Dr. Jürgen Finger
Dr. Jürgen Finger ist Abteilungsleiter Neueste Geschichte und Zeitgeschichte am Deutschen Historischen Institut Paris
Wie sind Sie zum Fach Geschichte gekommen?
Ich war immer von Geschichte begeistert. Das lag auch an einem dynamischen jungen Geschichtslehrer, der uns klargemacht hat, dass Geschichte nicht nur Auswendiglernen ist, dass man sie immer wieder neu entdecken muss. Als Leistungskurse hatte ich dann Mathematik und Französisch, nach dem Abitur schwankte ich zwischen Diplom-Mathematik und Magister Geschichte. Beide Disziplinen faszinierten mich, doch die Geschichte gewann – ohne, dass ich heute so genau sagen könnte, was die Gründe im Einzelnen waren.
Die Entscheidung reifte während des Zivildienstes, im Rückblick eine wichtige Zeit, da ich Abstand von der Schule gewinnen und ein anderes soziales Umfeld kennenlernen durfte. Es war eine Entscheidung aus Neigung: Ich konnte mir vorstellen, das die nächsten fünf Jahre zu machen. Was ich mir nicht vorstellen konnte, war der Lehrerberuf. Deshalb entschied ich mich gegen ein Staatsexamen – auch hier siegte die Neigung. Und das war gut so.
Die Entscheidung für Augsburg war dagegen pragmatisch, wegen der Nähe zu meiner Heimat. Auch das war die richtige Entscheidung: ein mittelgroßer Fachbereich, eine enge Betreuung, ein junger Lehrstuhlinhaber in meinem Hauptfach … Beste Voraussetzungen für einen Erstakademiker, der sich erst in der universitären Welt orientieren musste.
Welche Qualifizierungen und Initiativen während des Studiums waren wichtig für die spätere Berufswahl? Wie können sich Geschichtsstudierende auf mögliche spätere Berufsfelder vorbereiten?
Mein Interesse galt zuerst der Zeitgeschichte. Das Handwerkszeug habe ich aber in der Mittelalterlichen Geschichte gelernt. Wir haben alle unsere Interessen, aber wir sollten neugierig bleiben, auf das Andere und Fremde, was man nicht aus dem Schulunterricht kennt. Dass ich dann doch Zeithistoriker wurde, ist möglicherweise nur Zufall: Als mir ein Mittelalterdozent eine Hilfskraftstelle anbot, hatte ich gerade einen Vertrag in der Neueren und Neuesten Geschichte unterzeichnet. Zuvor hatte ich übrigens in der Studentenkanzlei gejobbt – auch in der Verwaltung lernt man viel über das „System“ Universität!
Als Hilfskraft bekam ich eine klarere Vorstellung davon, was Forschung bedeutet. Ich wusste: Das will ich! Wenn man für eine Sache brennt und lernt, sie auf hohem Niveau zu betreiben, dann bemerken das auch andere. Selbstverständlich gab es immer bewusste Entscheidungen in meinem Werdegang – aber ich wäre nicht, wo ich heute bin, ohne den einen oder anderen Zufall und eine Handvoll Menschen, die mir Optionen aufgezeigt haben, ohne mich in eine Richtung zu drängen.
Es gibt auch Kompetenzen, die man nicht im Studium lernt: Niemand wird als Projektmanager, Teamleiter oder guter Chef geboren – aber man kann das lernen. Deshalb sind Praktika, Erfahrungen im Ausland und auch Fortbildungen außerhalb des eigenen Fachs wichtig.
Wie sind Sie zu dieser Tätigkeit gekommen?
Nach Studium und Promotion in Augsburg hatte ich das Glück, an einer unternehmensgeschichtlichen Auftragsstudie mitzuarbeiten und mir so das Feld der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zu erschließen. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München habe ich dann ein neues Projekt zur französischen Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts entworfen. Der Französisch-Leistungskurs war nun doch zu etwas gut!
Mit Fördermitteln von EU und BMBF konnte ich zwölf Monate in Paris an der Elitehochschule Sciences Po verbringen; das Deutsche Historische Institut Paris (DHIP) stellte mir ein Büro zu Verfügung. Ich hatte immer eine klare Rückkehrperspektive nach München, deshalb reagierte ich zuerst gar nicht, als dort eine Postdoc-Stelle ausgeschrieben wurde: Da war wieder der Zufall im Spiel.
Ich entschied mich dann doch, mit einem Dreijahresvertrag ans DHIP zu gehen. In Paris zu bleiben, war also nicht geplant, aber gewollt. Dasselbe könnte man von den beiden nächsten Karriereschritten sagen: die Leitung des Zeitgeschichts-Teams und später zusätzlich die des Redaktionsteams zu übernehmen. In diesen Etappen wurden die nicht-wissenschaftlichen Kompetenzen immer wichtiger: Organisationsgeschick, Personalführung, Kommunikationsfähigkeit.
Worin besteht genau Ihre Aufgabe im Beruf? Wie sieht der konkrete Arbeitsalltag aus?
Das DHIP ist eines von elf geisteswissenschaftlichen Auslandsinstituten in der vom Bund finanzierten Max Weber-Stiftung. Wir sind ein Forschungsinstitut, das bedeutet, dass wir Historikerinnen und Historiker unsere eigenen Projekte verfolgen. Zu unseren Hauptaufgaben gehört aber auch die Vermittlung zwischen der deutschen und französischen Geschichtswissenschaft. Wir fördern junge Forschende; wir organisieren Tagungen, Summer Schools, Fachsprachkurse und Abendveranstaltungen für ein breiteres Publikum; wir betreiben Wissenschaftskommunikation in den sozialen Medien; und wir veröffentlichen eine eigene Zeitschrift, eine Buchreihe und ein Online-Rezensionsportal.
Als Abteilungsleiter für die Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts und Redaktionsleiter trage ich die Verantwortung für diesen Vermittlungsauftrag in meiner Epoche und in den Redaktionen des DHIP. Mein Arbeitsalltag ist deshalb geprägt von viel Kommunikation, Organisation und der Weiterentwicklung unserer Veröffentlichungen. Einen großen Raum nimmt auch die Arbeit mit den Texten meiner Autor/innen ein. Es ist eine spannende Erfahrung, in einem zweisprachigen Umfeld (plus Englisch) zwei sehr unterschiedliche Teams zu leiten, hier die Redaktionen, da die Wissenschaftler/innen mit ihren Projekten und Interessen.
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