Jüdisches Leben in Lemberg/Lviv

Bericht und Fotos von Magdalena Gräfe

 

Die ältesten jüdischen Ansiedlungen in der heutigen Westukraine, vor allem in Wolhynien und Ostgalizien, wurden bereits im 9. Jahrhundert gegründet. Der berühmte Ratmann und Bürgermeister Johann Alnpek schrieb über das mittelalterliche Lemberg: „Hier gibt es Juden zuhauf, das ist fast ihr gelobtes Land.“ [1]

 

Im 14. Jahrhundert begannen sich die Juden in großen Zahlen in Lemberg niederzulassen und gründeten eine Gemeinde in der Alten Jüdischen Straße nahe dem Marktplatz (heute die vul. Fedorova). Der polnische König Kasimir der Große siedelte gezielt die vor den Pest-Pogromen fliehenden Juden aus Westeuropa an und förderte sie als Gegengewicht zum deutschen Bürgertum in den Städten. Dass er als einziger europäischer Monarch die Juden so unter seinen Schutz stellte, begründen viele Historiker mit seiner großen Liebe für die schöne Jüdin Ester, welche ihm vier außereheliche Kinder schenkte.

 

Die Juden in Lemberg arbeiteten als Steuerpächter, Stempelschneider und Münzmeister. Durch ihren wachsenden Erfolg verstärkte sich die Antipathie der Bevölkerung; vor allem aber die katholischen Kaufleute fühlten sich bedroht und forderten Einschränkungen. Dennoch konnten die Juden im polnischen Großreich relativ frei leben und wirken, bis im Jahre 1648 rund 100.000 Juden den Massakern der einfallenden Kosaken zum Opfer fielen. Nur die florierende Stadt Lemberg verweigerte die Auslieferung ihrer Juden und kaufte sie für 60.000 Dukaten frei. Sieben Jahre später musste der Magistrat weitere 60.000 Dukaten zahlen, da die Kosaken mit russischer Unterstützung zurückgekommen waren.

 

In Lemberg lebten die Juden in ihrem „Schtetl“, in ihrer separierten jüdischen Gemeinschaft, in welchem sie nachts eingeschlossen wurden. In der Frühen Neuzeit etablierte sich Lemberg als Zentrum von östlicher Orthodoxie und so entstand im 18. Jahrhundert das Stereotyp des „Ostjuden“, der sich durch ein konservatives Judentum auszeichnete. In Lemberg wurde ein zweites, konservatives jüdisches Viertel in der Nähe des Krakauer Marktplatzes gegründet. Das Ältere befand sich in der Zhowkwa-Vorstadt, im ältesten Teil, und die andere innerhalb der Stadtmauern. Die Viertel waren komplett voneinander separiert. Beide jüdischen Gemeinden mussten sich jedoch einen Friedhof teilen und später begannen, sich die Gemeinden zu vermischen.

 

Die vielen emigrierten Juden aus Deutschland brachten den Lemberger Juden und den „Ostjuden“ im allgemeinen das Jiddische mit, welches, sich vermischt mit einigen polnischen und ukrainischen Wörtern, alsbald als Umgangssprache etablierte. Aber auch das Deutsche war für die Juden eine gern genutzte Sprache, da sie, vor allem seit der Eingliederung ins Habsburger Reich, eine Aufstiegsmöglichkeit bot. Die Juden, welche durch das Toleranzpatent von Joseph II. 1782 zu gleichberechtigten Bürgern wurden, begannen immer mehr, sich zu integrieren und assimilieren. Diese florierende Epoche förderte bekannte Ärzte, Juristen und Philosophen, wie zum Beispiel Nachman Krochmal oder die Schriftsteller Moritz Rappaport, Leopold von Sacher-Masoch und Joseph Roth zutage.

 

Auch religiös war Lemberg für die Juden ein rabbinisches Zentrum der Gelehrsamkeit. Jüdische Reformatoren errichteten 1843 in der Krakauer Vorstadt die Synagoge „Tempel“ und auch zionistische Ideen, Organisationen und Aktionen wurden von Lemberg aus koordiniert und gefördert. Bis 1939 betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Lemberg 30-35 Prozent. Ein Höhepunkt für die Lemberger Juden war die Ankunft des sehr bekannten jüdischen Schriftstellers Scholom Alejchem, an dessen Wohnung im Haus Nr. 4 der vul. Spitalna noch immer eine Gedenktafel erinnert.

 

 

Die Weltkriege

Im Ersten Weltkrieg war Lemberg unter russischer Verwaltung und 400.000 Juden flohen in die westlicheren Gebiete der Monarchie, da ihnen eine Umsiedlung nach Sibirien drohte. Bis auf die starken Lemberger Viertel vielen fast alle jüdischen Gemeinden den Umsiedlungen nach Sibirien oder Vertreibungen zum Opfer.

 

Im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs wurden die Lemberger Juden von einem grausamen Pogrom erschüttert. Nachdem der Kampf um Lemberg zwischen Polen und Ukrainern zugunsten der polnischen Kämpfer entschieden war, begannen polnische Milizen, Soldaten und Strafgefangene ungehindert mit Plünderungen und Massakern an den Lemberger Juden, bei denen mehr als 73 Personen ermordet, hunderte verletzt und finanziell geschädigt wurden.

