Der See Genezareth als Handlungsort Jesu Schaffen im Neuen Testament

Beitrag und Fotos von Angelika Hannich

 

Abbildung 1: Blick auf den See Genezareth mit Tiberias im Hintergrund.

 

Der See Genezareth liegt im oberen Jordangraben und ist mit einer Oberfläche auf 212 Metern unter dem Meeresspiegel der am tiefsten gelegene Süßwassersee der Erde. Er ist 21 Kilometer lang und 13 Kilometer breit. Je nach Überlieferung wird er auch „Galiläisches Meer“, „See von Tiberias“ oder „Harfensee“ genannt. Dabei bezieht sich der erste Name auf das Gebiet und die beiden anderen Alternativen auf die jeweils bedeutendste Siedlung am Ufer des Sees, denn die Bezeichnung „Harfensee“ stammt von der Siedlung „Tell el-Oreme“ (arab.) bzw. „Kinneret“ (hebr.), was mit „Harfe“ übersetzt werden kann. Kinneret muss zur Zeit des Alten Testamentes (AT) die bedeutendste Stadt am Seeufer gewesen sein, da bei Josua 13, 27 der See bereits nach dieser benannt ist. Zu Zeiten Jesu und des Neuen Testamentes (NT) muss Kinneret von Tiberias an Bedeutung überschattet worden sein, da hier der Name „Tiberiassee“ gebraucht wurde. Neben den alternativen Namen gibt es auch noch Varianten in der Schreibung, wie etwa „See Gennesaret“ oder „See Genesareth“. Die unterschiedlichen Schreibweisen sind auf die verschiedenen Überlieferungen zurückzuführen, bei der sich durch die Angleichung an das biblische „Nazareth“ die Schreibweise „See Genezareth“ etabliert hat. Bereits in der Antike gab es heiße Quellen in der Umgebung des See Genezareths, die als Erholungsort dienten und damit viele Reisende anlockten. Obwohl der See Genezareth im Neuen Testament nur ein einziges Mal explizit erwähnt wird, ist er doch ein zentraler Ort für das Schaffen Jesu. Orte und Dörfer in der Umgebung des Sees, die als Handlungsorte Jesu zählen, sind unter anderem Tabgha, Kafarnaum, Bethsaida und der Berg der Seligpreisungen, um nur ein paar zu nennen.

 

Zu Jesu Lebzeiten war das Ufer des See Genezareth eines der am dichtesten besiedelten Gebiete des ganzen Landes. Schon damals wurde die Landschaft als idyllisch empfunden, sodass die Einheimischen die Region um den See als „Auge Gottes“ bezeichneten. Es war sogar so schön, dass der Vierfürst Herodes Antipas am südwestlichen Ufer eine prunkvolle Residenz erbauen ließ, nachdem seine alte Residenz „Sepphoris“ im kalten Bergland von Galiläa lag. Der Fischreichtum des Sees war im Altertum sehr bekannt und bot genug Nahrung für die Bewohner des Umlandes, sodass der See für die gesamte Region eine zentrale Rolle spielte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass einige Jünger Fischer waren. Jesus kam ursprünglich aus Nazareth, doch als er von der Gefangennahme Johannes des Täufers hörte, zog er sich nach Galiläa zurück. Er wohnte in Kafarnaum und begann von dort aus in der Region um den See Genezareth zu predigen. Daher berief er auch seine ersten Jünger am See Genezareth, die dort Fischer waren, und machte sie zu „Menschenfischern“ (Mt 4,12-25). Wenn im Sommer am See Genezareth die Temperatur auf bis zu 40 Grad Celsius im Schatten steigt ergeben sich durch die vom Gebirge kommenden Kaltluftströmungen plötzlich auftretende Winde, die dadurch gerade für Fischer sehr gefährlich sind. Im östlichen Teil des Sees steigen die Wellen am höchsten und am Westufer bietet das Gebirge Schutz. Es ist bemerkenswert, wie rasch ein Boot aus der windgeschützten Zone in den vom Sturm aufgepeitschten See gerät. Die Bibelstelle der „Stillung des Sturms“ spricht davon: Im Lukasevangelium Kapitel 8 Verse 22-25 (Lk 8,22-25) wird berichtet, dass Jesus sich bei ruhigen Wetterverhältnissen im Boot zum Schlafen legt. Als er geweckt wird, befindet sich das Fischerboot in einem Sturm mit heftigen Winden und hohen Wellen. Erst als Jesus den Wind und das Wasser beruhigt, können sie gefahrlos ans andere Ufer fahren.

 

 

Tiberias

Das alte Tiberias begann etwa drei Kilometer südlich der heutigen Stadt bei den heißen Quellen von Hammath, oder auch Amathus genannt, und zog sich von dort nach Norden bis an die Grenze der heutigen Stadt. Der Vierfürst Herodes Antipas benannte sie nach seinem kaiserlichen Gönner Tiberias. Nach dem Talmud errichtete Herodes die neue Residenzstadt auf dem Gelände der alten Ortschaft Rakkat. Da aber ein Teil der neuen Stadt auf dem Friedhof der alten Ortschaft errichtet wurde, blieb das Betreten der Stadt für einen gesetzestreuen Juden verboten. Aus diesem Grund wird Tiberias im Evangelium nur ganz beiläufig erwähnt, obwohl sich viele Ereignisse in der Nähe der neuen Hauptstadt abspielten. So auch beispielsweise das Gleichnis „Das große Abendmahl“, in dem Jesus von einem Mann spricht, der ein großes Festessen gibt und dazu viele Männer zu sich einlädt. Da sich aber alle geladenen Gäste entschuldigen, schickt er seinen Knecht auf die Straße und lässt alle Armen, Verkrüppelten, Blinde und Lahme von der Straße zu sich bitten, denn sie wissen sein Gastmahl zu schätzen, im Gegensatz zu den anfangs geladenen Männern. Das Gleichnis ist deswegen in Tiberias zu verorten, da Herodes die Stadt mit Bettlern und Armen ansiedeln musste, da eben kein gesetzestreuer Jude die Stadt betrat. Aus diesem Grund ist es auch nicht klar, ob Jesus die Stadt Tiberias je betreten hat, auch wenn er in deren nördlichen Gegend umherreiste.

