezugleich verkniffene und machtbesessene Aszetik und die invertierte Christusikonographieals antipathische Figur gezeichnet. Bei dem Prior wiederumsind es in erster Linie der Topos der Nacht und die Apokalyptik, die seine negativeCharakteristik tragen; dazu kommt seine Zugehörigkeit zu BischofUther und Stornwall, die diese Charakteristik kontextuell konstellieren.Vermittelt über diese Figuren wertet der werkspezifische Diskurs die Überwertigkeitder Transzendenz nun deswegen negativ, weil dies die Nichtungder Immanenz, des Wertes des kontingenten menschlichen Lebens und derendlichen menschlichen Beziehungen impliziert und zugleich die menschlicheFreiheit als die Freiheit der Wahl sowie die Berechtigung zu einem selbst konstituiertenLebensentwurf und Lebensvollzug durchstreicht. Die Metaphysik,in der diese Überwertigkeit durch eine entsprechende Zeichnung der metaphysischenMächte festgeschrieben wird und die die Immanenz dabei zum bloßenSpielball dieser Mächte herabwürdigt, wird deshalb als negative Metaphysikverurteilt. Zusammen damit wird gleichzeitig ein Gottesbild eindeutig abgelehnt,das Gott als rücksichtslosen, autokratischen und absolutistischen Willkürherrscherzeichnet, der unbefragbar und uneinsehbar mit seiner Schöpfungumspringt, wie er gerade will, und dem das Leiden der Menschen nicht nuregal ist, sondern der dieses womöglich gar noch bewusst gewollt hat. Mittelbarweist der werkspezifische Diskurs zudem auch die Satisfaktionstheologiezurück, wenn zumindest ein Anklang an diese – der „Erstgeborene“, Jesus, seivon Gott „für den Tod am Kreuz auserwählt“ worden (IV, 70) – dem BruderJesu in den Mund gelegt wird. Durch die Kritik an Conrads früherer Inquisitorentätigkeit,insbesondere dann aber durch Bischof Uther und seine beinahesachlich geübte Grausamkeit und Gewalt verurteilt der werkspezifische Diskursdarüber hinaus auch noch den religiösen Fanatismus – gerade BischofUther zeigt sich ja als überzeugter, gnadenloser Anhänger des Grafen vonSayn und verehrt in diesem vor allem die Macht der Nichtung. Auch der religiöseFanatismus erscheint dadurch als eine solche Nichtungsmacht und enthülltsich mithin als eine in Wahrheit nihilistische Größe. Insbesondere dieKritik an Conrads Inquisitorentätigkeit und an der Ketzerverbrennung lässtden religiösen Fanatismus zu dem als das negative Gegenstück zur Humanitäterscheinen. Durch die Absetzung gegen diese negative Konsequenzen undFolgewirkungen der Überwertigkeit der Transzendenz erscheint die Aufwertungder Immanenz als wahre Humanität und wird die Message so vereindeutigt.In einem lockeren Zusammenhang damit steht schließlich noch die Ablehnungeiner kirchlichen oder religiösen Einheitsmacht auf Kosten der religiösenPluralität. Dieser Aspekt wird fast ausschließlich durch Guillaume verkörpert.Antipathie gegenüber dieser Figur wird dabei vor allem durch das unmoralischeVerhalten Guillaumes erzeugt, das sich in seiner rücksichtslosen Instrumentalisierungabhängiger Personen wie Tessingher sowie des gesamtenTemplerordens dokumentiert. Hinzu tritt wiederum die rücksichtslose Gewaltübung,insbesondere die Folter Conrads. Guillaumes Programm ist, wie zu sehenwar, die Schaffung einer einzigen religiösen Macht in Gestalt einer einzigen,umfassenden Kirche. Dies verbindet sich mit der Absicht, alle übrigenReligionen auszulöschen. Guillaume verkörpert damit nichts anderes als denreligiösen