Z-Substanzen als Schlafmittel – von wegen harmlos!

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Z-Substanzen sind Beruhigungsmittel, die ähnlich wirken wie klassische Benzodiazepine. „Sie richten im Körper nichts an“: In einem SZ-Interview wurden diese Medikamente als weitgehend unproblematisch beschrieben. 

Doch Vorsicht! Die Geschichte einer Patientin zeigt: So einfach ist es nicht.

Unser Ärztlicher Direktor Prof. Alkomiet Hasan teilt seine Einschätzung in einem Gastbeitrag der SZ.

 

„Sie richten im Körper nichts an“: In einem SZ-Interview wurden diese Medikamente als weitgehend unproblematisch beschrieben. Doch Vorsicht! Die Geschichte einer Patientin zeigt: So einfach ist es nicht.

„Das Verteufeln von Schlafmitteln hat auch negative Folgen“ – das war die Überschrift eines kürzlich in der Süddeutschen Zeitung erschienen Interviews. Sehr interessant! Ich teile die Meinung des dort interviewten Kollegen, dass wir in der Medizin offen gegenüber allen wissenschaftlich fundierten Optionen bleiben müssen. Das gilt auch für die in dem Interview diskutierten sogenannten Z-Substanzen (Zopiclon, Zolpidem, Eszopiclon, Zaleplon). Z-Substanzen sind Beruhigungsmittel, die ähnlich wirken wie klassische Benzodiazepine. Manche Schlafmediziner sind überzeugt, dass diese im Gegensatz zu den klassischen Benzos in puncto Sucht weniger problematisch sind: „Z-Substanzen hingegen richten im Körper nichts an, außer dass sie müde machen“, heißt es etwa in dem Interview. Selbst hohe Dosen könne man im Einzelfall ohne Komplikationen absetzen. Aber ist das wirklich so? Hier fällt mir die Geschichte einer Patientin ein, sie arbeitete als Vorstandsassistentin, lebte in einer festen Partnerschaft – und litt nach mehreren Schicksalsschlägen unter wochenlanger Schlaflosigkeit. Ihr wurde die „neue“ sogenannte Z-Substanz Eszopiclon verschrieben, also ein Medikament aus jener Schlafmittelgruppe, bei der sich weiterhin die Ansicht hält, dass sie kaum oder gar nicht abhängig mache. Die Patientin jedenfalls konnte damit gut schlafen – zunächst. Doch dann ließ die Wirkung nach. Nach kurzer Zeit benötigte sie bis zu vier Tabletten pro Nacht und lag dennoch ständig wach. Die Frau war innerhalb weniger Wochen zu einer Suchtpatientin geworden.

Stimmt also die Einschätzung, dass Z-Substanzen in puncto Abhängigkeit weitgehend unproblematisch sind?

Hier haben wir eine in der Medizin häufige Situation, dass Ärztinnen und Ärzte mit unterschiedlichen Brillen auf verschiedene Patientinnen und Patienten blicken. Als Psychiater und Psychotherapeut lese ich, so wie viele aus meinem Fachkollegium, die wissenschaftlichen Daten etwas anders. Konkret: Ich sehe sehr wohl ein relevantes Suchtpotenzial der Schlafmittel aus der Gruppe der Z-Substanzen. Mehr als hunderttausend Menschen – mit steigender Tendenz – erhalten pro Jahr in Deutschland ein Rezept für eine Z-Substanz.

