Von der „unvergänglichen Wohlthat“ zum ökologischen Desaster …

Karte vom Donaumoos
Adrian von Riedl: Donaumoos Karte 1804-1805 CC BY-NC-ND

 

„Eine unvergängliche Wohlthat“ – so beschrieb der kurbayerische Geheime Kabinettssekretär Stephan von Stengel 1791 das von ihm maßgeblich vorangetriebene Projekt, das Donaumoos bei Neuburg an der Donau trockenzulegen. In den letzten Jahren tendiert man aus Gründen des Arten- und des Klimaschutzes eher dazu, Moore so weit wie möglich zu renaturieren, also in den Zustand vor der Trockenlegung zurückzuversetzen. Auch im Donaumoos werden derartige Pilotprojekte durchgeführt.
Das Projekt „Why to drain an inland wetland? Revisiting German-language Economic Enlightenment discourses“ untersucht u.a., wie es dazu kommen konnte, dass vom 18. Jahrhundert an zahlreiche Feuchtgebiete trockengelegt wurden.

Maßgeblich war nicht zuletzt die Ökonomische Aufklärungsbewegung, die u.a. eine Erhöhung landwirtschaftlicher Erträge anstrebte. Auf der Natur abgerungenem „Neuland“ sollte Ackerbau betrieben werden, um die vorhandenen Flächen „optimal“ zu nutzen. Allerdings war den Initiatoren Projekts der Nährstoffmangel der Böden nicht bekannt. Was Stephan von Stengel als „Wohltat“ bezeichnet hatte, verdammte die auf dem „gewonnenen“ Land angesiedelten Menschen auf lange Zeit zu großer Armut. Erst die (im Moos erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte) Einführung des Kunstdüngers brachte hier Verbesserungen. Viele andere Probleme (u.a. durch Abbau und Absacken des Torfbodens) blieben. Dennoch beurteilte die Geschichtsschreibung die Trockenlegungen lange als Erfolg.
Das Projekt erweitert die Geschichtsschreibung über die „Melioration“ von Mooren um innovative Perspektiven: Es analysiert den bisher von der Forschung vernachlässigten zeitgenössischen Diskurs über Feuchtgebiete im 18. Jahrhundert auf der Grundlage eines umfangreichen Quellenkorpus. Dieses umfasst in breitem Umfang Archivbestände und stützt sich u.a. auf eine Datenbank, die über 10.000 Publikationen des 18. Jahrhunderts zur „Ökonomie“ verzeichnet und auswertet. Anders als weite Teile der bisherigen Forschung geht das Projekt nicht unhinterfragt von der Setzung aus, die Trockenlegungen seien Kulturleistungen des unter Federführung des Staates vorangetriebenen Landesausbaus und damit Meilensteine auf dem Weg in die „Moderne“ gewesen. Stattdessen werden die (durchaus lückenhaften und widersprüchlichen) Deutungen, Wissens- und Zukunftshorizonte der beteiligten Akteure in den Mittelpunkt der Untersuchung gerückt.
Diese Horizonte werden im Sinne des Gesamtprojekts „Thinking with Wetlands“ mitgedacht. Über welches Wissen Agrarexperten des 18. Jahrhunderts verfügten, woher es stammte und wie es sich verbreitete wird ebenso untersucht wie die Frage, inwiefern und weshalb es sich vom lokalen, praktischen Wissen der das Moor seit Jahrhunderten extensiv nutzenden Anwohner unterschied. Für die Akteure des 18. Jahrhunderts stellten die Meliorationsprojekte den logischen nächsten Schritt in eine durch rationale Naturbeherrschung geprägte Zukunft dar, in der unendlicher Fortschritt möglich schien. Die Frage, ob (und wenn ja: wie) derartige Erwartungshorizonte angesichts ihnen widersprechender Erfahrungen angepasst wurden, bildet einen weiteren Fokus des Forschungsprojekts – eine Frage, die sich auch im Hinblick auf den Umgang gegenwärtiger Gesellschaften mit den ökologischen Folgen ihrer wachstums- und fortschrittsorientierten Politik stellt.
Feuchtgebiete werden im Zuge der Renaturierung wieder extensiv, beispielsweise als Viehweide, genutzt, wie schon vor den Trockenlegungen des 18. Jahrhunderts. „Kulturleistungen“ der letzten 200 Jahre werden somit infrage gestellt und revidiert. Am Beispiel des Umgangs mit Feuchtgebieten wird somit deutlich, dass vorrangig an technischer Machbarkeit orientiertes Expertenwissen als Grundlage von Zukunftsentscheidungen offenbar nicht ausreicht. Umso wichtiger erscheint es, bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen, dass sie auf Fehleinschätzungen beruhen könnten und dementsprechend revidierbar sein sollten.

David Gottfried / Lothar Schilling

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Geschichte der Frühen Neuzeit

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