Jugend und Abweichendes Verhalten

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„Jugend“ wie sie in dieser Gesellschaft geläufig ist, ist ein Produkt der Moderne bzw. der Modernisierung der Gesellschaft. Mit jeder Modernisierung sind (mehr) Individualisiderungsmög-lichkeiten verbunden (Durkheim). Darüber bekamen Jugendliche mehr (legitime) Verhaltens- und Entscheidungsmöglichkeiten und konnten darüber ihre relative Position gegenüber „den“ Erwachsenen verbessern. Aufgrund des technologischen Wandels und des Wandels der Arbeitswelt benötigen moderne Gesellschaften mehr höher qualifizierte Personen. Damit verlängerten sich die Bildungs- und Ausbildungsabschnitte und damit die Zeit, in der junge Menschen systematisch aus der Erwerbsarbeit herausgehalten und sozialisiert bzw. qualifiziert werden sollten. Außerdem entfaltete sich seit den 1950er-Jahren sukzessive eine jugendbezogene Konsum-, Musik- und Unterhaltungsindustrie, die den Prozess der Ausdifferenzierung von Jugend beförderte.

„Jugend“ wurde über die Zeit zu einer relativ eigenständigen Lebensphase. Sie weist inzwischen relativ unscharfen Altersgrenzen auf und ist damit nur unscharf abgegrenzt vom Kinder- bzw. vom Erwachsenenstatus. Daneben zeigt sie ausgeprägte interne Differenzierungen durch Jugendteilkulturen bzw. -szenen, Geschlecht, Migration, ethnische und soziale Herkunft. Daher ist zu sagen: „Die“ Ju­gend gibt es nicht (Scherr). „Jugend“ steht dabei in doppelter Hinsicht „vor der Moderne“ (Abels): zum einen wird ihr eine tendenziell avantgardistische Position zugeschrieben, bei der sie gleichsam der Moderne vorausgeht. Zum anderen muss Jugend bzw. müssen Jugendliche die Herausforderungen und Probleme bewältigen, die sich für sie aus dem jeweiligen Zustand der modernen Gesellschaft heraus ergeben.

Daher beschäftigen wir uns theoretisch und empirisch mit Fragen nach der (weiteren) Entwicklung von Jugend unter den Rahmenbedingungen der Gegenwartsmoderne. Uns interessiert,

  • mit welchen (sich verändernden) Anforderungen Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsensein konfrontiert sind,
  • wie „die“ Jugend mit den Anforderungen der Bildungs-, Ausbildungs-, Arbeits- und Freizeitwelt normativen Erwartungen „der“ Erwachsenengesellschaft an ihr Verhalten und ihre Lebensplanung umgeht,
  • welche typischen Verhaltensweisen, Einstellungen und Haltungen sie dabei in verschiedenen Lebensbereichen (Freizeit, Familie, Peers) zeigen,
  • wie und warum junge Menschen ihre gesellschaftliche Integration besser, schlechter oder auch gar nicht bewältigen,
  • wie sie dabei das Geschlecht bewältigen bzw. eine Geschlechtsidentität ausbilden,
  • welche sozialen Ungleichheiten zwischen Jugendlichen bestehen,
  • wie der gesellschaftliche Umgang mit Jugend(lichen) (einschließlich der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Jugendlichen und der sog. Jugendpolitiken) aussieht,
  • welche Aussagen sich über die Zukunft von Jugend in modernen Gesellschaften treffen lassen.

Ein besonderer Punkt ist dabei abweichendes Verhalten (Devianz), vor allem Gewalt und Drogen: (Besonders männliche) Jugendliche wurden längstens seit den 1950er-Jahren als po-tenzielle Gewalttäter wahrgenommen, Ende der 1970er-Jahre wurde von politischer Seite die Gewaltfrage zur Jugendfrage erklärt und seit den 1990er-Jahren gerieten in der Abfolge verschiedene Kategorien jungen Menschen in den Fokus des gesellschaftlichen, politischen, medialen Gewaltdiskurses (Schuljugendliche, jugendliche Migranten, durch Gewaltkriminalität polizeiauffällig gewordene junge Menschen, sog. jugendliche Mehrfach- und Intensivtäter, junge Flüchtlinge und Asylbewerber). Auch der Drogenumgang junger Menschen geriet als strafrechtlich und moralisch abweichendes Verhalten in den Blick der Erwachsenengesellschaft und wurde (wie auch die Gewalt) als Gefährdung der (inneren) Sicherheit begriffen und bekämpft. Jugendliche wurden dabei von einer Erwachsenengesellschaft, die durch den sozialen Wandel und seine Auswirkungen auf junge Menschen verunsichert wurde, vor-nehmlich aus der Täterperspektive gesehen – inwieweit sie unter dem Druck sozialer Rahmenbedingungen standen oder direkt Opfer der Gewalt von Erwachsenen waren, war dem-gegenüber sehr nachrangig. Uns interessieren in diesem Zusammenhang

  • Gewalterfahrungen junger Menschen als Täter und als Opfer im Rahmen der Schule, der Familie, eigener Partnerschaften, der Freizeit,
  • der Drogenumgang junger Menschen (allgemein und im Kontext von Jugendszenen) sowie
  • sozial unangemessenes Verhalten in Sozialisationseinrichtungen (sog. Class-room Incivilities).

 

 

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