Leo von Seckendorf: Korrespondenzen der Goethezeit. Edition und Kommentar
Leo von Seckendorf: Korrespondenzen der Goethezeit. Edition und Kommentar.
Hg. v. Michael Grus. Berlin: De Gruyter 2014.
Beteiligte Wissenschaftler:
Michael Grus/Mathias Mayer
Projektträger:
DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft)
Zusammenfassung
Leo von Seckendorf (1775-1809) gehört zu den heute weitgehend vergessenen Randfiguren der deutschen Literatur um 1800. Beachtung verdient er jedoch um so mehr in seiner Funktion als Vermittler und Multiplikator im literarischen Betrieb seiner Zeit. Arnim, Böttiger, Brentano, Goethe, Herder, Hölderlin, Jean Paul, Kerner, Klopstock, Schiller, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Tieck, Uhland, Wieland, Karoline von Wolzogen und viele andere Mitglieder des Weimarer Kreises zählten zu seinen Briefpartnern.
Beschreibung
Leo von Seckendorf (1775-1809) gehört zu den heute weitgehend vergessenen Randfiguren der deutschen Literatur um 1800. Selbst Spezialisten auf dem Gebiet der Dichtung von Goethezeit und Romantik ist er in der Regel allenfalls namentlich bekannt als der Herausgeber später Hölderlin-Oden in den Musenalmanachen der Jahre 1807/08 und vielleicht noch von Goethes "Pandora" in seiner kurzlebigen Wiener Zeitschrift "Prometheus". Sein eigenes dichterisches uvre ist eher schmal und vergleichsweise unbedeutend, Eigenständigeres hat er als Sammler, Herausgeber und Übersetzer von (fremdsprachiger) Volkspoesie und antiken Autoren geleistet.
Beachtung verdient er jedoch um so mehr in seiner Funktion als Vermittler und Multiplikator im literarischen Betrieb seiner Zeit. Seckendorf, der als junger Mann nach Weimar kam (1798) und, als Abkömmling eines alten fränkischen Adelsgeschlechts, rasch Zugang zur kulturellen und gesellschaftlichen Sphäre des "Musenhofes" gewann, stand mit der gesamten geistigen Elite in persönlichem und brieflichem Kontakt. Arnim, Böttiger, Brentano, Goethe, Herder, Hölderlin, Jean Paul, Kerner, Klopstock, Schiller, August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Tieck, Uhland, Wieland, Karoline von Wolzogen und viele andere Mitglieder des Weimarer Kreises zählten zu seinen Briefpartnern.
Das breit gestreute publizistische Engagement brachte ihn darüber hinaus in Berührung mit Verlegern (Bertuch, Göschen), Wissenschaftlern und zahlreichen anderen Literaten, namenlosen ebenso wie seinerzeit gefragten Modeautoren, die inzwischen nicht mehr zum Kanon gehören. Nicht zuletzt aus dieser Vielfalt resultiert ein besonderes Interesse an der Seckendorf-Korrespondenz. Sie gewährt, über die Bedeutung der prominenten Briefpartner hinaus, vor allem einen Einblick in die Funktionsweise des literarischen Marktes um 1800 mit seiner florierenden Almanach- und Zeitschriftenkultur. Zudem enthält sie, aufgrund der offenkundigen Beliebtheit Seckendorfs in der Weimarer Hofgesellschaft und seiner Teilhabe an den literarisch-künstlerischen Zirkeln der Residenzstadt, eine Vielzahl authentischer Mitteilungen zur geselligen Kultur der Epoche, insbesondere zur Ausbildung einer spezifisch weiblichen Gefühls- und Briefkultur. Dafür stehen Korrespondentinnen wie Louise v. Göchhausen, Charlotte Herder, Caroline Jagemann, Auguste v. Kalb u.a., zu denen sich der Kontakt nach Seckendorfs beruflich bedingtem Weggang von Weimar 1801 noch intensivierte.
Leo von Seckendorfs intellektuelle Biographie steht unmittelbar unter dem Eindruck der historischen Ereignisse der Zeit. Sein Lebensweg ist gekennzeichnet von materiellen Abhängigkeiten, die ihn zu einer Berufswahl wider eigene Neigungen zwingen. So tritt er wie sein Vater, ein hochrangiger Diplomat, in württembergische Dienste (1801/05), wird aber, durch seine erneuerten Kontakte zu Tübinger Studienfreunden (bes. Sinclair, Hölderlin), in politische Hofintrigen verwickelt, was ihm monatelange Festungshaft einbringt und schließlich zur Ausweisung führt. Auch diese zeitgeschichtliche Ebene spiegelt sich in Seckendorfs Korrespondenz (mit Familienangehörigen und dem Dienstherrn Kurfürst Friedrich II. von Württemberg). Die letzten Unternehmungen in Regensburg und Wien, abgebrochen durch seinen frühen Tod als Angehöriger der Wiener Landwehr im Kampf gegen Napoleon, stehen im Kontext gleichlautender romantischer Bestrebungen um eine Wiederbelebung altdeutscher Literatur (u.a. Zusammenarbeit mit Uhland, Kerner, Almanache, Zeitschrift "Prometheus").
Die gesamte Korrespondenz umfasst etwa 800 Briefe von und an Seckendorf, von denen bislang nur etwa 10% in wenigen entlegenen und zum Teil über hundert Jahre alten Publikationen gedruckt vorliegen, zudem oft fragmentarisch und fehlerhaft ediert. Als unvollständig erweisen sich selbst einige der großen wissenschaftlichen Werkausgaben (Herder, Klopstock), bei denen Seckendorf-Briefe übersehen wurden.