Das Weltkabelnetz im Jahr 1870
Mit der erfolgreichen Verlegung von Interkontinentalkabeln trat die Geschichte der Telekommunikation in eine neue Phase. Die Verlegung von Überseekabeln war seit Mitte der 1860er Jahre prinzipiell möglich. Die Transferzeiten (weitere Karte) von Nachrichten reduzierten sich gegenüber den konventionellen Übertragungsgeschwindigkeiten auf minimale Zeiteinheiten von Stunden und Minuten.
Die ersten Erfolge bei der Verlegung von Seekabeln hatte man bereits seit Beginn der 1850er Jahre erzielt und zwar zunächst auf kurzen Entfernungen, wie z.B. dem Ärmelkanal (1851), an Küsten entlang oder zwischen Inseln. Seit dieser Zeit engagierte man sich auch in Vorhaben zur Überbrückung interkontinentaler Distanzen. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts schlossen interkontinentale Kabelverbindungen die wichtigsten Plätze der Welt immer mehr in einem Netz zusammen, das im Jahre 1902 erstmals den Globus vollständig umspannte.
Die führende Rolle beim Aufbau des Telegraphenweltnetzes spielten britische Telegraphengesellschaften, und London entwickelte sich zum Zentrum des Weltnachrichtenverkehrs. Auf den Haupttransferrouten des Weltverkehrs ermöglichten Mehrfachkapazitäten eine zunehmend effizientere Bewältigung des Massenbedarfs vor allem der international agierenden Wirtschaft.
Kabelprojekte im Mittelmeer, die auf eine kommunikationstechnische Anbindung Indiens gerichtet waren, und die Herstellung eines nordatlantischen Telegraphenkabels gelangen erst später. Seit der zweiten Hälfte der 1860er Jahre konnten nach zahlreichen Rückschlägen und der Überwindung technischer Probleme erste große Durchbrüche erzielt werden.
Man baute nicht nur die Hauptrouten des Weltverkehrs mit Mehrfachkapazitäten aus, sondern band auch neue Räume in das Netz eingebunden (vgl. das Weltkabelnetz im Jahre 1870, 1880, 1890, 1902 und 1914), wobei sich die durchweg von Privatgesellschaften realisierten Kabelprojekte im Wesentlichen an der weltwirtschaftlichen Relevanz der angebundenen Räume orientierten.
Dementsprechend folgte der Kabelverlegung im Nordatlantik und nach Indien die Anbindung Chinas, Japans, Australiens und Südamerikas. Afrika wurde erst in den 1880er Jahren vernetzt. Zuletzt wurde der Pazifik am Beginn des 20. Jahrhunderts mit zwei Kabelverbindungen durchquert, wodurch eine direkte Verbindung zwischen Nordamerika mit Südostasien und Australien hergestellt wurde.
Das Welttelegraphennetz, das vor dem Ersten Weltkrieg entstanden ist, war kein Internet (vgl. Server-Klient-Beziehung in dezentralem Netzwerk). Somit besteht auch keine direkte Kontinuität zwischen jenem Welttelegraphennetz und den Kommunikationsnetzwerken der Gegenwart; allenfalls kann man partielle Parallelen im Rahmen einer übergreifenden Kontinuität der Telekommunikationsgeschichte der letzten 200 Jahre benennen, wobei man jedoch den fundamentalen medientechnischen Fortschritt im 20. Jahrhundert wie auch die komplexe Wechselwirkung zwischen Medientechnik und Gesellschaft berücksichtigen muss.
Das Weltkabelnetz im Jahr 1870
Das Jahr 1870 markiert einen wichtigen Zeitpunkt in der Geschichte der interkontinentalen Telekommunikation. Erste Telegraphenkabel wurden bis dahin erfolgreich auf den wichtigsten Routen des Weltverkehrs realisiert. Die noch bestehenden technischen Schwächen schienen grundsätzlich überwindbar zu sein. Die interkontinental operierende Wirtschaft hatte die neuen Medien für ihre Zwecke entdeckt. Der Aufbau eines Weltnetzes konnte beginnen.
Seit Anfang der 1850er Jahre verlegte man Seekabel auf kurzen Distanzen, zwischen Inseln und entlang von Küsten. 1866 war es nach mehreren Anläufen gelungen, erste, dauerhafte Leitungen zwischen Europa und den USA zu verlegen. Hinzu kamen zahlreiche Kabel im Raum von Nord- und Ostsee sowie im Mittelmeerraum. Seit 1865 bestand eine erste, wenn auch technisch mangelhafte Transkontinentalverbindung zwischen England und Indien ("Türkenlinie").