 

 

Kafarnaum

Eine sehr elementare Stadt für Jesu Schaffen war die Stadt Kafarnaum am Nordufer des Sees. In der Synagoge von Kafarnaum heilte Jesus viele Menschen von Krankheiten und Dämonen (Mk 1, 21-39), er heilte in Kafarnaum am Sabbat die verdorrte Hand eines Mannes und erwählte seine 12 Jünger, die er dann Apostel nannte (Lk 6, 12-19). Er ging nach Kafarnaum über das Wasser und hielt in der Synagoge seine Predigt über das Brot des Lebens, das allen Juden und Gläubigen nicht von Mose, sondern von Gott gegeben wird (Joh 6, 16-59) und er heilte eine blutflüssige Frau, indem er ihr den Gottglauben gab, als sie sein Gewand berührte, und erweckte die Tochter des Synagogenvorstehers Jaïrus, indem er das sterbende/schlafende Mädchen an der Hand nahm und sagte: „Talita kum!“, also „Mädchen, steh auf!“ und es gesund aufstand und herumgehen konnte (Mk 5, 21-43). Auch wenn Jesus mit seinen Jüngern nicht durchgehend in Kafarnaum lebte, so kehrte er doch immer wieder zu dieser Stadt zurück und vollbrachte noch mehr Wunder. Bibelstellen schildern, dass die Anwohner Kafarnaums so sehr von Jesus und seinen Predigten überzeugt waren, dass sie ihn regelrecht verfolgten und bedrängten. Ein Anzeichen dafür ist auch „Die Speisung der Fünftausend“. Als Jesus mit seinen Jüngern in der Nähe von Kafarnaum auf einem Berg lagert, folgen ihm 5.000 Männer. Da die Jünger und Jesus keinerlei Verpflegung für derartig viele Menschen dabeihaben, bekommen sie von einem Jungen fünf Gerstenbrote und zwei Fische, die sie unter dem lagernden Volk verteilen. Als Jesus die Jünger nach dem Mahl die Reste zusammensammeln lässt, bringen diese 12 Körbe voller übriger Stücke zu ihm (Joh 6, 1-15).

 

Abbildung 2: Altar der Klosterkirche zum Gedenken an die Speisung der 5000.

 

Als Gedenken an die Speisung der 5.000 Menschen wurde ein Kloster um den Stein erbaut, auf dem Jesus bei der Verteilung von Fisch und Brot gesessen haben soll. Zur Verdeutlichung sind daher vor dem Altar zwei Fische und ein Brot als Mosaike dargestellt (Abb. 2).

 

 

Betsaida

Betsaida, übersetzbar mit etwa „Fischhausen“, war ein sehr guter Fischerplatz etwa vier Kilometer entfernt von Kafarnaum, etwas östlich der Mündung des Jordans in den See Genezareth auf dem Hügel Et-Tell. Betsaida ist der Geburtsort der Apostel Petrus, Andreas und Philippus. Dort hat Jesus die Zöllner und Sünder zu sich gerufen, um mit ihnen zu speisen. Als das die Pharisäer und Schriftgelehrten sahen, wunderten sie sich sehr, doch Jesus erklärte ihnen, dass nicht rechte Menschen seiner Führung und Hilfe bedürfen, sondern eben die, die vom rechten Weg abgekommen sind (Mk 2, 13-17).

 

 

Berg der Seligpreisungen

Ein ebenfalls wichtiger Ort Jesu Schaffen ist der Berg der Seligpreisungen, an dem Jesus die Bergpredigt gehalten hat. Dieser ist auch am See Genezareth, in der Nähe von Kafarnaum, zu verorten, obwohl sich Lukas und Matthäus nicht einig sind, ob es sich dabei um einen Berg oder um ein Feld handelt, da das aramäische Wort „tur“ beides bedeuten kann. Die Bergpredigt wird bei beiden Evangelisten durch die Seligpreisungen eingeleitet, bei Matthäus durch acht und bei Lukas durch vier Seligpreisungen. Eine genauere Ortsangabe über den Berg bzw. das Feld der Seligpreisungen ist leider nicht zu finden, denn in der Bibel ist die Textstelle vor der Bergpredigt die Berufung der ersten Jünger, die Jesus findet, als er „am Galiläischen Meer entlangging“ (Mt 4, 18-25).

 

 

Quelle

  • Die Bibel. Nach Luther, Deutsche Bibelgesellschaft 2017.

 

 

Literatur

  • Benzinger, Immanuel: Eintrag „Gennesar“. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Band 1,7,1. Stuttgart 1992, Sp. 1175.
  • Kroll, Gerhard: Auf den Spuren Jesu. sein Leben, sein Wirken, seine Zeit. Leipzig 2002, S.203-233.

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