 

Auch im Zweiten Weltkrieg, kurz nach Einmarsch der Nationalsozialisten, kam es durch den Ansporn der Besatzer zu Pogromen, die dieses Mal zwischen 3.000-4.000 jüdischen Tote forderten. Es kam zu dem Gewaltausbruch, nachdem die Nationalsozialisten die zurückgelassenen Toten eines Sowjet-Gefängnisses auf die Straße zur Identifikation und zur Verdeutlichung des Sowjetischen Terrors tragen ließen. Mitunter auch durch die Wut und Trauer der Angehörigen und Anwohner kam es zum stereotypen Gerücht, dass die Juden mit den Kommunisten unter einer Decke stecken würden und die Stimmung kippte. Im Allgemeinen fielen den Nationalsozialisten im Ghetto der Krakauer Vorstadt mehr als 130.000 jüdische Gefangene zum Opfer. Einige überlebten mithilfe von mutigen Einheimischen, zum Beispiel in den Kanalisationen unterhalb der Stadt. Fast alle Juden der Lemberger Gemeinde wurden getötet und die meisten Synagogen zerstört oder abgebrannt.

 

© Universität Augsburg

 

Im Gedenken an die getöteten Juden wurde im Jahr 1992 das „Denkmal der Opfer des Lemberger Ghettos der Jahre 1941-1943“ errichtet. Mit diesem Denkmal wurde zum ersten Mal über die in der Sowjetzeit tabuisierte Thematik der Judenvernichtung auf ukrainischem Gebiet gesprochen.

 

© Universität Augsburg

 

Aber leider ist der Holocaust innerhalb der Gesellschaft immer noch wenig aufgearbeitet und nicht Teil der Geschichte der Ukraine beziehungsweise der Stadt Lemberg. Dennoch erzählen die Kerben in den Eingängen der ehemals jüdischen Häuser und die hebräischen Schriften über alten Läden und Cafés sowie die wenigen verborgenen oder zensierten Davidssterne an Orten des früheren jüdischen Lebens vom jüdischen Teil der Geschichte der Ukraine. Es sind lautlose Zeugen ihrer Geschichte.

 

Nach dem Zweiten Weltkriege wurden unter dem Sowjetregime alle Glaubensrichtungen unterdrückt, auch die jüdische, wodurch viele Juden nach dem Ende der Sowjetherrschaft ihre Kultur von neuem Beleben und die religiösen Riten erst wieder erlernen mussten. Dafür gibt es den jüdischen Kulturverein in Lemberg, in dem sich unter anderem der 94-Jährige Boris Dorfman seit über 30 Jahren engagiert. Auch das Gemeindeleben in der Synagoge soll durch eine Renovierung wiederbelebt werden. Doch auch in der sich im Aufbau befindlichen Synagoge gibt es heute in der vul. Muljarska ein jüdisches Gemeindezentrum, in dem auch Konzerte, Kultur- und Vortragsabende veranstaltet werden.

 

© Universität Augsburg

Das alte Judenviertel in Lviv wird von den heutigen Straßen Serbska, Staroyevreyska und Brativ Rohatyntsiv eingegrenzt. Am Ende der Staroyevreyska-Straße erinnert eine Gedenktafel an die wunderschöne Renaissance-Synagoge „Goldene Rose“, welche im Jahre 1582 erbaut worden war, aber leider 1942 von den Nationalsozialisten zerstört wurde.

 

© Universität Augsburg

 

Es rankt sich eine Legende um diese Synagoge. Nach der Fertigstellung soll ein Rechtsstreit um das Land, auf dem die Synagoge stand, ausgebrochen sein, da in die Stadt gezogene Jesuiten Anspruch darauf erhoben und vor Gericht gewonnen hatten. Als eine reiche, schöne Witwe, namens Rosa Nachmanowytsch, von dem Unglück der Juden hörte, gab sie all ihr Geld, um die Synagoge freizukaufen. Doch der Erzbischof forderte, dass sie bei ihm bliebe, da sie so schön sei.  Sie blieb und die Synagoge war gerettet. Am nächsten Morgen soll sich Rosa aus Scham vergiftet habe. Im Andenken an ihr Opfer für die jüdische Gemeinde in Lemberg nannte man die Synagoge „Solota Rosa“ („Goldene Rose“).

 

[1] Anonym: Das Judenviertel, http://lviv.travel/de/architecturelviv/jewish-quarter (Stand: 11.07.2017).

 

 

Literatur

  • Ania Klijanienko: Lemberg. Das kulturelle Zentrum der Ostukraine, Berlin 2008.
  • Grzegorz Rossoliński-Liebe: Der Raum der Stadt Lemberg in den Schichten seiner politischen Denkmäler, http://www.kakanien-revisited.at/beitr/fallstudie/GRossolinski-Liebe1.pdf (Stand: 10.07.2017).
  • Ernst Lüdemann: Ukraine, 3. Aufl., München 2006.
  • Christoph Mick: Lemberg/Ľviv. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2013, ome-lexikon.uni-oldenburg.de/54302.html (Stand: 10.07.2017).
  • Das Judenviertel unter:  http://lviv.travel/de/architecturelviv/jewish-quarter (Stand 11.07.2017).
  • Michael Stanislawski: A Murder in Lemberg. Politics, Religion, and Violence in Modern Jewish Hinstory, Princeton/Oxford 2007.

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