Hauptrouten der britisch-indischen Telekommunikation bis zum Ersten Weltkrieg
Zeitgleich zu den ersten Kabelprojekten im Nordatlantik wurden auch erste Kabelverbindungen nach Indien realisiert, deren Kapazitäten bis zum Ersten Weltkrieg kontinuierlich ausgebaut werden sollten. Neben anderen britischen Kolonien behauptete das Indische Reich, das 1857 aus der Herrschaft der East India Company in die Krone übergegangen war, insofern eine Sonderstellung, als neben dem Kaiserreich Indien rund 450 indische Fürstentümer bestanden.
Indien war für Großbritannien das wichtigste Produktions- und Ausfuhrland für Baumwolle, Jute, Tee und Getreide. Der britisch-indische Handel hatte bereits im Jahre 1858 ein Volumen erreicht, das mit rund siebzehn Millionen Pfund sogar das Volumen des US-amerikanisch-britischen Handels übertraf, das sich im selben Jahr auf 14,5 Millionen Pfund belief.
Die britisch-indischen Kabelverbindungen dienten nicht nur dem Telegrammverkehr zwischen Großbritannien und Indien, sondern auch dem Nachrichtenverkehr mit den hinterindischen Räumen, deren Kommunikationsbedarf seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend stieg.
Ein wichtiger Impuls für die Verbesserung der Kommunikation mit der indischen Kolonie ging vom Sapoy-Aufstand 1857 aus. Dieser hatte gezeigt, wie empfindlich der Kontakt zwischen Mutterland und Kolonie gestört werden konnte. Die Notwendigkeit, die Kommunikationsverbindungen sowie den Transport (vgl. auch Eisenbahnbau) in den Kolonialraum mit allen Mitteln zu verbessern, trat in Großbritannien zunehmend mehr ins Bewusstsein von Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Mehr noch als die Errichtung von Transkontinentalleitungen bedeutete die Verlegung von Seekabeln eine große technische und finanzielle Herausforderung. So scheiterten beispielsweise die ersten Versuche zur Seekabelverlegung im Mittelmeer und Roten Meer, weil man das Problem der Kabelbeschädigung durch Riffe und Korallenbänke noch nicht hinreichend lösen konnte. Somit ging 1865 als erste direkte Telegraphenverbindung von Großbritannien nach Indien eine Transkontinentalroute, die so genannte "Türkenlinie", in Betrieb, die über das Osmanische Reich und Persien führte. Deren Leistungen blieben jedoch weit hinter den Erwartungen zurück, weil technische und organisatorische Probleme dazu führten, dass die Telegramme viele Tage unterwegs und oft auch langsamer als die konventionelle Briefpost waren, die nach Ägypten verschifft wurde.
Erst nach der Öffnung des Suezkanals (1869) gelang der entscheidende Durchbruch. Im Jahre 1870 konnten zwei leistungsstarke Telegraphenleitungen in Betrieb genommen werden: eine erste Seekabelverbindung der Eastern Telegraph Company (vgl. die Isolierung der Seekabel mit Guttapercha) sowie eine transkontinentale Linie der Indo-European Telegraph Company, deren Planung und Bau maßgeblich in den Händen von Siemens lag: die so genannte "Siemens-Linie". Damit war das Telekommunikationsproblem mit Indien prinzipiell gelöst, und der Nachrichtenverkehr zwischen Mutterland und Kolonie erfuhr eine entscheidende Beschleunigung.
In den folgenden Jahrzehnten kam es zu zahlreichen Kapazitätsausbauten auf einzelnen Teilstücken der Seekabelroute zwischen Gibraltar, Malta, Suez, Aden und Bombay. Über Indien hinaus verlegten Tochtergesellschaften der Eastern Telegraph Company Kabelverbindungen in die hinterindischen Räume zur Anbindung Südostasiens, Ostasiens und Australiens (vgl. auch die Entwicklung des Weltkabelnetzes in den Jahren 1880 und 1914. Diese Erweiterungen korrelierten mit der zunehmenden Bedarfsentwicklung der britisch-indischen Wirtschaft, die nach 1870 stark expandierte.
Der britisch-indische Telegrammverkehr bestand, wie auch anderswo, zu über 95 Prozent aus Wirtschaftstelegrammen, wobei das auf Europa und die USA gerichtete Telegrammaufkommen der hinterindischen Räume zunehmend an Bedeutung gewann.
Literaturhinweise:
- Museum für Kommunikation (Hrsg.): In 28 Minuten von London nach Kalkutta. Gesammelte Aufsätze von Hans Pieper, Bern 2000.
- Wobring, Michael: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2005.