Forschungsprojekt EDULUM
(Augsburg/KPP) Die Romanautorin, Journalistin und Pädagogin Marie Leprince de Beaumont (1711 - 1780) zählte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu den am meisten gelesenen Autorinnen in Frankreich und in ganz Europa. Von der Forschung bislang wenig beachtet und eher der Gegenaufklärung zugerechnet, steht sie jetzt im Mittelpunkt eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der französischen Agence nationale de recherche (ANR) geförderten Projekts am Augsburger Lehrstuhl für Romanische Literaturwissenschaft. "Wir sind überzeugt", so die Lehrstuhlinhaberin und Projektleiterin Prof. Dr. Rotraud von Kulessa, "dass wir der Aufklärungsforschung durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Werk de Beaumonts neue Perspektiven eröffnen können."
Dieses Werk, in dem das Recht auf Bildung sowohl Geschlechter- als auch Standesgrenzen überschreitet, reflektiert den Glauben der Autorin an den Fortschritt und an die Perfektibilität des Menschen. Es fügt sich zum aufklärerischen Anspruch und Anliegen der Enzyklopädisten, die zeitgenössischen Wissensbestände breitesten Bevölkerungsschichten zu vermitteln. Zugleich kämpft de Beaumont für das Recht der Frauen auf Wissen und intellektuelle Gleichstellung. Sie problematisiert in ihrem Werk mehrfach die Frage der sozialen Hierarchien und stellt Forderungen, wie die nach Freiheit und Gleichheit. Damit erweist Marie Leprince de Beaumont sich als aufklärerische Protagonistin in den intellektuellen und religiösen Debatten ihrer Zeit.
Eine Vertreterin der Gegenaufklärung?
Gleichwohl wird sie als Vertreterin der katholischen Apologetik von der Forschung bislang der Gegenaufklärung zugerechnet. "Mit diesem Widerspruch", so von Kulessa, "wirft der Fall Marie Leprince de Beaumont in ganz besonderem Maß die Frage nach den Wertehierarchien der französischen und europäischen Aufklärung auf und darüber hinaus die Frage nach deren Auswirkungen auf die heutige französische und europäische Gesellschaft."Bereits vor gut einem Jahr hatte von Kulessa, Expertinnen und Experten zu einem internationalen Kolloquium zum Thema "Marie Leprince de Beaumont - une éducatrice des Lumières" nach Augsburg eingeladen. Das DFG-ANR-Projekt sieht nun eine Reihe von Folgetagungen und von Dissertationsprojekten vor sowie die Herausgabe von Originaltexten und den Aufbau eines virtuellen Marie Leprince de Beaumont-Museums.
Das Konzept der Aufklärung in neuem Licht
"Wir wollen zur Rehabilitierung einer bis heute von der Forschung vernachlässigten, unserer Auffassung nach allerdings enorm wichtigen Autorin des 18. Jahrhunderts beitragen und damit dann auch eine Revision des literarischen Kanons der Epoche der Aufklärung anstoßen", erläutert von Kulessa. Ein transkultureller Zugang zu dieser Autorin und ihrem Werk sei geeignet, das Konzept der Aufklärung in Frankreich und Deutschland insgesamt zu überdenken und es in einem neuen Licht zu sehen.
Augsburg-Nancy-Kooperation
Projektpartnerin der Augsburger Ordinaria für Romanische Literaturwissenschaft ist Prof. Dr. Catriona Seth von der Université de Lorraine (Nancy). Mit Seth gemeinsam leitet von Kulessa seit gut zwei Jahren auch den Studiengang „Europäische Kommunikationskulturen vom Zeitalter der Aufklärung bis in die Gegenwart“ - ein binationales Master- und Promotionsprogramm, das von der Deutsch-Französischen Hochschule (DFH) gefördert wird. Von Kulessa: "Wenn wir unser DFG-Projekt jetzt gemeinsam in Angriff nehmen, können wir also auf bereits etablierte Kooperationsstrukturen zurückgreifen, die wir nicht nur im Bereich der Forschung, sondern auch mit Blick auf die dezidiert forschungsnahe Lehre in unserem deutsch-französischen Studiengang weiter ausbauen werden."
Tagungen, Publikationen und virtuelles Museum Marie Leprince de Beaumont
Das 2018 abgeschlossene Projekt EDULUM hat zahlreiche Publikationen über Marie Leprince de Beaumont ermöglicht. Drei kritische Quelleneditionen von Texten der vergessenen Autorin konnten von Prof. Catriona Seth (Le triomphe de la vérité, 1748), Prof. Rotraud von Kulessa (Les Mémoires de Madame de Batteville ou la veuve parfaite, 1766) und von Dr. Sonia Cherrad (Contes Moraux) veröffentlicht werden. Die drei Werken erscheinen im Velag Classiques Garnier. Das Projekt ermöglichte auch drei Promotionsarbeiten. Dr. Ramona Herz-Gazeau führte eine Analye des Romans Les Américaines (La Femme entre raison et religion Les Américaines (1769) de Marie Leprince de Beaumont, Classiques Garnier, 2019), Christina Melcher forschte über die Briefromane der französischen Autorin (« Honorez-moi souvent de vos lettres ; servez-moi de guide dans le chemin de la vertu. » : les fictions épistolaires de Marie Leprince de Beaumont) und Ivana Lohrey über die deutsche Rezeption ihrer Werke (Praeceptor Germaniae. Marie Leprince de Beaumont Outre-Rhin). Schließlich wurden mehrere Tagungen zu den Themen Erziehungsliteratur im 18. Jahrhundert, Aufklärung und Frauenliteratur und -erziehung organisiert. Die letzte fand im Dezember 2017 in Oxford statt. Um einen Überblick über die Ergebnisse des Forschungsprojekts sowie über diese vergessene Autorin zu geben, wurde ein virtuelles Museum erschaffen, das Dokumente, Texte sowie biographische Elemente über Marie Leprince de Beaumont für ein breites Publikum zur Verfügung stellt.
Weitere Information finden Sie auf die Homepage der MSH Lorraine. Sie können sich auch an Prof. Dr. Rotraud von Kulessa oder an Prof. Dr. Catriona Seth (Univerté de Lorraine und University of Oxford) wenden.