Totalitarismus, der entsprechend zugleich radikal antipluralistischausgerichtet ist. Mit Blick auf die zeitgenössischen werkexternen Diskurselässt sich die Verwerfung einer solchen Bestrebung durch die Negativzeichnungdieser Figur gleichzeitig als Absage an den religiösen Fundamentalismuschristlicher wie außerchristlicher Provenienz verstehen. Zurückgewiesen istdamit letztlich jeder Alleingeltungsanspruch einer religiösen Position oder Institution,der Angehörige anderer Glaubensrichtungen als Ungläubige diskriminiertund mit Gewalt zu bekehren oder zu vernichten sucht. Im Rücken derNegativwertung eines solchen religiösen Totalitarismus und Fundamentalismusdurch den werkspezifischen Diskurs zeigt sich umgekehrt zudem einepluralistische Option, die möglicherweise durch die bewusst religionspluraleAusrichtung der französischen Gesellschaft mitbedingt ist.Schon dieser letztgenannte Aspekt lässt es nun aber durchaus fragwürdigerscheinen, die Message des werkspezifischen Diskurses schlicht als religionskritischzu qualifizieren. Religionskritik schließt in der Regel zentral dieVerwerfung der Existenz Gottes und des religiösen Glaubens mit ein – geradedas vollzieht die Erzählung jedoch nicht. Trotz ihrer Option für die Immanenz,den Wert des kontingenten menschlichen Lebens und einen offenen Prozessvernünftiger Wissensgewinnung, trotz auch ihrer Zurückweisung einer Überwertigkeit der Transzendenz lässt der werkspezifische Diskurs die Möglichkeitder Existenz Gottes mindestens offen und bewertet darüber hinaus sogarden Glauben als Lebenswahl positiv. Letzteres geschieht, wie zu sehen war,vor allem über die positive Darstellung des Mönchs Clemens, der im Unterschiedzu Honorius´ eher rückwärts gewandter, augustinischer Position dieGlaubensoption als bewusst getroffene Lebenswahl verkörpert. Mit seiner Begeisterungsfähigkeitfür das Wissen, seinem jugendlichen Elan und als Figur,die fast durchweg im Licht steht und agiert, ist Clemens eindeutig als Sympathieträgerist narrativ durchgeführt. Der werkspezifische Diskurs wertet überdiese Figur daher die von ihr getroffenen Positionen positiv. Die zentrale PositionClemens aber ist seine bewusste Entscheidung für den Glauben als Orientierungfür sein Leben. Da diese Wahl bei Clemens in die Nähe des Nominalismusgerückt erscheint und mit symbolischen Mitteln zugleich in Blick gebrachtwird, dass die Glaubensoption eine Welt- und Daseinsdeutung in einemspezifischen frame of reference darstellt, lässt sich dies zugleich als Vorausverweisauf eben diese Möglichkeit in der zeitgenössischen spätmodernen oderpostmodernen Situation deuten. In der Tat erscheint ja die späte Moderneoder Postmoderne durch eine Pluralität von persönlich getroffenen Optionenin einer Pluralität möglicher spezifischer Referenzrahmen gekennzeichnet.Bedeutsam erscheint in diesem Zusammenhang außerdem, dass der werkspezifischeDiskurs mit der Möglichkeit eines dezidierten Unglaubens ausgesprochenkritisch verfährt. Zwar wird der Unglaube auch einer sympathisch gezeichnetenFigur, nämlich Trevor, zugeordnet. Doch war zu sehen, dass ebendiese Eigenschaft Trevors von Elisabeth als Orientierungslosigkeit und Anomiekritisiert wird. Trevor eignet ähnlich wie Conrad eine gewisse Zwiespältigkeit,die erst dadurch positiv aufgelöst wird, dass er sich am Ende, motiviertdurch die Liebe, für Moralität und Menschlichkeit entscheidet. Erst damit