Die Dunkelziffer wird deutlich höher sein. Wissenschaftliche Daten legen nahe, dass mindestens jede fünfte Person, die eine Z-Substanz verschrieben bekommt, diese deutlich länger als die erlaubten vier Wochen erhält – teilweise monate- oder jahrelang. Oft werden diese Medikamente im Anschluss – ganz legal – auf einem Privatrezept weiter verschrieben. Letzteres ist nach meinem Eindruck häufig der Fall und wird auch durch wissenschaftliche Arbeiten bestätigt. Für die betroffenen Menschen ist das problematisch, da neben den Folgen für die Gesundheit auch ein „Versteckspiel“ mit doctor-hopping beginnt, was zusätzlich emotional und finanziell belastend sein kann. Dabei ist die Einschätzung richtig, dass eine grundsätzliche Angst vor Abhängigkeit nicht zielführend ist. Z-Substanzen sind ohne Zweifel für viele Menschen geeignet, um akute Krisen und Schlafstörungen von wenigen Wochen zu behandeln. Ein genereller Verzicht in solchen Situationen ist nicht gerechtfertigt, aber: Bei längerfristiger Anwendung über Monate kann sehr wohl ein Abhängigkeitspotential bestehen. Die Weltgesundheitsorganisation bewertet dieses als gleichwertig zu jenem der Benzodiazepine; die Bundesärztekammer nahm dies bereits 2007 in einer Stellungnahme auf. Auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) und die S3-Leitlinie zu „medikamentenbezogenen Störungen“ beschreiben dieses Risiko, wenngleich letztere auf eine „widersprüchliche Datenlage“ zu dem Thema hinweist. Eine aktuelle Studie aus Schweden zeigt, wie Überdosierungen von ZSubstanzen durchaus und entgegen der Annahme mancher Ärzte und Patienten tödlich enden können.

Das lässt sich auch über die Physiologie der Medikamente erklären. Denn am Ende wirken Z-Substanzen und Benzodiazepine (und übrigens auch Alkohol) sehr ähnlich, und zwar über die sogenannten Gaba-Rezeptoren im Gehirn, die als „Bremse“ für Aktivität fungieren. Diese Medikamente beruhigen also, sie nehmen Ängste und verbessern den Schlaf – allerdings nur kurzfristig. Bei vielen Patienten stellt sich bereits nach wenigen Wochen eine Toleranz ein, die Spirale der Abhängigkeit beginnt. Ob das Abhängigkeitspotential der Z-Substanzen wirklich deutlich geringer ist als das von Benzodiazepinen, ist nicht abschließend geklärt. Hieraus ergibt sich natürlich die Frage, wann wir in der Medizin überhaupt von einer Abhängigkeit sprechen. Die Antwort ist relativ klar: Es gibt verschiedene Kriterien, wie ein Kontrollverlust, ein gefühlter oder tatsächlicher Wirkverlust, der zu Dosissteigerung führt. Und nicht zuletzt körperliche Entzugssymptome bei Nichteinnahme, die, je nach Dosierung und Konstitution, auch mal mit Krampfanfällen einhergehen können. Auch können Menschen nach jahrelanger Einnahme der Substanzen Depressionen oder kognitive Störungen entwickeln. Unter der Behandlung mit Antidepressiva treten übrigens keine Abhängigkeitssymptome nach zuvor genannter Definition auf.

Jedoch gibt es Menschen, die mit diesen Medikamenten ohne Dosissteigerung oder Probleme jahrelang gut schlafen und eine deutliche Entlastung erleben. Woran liegt das? Eine eindeutige Antwort fehlt, als Erklärungsansatz dient das biopsychosoziale Modell. Krankheit und Gesundheit wird bestimmt von vielen Faktoren, Genen, Umwelt, die individuelle Resilienz und körperliche Grundkonstitution, die alle miteinander interagieren. Vor der Verordnung einer jeden Therapie muss deshalb eine wissenschaftlich fundierte Differenzialdiagnostik unter Würdigung des klinischen Syndroms, des Verlaufs und des Individuums stehen. Schlafstörungen sind oft ein Epiphänomen anderer körperlicher oder psychischer Erkrankungen, wobei ich von der Dichotomisierung im Sinne „entweder Körper oder Seele“ warne. In vielen Situationen, besonders bei komplexen Symptomkonstellationen wie Schlafstörungen gibt es kein ganz richtig oder ganz falsch. Die Geschichte meiner Patientin übrigens endete gut. Wir rieten ihr zu einer Entzugsbehandlung, die Folge waren zunächst Unruhe, Schwitzanfälle, Herzrasen, aber auch Angst und Panik. Nach dem Entzug behandelten wir die zugrundeliegende schwere depressive Episode mittels Psychotherapie und der Gabe eines Antidepressivums. Ihre mehrmonatige Leidenszeit endete.

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