INspiRE Jean-Monnet-Centre of Excellence - Case Law: Geltl/Daimler/Schrempp-Case
Geltl/Daimler/Schrempp-Rechsprechung
Der prominente Fall zum Rücktritt des früheren Daimler-Chefs Schrempp kreist um die Frage, ab wann sich Informationen zu einer Insiderinformation nach § 13 WpHG a.F. verdichten und damit die Pflicht zur Ad-Hoc Publizität nach § 15 WpHG a.F. auslösten.
Ein Musterkläger klagte gegen die Daimler AG im Rahmen eines Kapitalmarktmusterfeststellungsverfahrens (KapMuG). Er begehrte insbesondere Schadensersatz infolge einer mutmaßlich zu späten Veröffentlichung von Insiderinformationen.
Der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG (Schrempp) trug sich im Zeitraum zwischen Mai und Juli des Jahres 2005 mit dem Gedanken vorzeitig aus dem Vorstand auszuscheiden. Darüber erlangten verschiedene Personen in seinem beruflichen Umfeld, insbesondere andere Aufsichtsratsmitglieder, zu unterschiedlichen Zeitpunkten Kenntnis.
Das OLG Stuttgart (Musterentscheid v. 22.4.2009, 20 Kap 1/08, DE:OLGSTUT:2009:0422.20KAP1.08.0A) entschied, dass es für die Frage, wann bei einem solchen gestreckten, auf ein künftiges Ereignis zielenden Geschehensablauf eine Insiderinformation vorliegt, auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des künftigen angestrebten Ereignisses ankomme. Es sei nicht auf die vorgelagerten Einzelstufen des Entscheidungs- und Vorbereitungsprozesses abzustellen. Mithin sei eine Insiderinformation erst Ende Juli, mit Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats am Vorabend der Aufsichtsratssitzung, die über das vorzeitige Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden entscheiden sollte, entstanden.
Der BGH legte dem EuGH daraufhin die Frage vor, ob bei der Auslegung von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22.12.2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insiderinformationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation, bei einem zeitlich gestreckten Vorgang auch Zwischenschritte, die bereits existieren oder eingetreten sind und die mit der Verwirklichung des künftigen Umstands oder Ereignisses verknüpft sind, präzise Informationen im Sinne der genannten Richtlinienbestimmungen sein können.
Der EuGH entschied (Urt. 28.6.2012, C-19/11, EU:C:2012:397), dass die genannten Richtlinien dahin auszulegen sind, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser Umstand oder dieses Ereignis präzise Informationen im Sinne der genannten Bestimmungen sein können, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte dieses Vorgangs.
Entsprechend beschloss der BGH die Aufhebung des Urteils des OLG Stuttgart und Zurückweisung der Streitsache an das OLG. Der BGH stelle klar, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang nicht nur der am Ende der Entwicklung stehende Umstand oder das Ereignis, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder des Ereignisses verknüpften Zwischenschritte eine Insiderinformation sein können. Im Fall Schrempp könnte der Tatbestand der Insiderinformation also bereits weit vor der Sitzung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrates erfüllt gewesen sein. Eine abschließende gerichtliche Entscheidung gibt es in diesem Verfahren allerdings nicht, da sich die Parteien schlussendlich auf einen Vergleich einigten.
Eine gesetzgeberische Klarstellung zur Einordnung zeitlich gestreckter Sachverhalte, etwa in Form einer Änderung des § 13 WpHG a.F. fand auf nationaler Ebene nicht statt. Mittlerweile stellt Art. 7 Abs. 3 MAR (Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung), als unmittelbar geltende europäische Verordnung klar, dass Zwischenschritte Insiderinformationen sein können.
Zur Geltl/Daimler/Schrempp-Entscheidung vergleiche auch Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl., München 2019, § 7 Rn. 42 f. Allgemein zur Methodik des Europarechts siehe Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. München, 2019, § 12.
Urteile
BGH, Beschl. v. 23.4.2013, II ZB 7/09 – Geltl/Daimler/Schrempp = NZG 2013, 708–713; AG 2013, 518–522; NJW 2013, 2114–2119; ZIP 2013, 1165–1170; DB 2013, 1350–1355; BB 2013, 1483–1488; WM 2013, 1171–1177; DStR 2013, 1613–1618; MDR 2013, 918–919; ZBB 2013, 260–265
EuGH, Urt. v. 28.6.2012, C-19/11, EU:C:2012:397 – Markus Geltl gegen Daimler AG