Erinnerung und Gegenwart – Jüdische Orte in Lviv

Beitrag und Fotos von Bianca Wagner


Die Stadt Lviv, deutsch Lemberg, hört auf verschiedene Beinamen: Neben „Schäbiges Schmuckkästchen“ liest man oft auch von „Klein-Wien“. Schon während der Zeit, als die Stadt noch Teil des österreich-ungarischen Königreichs war, galt sie als kulturelles Zentrum der Provinz Galizien. Die Stadt bewohnten viele unterschiedliche Ethnien, deren Lebensweise sie sehr beeinflusst hat. Ruthenen, Armenier, Polen, Ungarn, Deutsche, Russen aber auch Juden prägten die Stadt intellektuell, religiös wie auch architektonisch. Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs lebten circa 140.000 Juden in der Stadt, was ein Drittel der Bevölkerung ausmachte. Der Holocaust führte jedoch zur Vernichtung fast aller jüdischen Bewohner. Nur noch circa 2.000 Mitglieder zählt die jüdische Gemeinde heute. Die Spuren der ehemals vitalen Gemeinschaft sind sehr verwischt und nur schwer zu finden.

 

© Universität Augsburg

 

Jüdische Gassen, mittelalterliches Ghetto

Das ehemalige Ghetto, die „Krakauer Vorstadt“, befand sich auf der Fläche hinter dem Opernhaus und ist auch heute noch ein eher ärmeres Stadtviertel. In dem seit 1945 kaum restaurierten Quartier kann man an manchen Hauseingängen immer noch die Abdrücke der jüdischen Mesusot erkennen, einem kleinen Behälter für Toraverse. In einem Park nahe des Opernhauses findet man eine Leerstelle, welche den Ort der ehemaligen Synagoge, die dort von 1632 bis zur Sprengung durch die Nationalsozialisten 1941 stand. Wenige Schritte davon entfernt weist eine Tafel auf einen anderen jüdischen Tempel hin, der wohl 1845 dort erbaut wurde und heute ebenfalls nicht mehr steht.

 

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 Das Holocaust-Mahnmal für die galizischen Juden am Rand des faschistischen Ghettos zwischen Bahndamm und Tankstelle an einer Ausfallstraße hat die jüdische Kulturgesellschaft, welche 1985 gegründet wurde, bauen lassen. Seit 1993 erinnert am ehemaligen Haupteingang eine Skulptur mit einer fast mannshohen Menora hinter sich an die ermordeten Juden. Der dargestellte Mann spricht zu Gott und ist mit den Steinen unter sich verschmolzen. Auf der Straße vor ihm ist ein Loch im Boden, in das er zu fallen droht. Das Mahnmal steht für die Einbahnstraße, auf der sich die jüdische Gemeinschaft seit den Wanderungen durch die Wüste befindet.

 

 

Synagogen in der Altstadt          

Neben der bereits genannten Synagoge gab es 1939 wahrscheinlich noch mehr als 40 Synagogen in Lviv. Darunter auch die bekannte „Goldene Rose“ Synagoge, welche 1582 von Paolo Italus erbaut wurde und zu den spektakulärsten Bauwerken der Spätrenaissance Lembergs gehörte. Bis auf ein paar wenige Außenmauern wurde die Synagoge ebenfalls komplett im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die Stadt Lviv versucht in Kooperation mit unter anderem dem Center for Urban History of East Central Europe in dem Projekt „The Space of Synagoges“, das Andenken an diese Synagoge sowie an die Große Stadt Synagoge und das ehemaligen Gelehrten Haus Beth Hamidrash zu konservieren. Dafür werden die Ruinen gepflegt und die Erinnerung aufrecht-erhalten. Die Gedenkstätte wurde erst 2016 von einem deutschen Architekten eröffnet. Die aufgereihten Steine auf dem Platz erinnern an das Holocaust Mahnmal in Berlin.

 

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 Einzig und allein zwei Gotteshäuser haben die Besatzung der Deutschen überlebt. Die chassidische Synagoge Jakob Glanzer Shul wurde 1844 erbaut und während der Kriegszeit als Pferdestall benutzt. Während der Sowjetzeit wurde das im Barockstil erbaute Gebäude weiterhin als Turnhalle zweck-entfremdet. Nun findet man dort den jüdischen Kulturverein.

 

© Universität Augsburg

 

Die einzige aktive Synagoge ist die Tsori-Gilod-Synagoge oder Beis Aharon V'Yisrael-Synagoge. Sie wurde 1925 errichtet und während der deutschen sowie der sowjetischen Besatzung als Lagerhaus verwendet.