Bis 1870 standen im Nordatlantik drei Kabelverbindungen zur Verfügung, zwei britische und ein französisches. Der Bedarf nach weiteren Kapazitäten war groß, trotz der hohen Telegrammgebühren und der Beförderung von lediglich wenigen Hundert Telegrammen täglich. Die interkontinental operierende Wirtschaft adaptierte das neue Medium für ihre Zwecke.
Probleme machten bis dahin die Kabelverlegung auf der Seeroute nach Indien. Vor 1870 waren mehrere Versuche, Seekabel im Mittelmeer und im Arabischen Meer zu verlegen, gescheitert. Eine erste transkontinentale Kabelverbindung über das osmanische Reich ("Türkenlinie") blieb mit ihren geringen Leistungen hinter den hohen Erwartungen der Öffentlichkeit zurück. Die entscheidenden Forschritte gelangen 1870. Verbesserte Kabel, die auf die meeresgeographischen Besonderheiten des Roten- und Arabischen Meeres abgestimmt waren, ermöglichten die erfolgreiche Inbetriebnahme einer Seekabelverbindung zwischen Europa und Indien durch die Eastern Telegraph Company. Ein Transkontinentalkabel der Indo European Telegraph Company ("Siemens-Linie") konnte ebenfalls erfolgreich in Dienst gestellt werden.
Die Ausdehnung in den hinterindischen Raum reichte 1870 bis nach Singapur. Bis 1870 konnten auch Kabel im westindischen Raum in Betrieb genommen werden, die eine Anbindung an die US-amerikanischen Binnennetze besaßen (Binnennetze der USA nicht in der Karte dargestellt).
Ein weiteres Großprojekt, das Kabel der Großen Nordischen Telegraphengesellschaft, war nach Wladiwostok gelegt worden und nahm ebenfalls 1870 den Betrieb auf. Die ursprüngliche Absicht dieses Projekts, eine Verbindung zwischen Europa und Nordamerika über die Behringstraße zu führen, war 1866 mit der Kunde von der erfolgreichen Inbetriebnahme des ersten Atlantikkabels eingestellt worden. Von Wladiwostok aus sollte dieses Kabel in der folgenden Zeit eine wichtige Rolle für den Telegrammverkehr zwischen Europa und Ostasiens spielen.
Der Südamerikanische Raum, Australien und der afrikanische Kontinent (abgesehen vom Mittelmeerraum) waren telekommunikationstechnisch noch nicht an Europa angebunden.
Bis 1870 zeigen sich charakteristische Muster der voranschreitenden Weltvernetzung: Ein Verfahren um die Konzessionierung zur Anlandung von Kabeln an den Küsten der jeweiligen Staaten hatte sich herausgebildet und wurde von den Telegraphengesellschaften praktiziert. Die Initiative privater Telegraphengesellschaften, die sich bis 1870 bewährt hatte, sollte sich dauerhaft etablieren und zur Routine werden. Das Weltkabelnetz wurde von privaten Gesellschaften realisiert und betrieben.
Die britischen Gesellschaften nahmen seit Beginn der Seekabelverlegung eine führende Rolle ein. Großbritannien war von Beginn an die führende Seekabelmacht.
Zeitgleich gab es wichtige Durchbrüche im Weltgüterverkehr. Der Suezkanal (eröffnet 1869) ermöglichte einen effektiven Seeweg in den indischen Ozean über das Mittelmeer. Der Weltgüterverkehr konnte durch die Ausbreitung der Dampfschiffahrt mit wachsender Effizienz realisiert werden.
Literaturhinweise:
- Barthy-King, Hugh: Girdle Round the Earth. The Story of Cable and Wireless and its predecessors to mark the group's jubilee 1929-1979, London 1979.
- Neutsch, Cornelius: Erste "Nervenstränge des Erdballs": Interkontinentale Seekabelverbindungen vor dem Ersten Weltkrieg, in: Teuteberg, Hans-Jürgen/ Neutsch, Cornelius (Hrsg.) Vom Flügeltelegraphen zum Internet. Geschichte der modernen Telekommunikation, Stuttgart 1998, 47-66.
- Röper, August: Unterseekabel, Leipzig 1910.
- Roscher, Max: Die Kabel des Weltverkehrs hauptsächlich in volkswirtschaftlicher Hinsicht, Berlin 1911.
- Wobring, Michael: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert. Pläne, Projekte und Kapazitätsausbauten zwischen Wirtschaft und Politik. Frankfurt/M 2005.