wirder seiner Rolle als Sympathieträger gerecht: Er stimmt durch sein Handelngewissermaßen Elisabeths Kritik zu und unterstreicht den von ihr verkörpertenMotivkomplex positiv. In der Gegenbewegung dazu aber bleibt der Unglaubedeutlich negativ bewertet. Verstärkt wird diese Bewertung zudem durch Tessingher,der als negative, antipathische Figur gewissermaßen eine zusätzlicheWarnung vor den Konsequenzen des Unglaubens darstellt: Seine Verfallenheitan den Aberglauben von Magie und Alchemie sowie sein schrankenloses undhilfloses Ausgeliefertsein an die Manipulation durch Bischof Uther und Guillaumebestätigen letztlich, dass der Unglaube mitnichten in Freiheit, sondernvielmehr in allerlei Unfreiheit und Abhängigkeiten führt. Man könnte Tessingherdaher fast als eine Illustration für das Gleichnis Jesu von der Rückkehrder unreinen Geister auffassen (Mt 12,43-45). Auch diese Negativbeispieletragen damit zu einer Positivwertung der Möglichkeit des Glaubens als lebenstragendesOrientierungsfundament bei.Die Möglichkeit der Existenz Gottes wiederum ist subtil durch den Textvon Elisabeths Memoiren in den Captions eingeführt. Die Schlüsselstelle dazufindet sich bereits im dritten Band, in der Sequenz, in der Conrad die Manuskripte des Julius dem Feuer übergibt: „Doch Gott hatte Julius´ Hefte verflucht,denn sie waren eine Beleidigung für den Herrn und die Waffe des Dämons“,so heißt es dort in Elisabeths Memoiren; als Conrad dann an der Wanddie Lösung der ersten sechs Rätsel aufgemalt findet, legt der Text Elisabethsdies als Belohnung für die Vernichtung der Manuskripte mit den Hinweisenauf das Versteck des Dritten Testaments aus – „da Marburg auf die Antwortenverzichtet, nach denen es ihn doch so innig verlangte, um seinen [Gottes] Willenzu erfüllen… erhielt er sie von Gott.“ (III, 15) Man muss sich nun vergegenwärtigen,dass dieser Text in den Captions in der Erzählung zeitlich nachdem Ende des erzählten Plots liegt. Auch nach ihrem Endkampf mit dem Grafenvon Sayn, auch nach der Verweigerung gegenüber der Apokalypse scheintElisabeth so noch mit Gott zu rechnen. Die Existenz Gottes und sogar seinWirken in der Welt bleibt demnach noch offen gehalten – außer man schlägtdiese Passage lediglich einem dramaturgischen Kunstgriff der Autoren zu oderbetrachtet sie als bloß metaphorische Rede der Heldin. Gegen eine solche Depotenzierungspricht jedoch, dass Elisabeth durchwegs Worte in den Mund gelegtwerden, mit denen sie für ein anderes Gottesbild als das des ideologischenGlaubens Conrads und der negativen Metaphysik des Grafen von Sayn eintritt.So ist es für Elisabeth unvorstellbar, dass Gott bestimmte Formen des Wissensverbieten könnte oder den Forscherdrang des Menschen fesseln will. Ebensolehnt sie eine Gottesvorstellung ab, in der das Wohl und Wehe der Menschenfür Gott nicht zählt und gar das Niedermetzeln der Mönche eines ganzen Klostersals eine von Gott veranlasste Warnung aufgefasst werden müsste. Geradedamit interpretiert sie Gott als einen, der ein empathisches Verhältnis zurMenschlichkeit besitzt und dem darüber hinaus auch Moralität eignet. Derwerkspezifische Diskurs scheint mir so die Möglichkeit der Existenz Gottesund eines legitimen, mit der Option für vernünftiges Wissen, Moralität,Menschlichkeit und einer Positivwertung der Immanenz vermittelbaren Gottesbildesdurchaus offen zu halten. Dafür spricht nicht zuletzt auch, dass diedurch