 

 

Friedhöfe

Hinter dem Garten des ehemaligen jüdischen Lazarus-Spitals, das heute als Frauenklinik dient, lag früher einmal der große jüdische Friedhof, dessen Grabsteine unter anderem aus dem 14. Jahrhundert stammten. Nationalsozialisten zertrümmerten diese jedoch restlos. Nach dem Krieg wurde auf dem Areal unter anderem eine Bierbrauerei errichtet. Wenn man etwas sucht, kann man in dem Garten des Krankenhauses in der Rappoport-Straße noch einige Grabsteine mit hebräischer Inschrift finden. Man mutmaßt, dass diese von einem Landwirt auf seinem Grund gefunden worden seien und er diese an ihren Ursprungsort zurückbringen wollte. Die zerstörten Grabsteine waren von den Nationalsozialisten als Baumaterial verwendet worden und erfuhren so ihren Umlauf in die Stadt. Neben diesem gab es noch den neuen und den alten jüdischen Friedhof. Heute verfügt die jüdische Gemeinde von Lviv über keinen eigenen Friedhof mehr.

 

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Zwangsarbeiterlager Lemberg-Janowska

Im Nordwesten von Lviv wurde im September 1941 die ehemalige Maschinenfabrik in der Janowska-Straße von der Firma „Deutschen Ausrüsterwerke“ (DAW) übernommen und viele Juden aus der Umgebung wurden zur Zwangsarbeit dorthin verpflichtet. Bereits im Oktober desselben Jahres ließ die SS das Gelände umzäunen und Wachtürme errichten.  Das Zwangsarbeiterlager hatte einen „multifunktionellen“ Charakter, da es auch als Durchgangslager für Vernichtungstransporte nach Bełżec diente. Selektierte Juden aus den Ghettos der Umgebung, welche als „lebensunwert“ eingestuft wurden, mussten in Viehwagons eingesperrt ihre Fahrt in den Tod antreten oder wurden oftmals bereits in der Nähe des Geländes erschossen. Die Massenhinrichtungen fanden acht Kilometer östlich in einem aus Steinbrüchen bestehenden Areal namens „Lemberg-Sand“ bzw. „Piaski“ statt. Als „arbeitsfähig“ eingestufte Häftlinge erfuhren häufig den Tod aufgrund der furchtbaren humanitären Bedingungen des Lagers, in dem sich zeitweise bis zu 15.000 Gefangene aufhielten. Aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate wird das Lager auch als Vernichtungslager bezeichnet. Neben Juden waren auch einige Menschen ukrainischer und russischer Abstammung in Gefangenschaft.

 

Ab 1943 startete der Führer des „Sonderkomandos 1005“ (auch „Enterdungsaktion“) - Paul Blobel - den Versuch der Vertuschung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, indem er Häftlinge zwang, die Massengräber zu exhumieren und die Leichen zu verbrennen. Die Exekution von Juden wurde auch noch während der Spurenverwischung vorangetrieben.

 

Am 19. Juli 1944 wurde das Lager endgültig aufgelöst, als die Mehrzahl der Häftlinge von den Deutschen erschossen wurden. Aufgrund der Verwischung der Spuren stützen sich die Angaben über die der Anzahl der ermordeten Juden auf die Aussagen der zwei einzigen Überlebenden aus der „Todesbrigade“, die von circa 100.000 Menschenleben ausgehen. Heute ist in dem ehemaligen Lager ein Gefängnis untergebracht.

 

 

Eine Stadt die schweigt

Das bereits erwähnte Mahnmal am Haupteingang des ehemaligen Ghettos stellt eines der wenigen Erinnerungsorte an die Verbrechen an den Juden dar. Einem Zeichen, das beispielweise den circa 4.000 ermordeten Juden in einem der schlimmsten Pogrome vom 30. Juni bis 3. Juli 1941 gedenkt, sucht man vergebens.

 

In der gesamten Ukraine war der Holocaust in der Zeit der sowjetischen Besatzung ein absolutes Tabuthema, das zum Beispiel in den Schulen nicht unterrichtet wurde. Bis heute beschäftigen sich die wenigsten einheimischen Historiker mit dem Holocaust.  Dies mag unter anderem an der Angst vor Restitutionsansprüchen von jüdischen Nachfahren liegen. Aber auch daran, dass der Holocaust in der Erinnerung vieler westukrainischer Familien durch die Erfahrungen sowjetischer Unterdrückung schlichtweg überlagert wurden.

 

 

Literatur

  • Hoffmann, Jens: „Das kann man nicht erzählen“. „Aktion 1005“ – Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten, Hamburg 32013.
  • Klevman, Lutz C.: Lemberg. Die vergessen Mitte Europas, Berlin 2017.
  • Pollack, Martin: Galizien. Eine Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina, Berlin 92016.
  • Weidner, Stefan: Ins Griechenland des Ostens. Die Ukraine, Lemberg, die Juden und wir, Köln 2015.
  • The Space of Synagoges, URL: <http://jewish.lviv.travel/en_US/> (14.09.2017).

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