diesen Diskurs abgelehnte Gottesvorstellung in enger Verzahnung mitden essenischen Texten konstruiert wird. Diese Gottesvorstellung wird so geradenicht als spezifisch christliche (und auch nicht als spezifisch jüdische)vorgetragen. Anstatt darin also eine generelle Religionskritik auszumachen,lässt sich die Ablehnung dieser Gottesvorstellung durch den werkspezifischenDiskurs auch als eine Warnung lesen, Gott in dieser Weise totalitaristisch undfundamentalistisch zu verzeichnen.Spannt man die zitierte Passage in den Captions der Memoiren von Elisabethzudem mit der Erzählung über die Übergabe des Dritten Testaments andie von der Welt und den Menschen enttäuschten und verbitterten Apostel zusammen,so ergeben sich abschließend einige – freilich spekulativinterpretative– Gesichtspunkte: Gott hat das Manuskript, das zu Auffindungdes Dritten Testaments führt, verflucht, sagt Elisabeth in ihren Memoiren.Mithin stellt sich die Frage, ob Gott demnach überhaupt diese Auffindungwünscht. Möglicherweise will er nicht die Vernichtung seiner Schöpfung, alsoder Immanenz, durch die Apokalypse, sondern zeigt sich selbst als ein Freunddes kontingenten Lebens. Die Übergabe des Dritten Testaments an die Apostelkönnte daher in Wahrheit auch lediglich einen pädagogischen Hintergrundhaben: Immerhin wird damit die Auslösung der Apokalypse in die Hände vonMenschen gelegt und diese können sich auch noch gegen diese Auslösung entscheiden– wie der Graf von Sayn bezeichnenderweise beklagt und wie esauch die ausbleibende Endzeit und die Enttäuschung der Naherwartung belegen.Vielleicht stellt Gott demnach darauf ab, durch das Dritte Testament dieverbitterten Apostel in ihrer Misanthropie bzw. ihrer Weltverneinung herauszufordern.Elisabeth jedenfalls vertritt, wie gesagt, lange Zeit eine entsprechendeSicht Gottes als Freund des Lebens und der Moralität. Für sie ist zudemnicht vorstellbar, dass Gott den Tod und das Leid und die Gewalt derHorde will oder bejaht. Entsprechend wäre dann der Verzicht der Apostel aufdie Öffnung des Dritten Testaments und die Entfesselung der apokalyptischenGewalt des Bruders Jesu in der Tat Pfingsten: Der wahre Geist Gottes kommtüber sie in der Einsicht, dass die Immanenz doch ihren Wert hat, das kontingenteLeben der Menschen und der Schöpfung wertzuschätzen ist und – wie inElisabeths Schlussmonolog – jedes Lächeln das Leid aufwiegt. Vielleicht istes so der Optimismus Gottes, der sich in Pfingsten den verbitterten Apostelnerschließt, die positive Sicht der Schöpfung dieses Gottes, der das Lebenselbst in Vollendung und die überfließende Kreativität ist und der daher dieImmanenz von Welt und Mensch geradezu schaffen muss, weil es seinem Wesenentspricht, diese ins Dasein zu rufen. Die Konfiguration der Message imwerkspezifischen Diskurs und das erzählerische Material schließen jedenfallseine solche Interpretation nicht aus. Hinsichtlich der neuartigen religionsbezogenenWissensproduktion durch religionsbezogene Verschwörungserzählungenlässt sich vorausnehmend bereits feststellen, dass das Genre der Verschwörungserzählungdifferenzierte diskursive Positionen nicht notwendigverhindert, sondern durchaus ermöglicht. Zumindest „Le triosième testament“nutzt dieses Genre subtil für einen kritischen Kommentar zu einer negativapokalyptischenMetaphysik und hält daneben die Möglichkeit einer positivenBedeutung von Theologie und Glaube offen.