Augsburger Rathaus
Augsburger Rathaus (Foto: Stefan Schweihofer) CC BY-NC-ND
Korinth Apollontempel
Korinth Apollontempel © Universität Augsburg
Schedelche Weltchronik
Schedelche Weltchronik CC BY-NC-SA 4.0
Stadtansicht Augsburg um 1550, Blick auf Perlachturm im Hintergrund, im Vordergrund simultane Darstellung jahreszeitentypischen Markttreibens im Vordergrund
Marktgeschehen auf dem Augsburger Perlachplatz: Jahreszeitenbild Oktober bis Dezember, Heinrich Vogtherr d. J. (?), um 1540; Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Inv. Nr. 9330
Robert Koehler: "Der Streik"
Robert Koehler: "Der Streik" Public Domain
Martin Luther King Jr.
Martin Luther King Jr. © Universität Augsburg
Der Fall der Berliner Mauer 1989
CC BY-SA 3.0

 

 

 

 

Richard Greiner ist 1. Bürgermeister der Stadt Neusäß

 

 

Wie sind Sie zum Fach Geschichte gekommen?

Porträtfoto © Marcus Merk

Ich hatte einen guten Geschichtslehrer! Jemand, der den Dingen wirklich auf den Grund gegangen ist, die Fähigkeit zur ‘Immersion’ in die Epoche hatte, die Leidenschaft fürs Detail. Er hat das Fach Geschichte wirklich mit Leben gefüllt, nicht nur mit Zahlen.

 

Prägend war auch mein Lebensumfeld; aufgewachsen bin ich in der ältesten Stadt Tirols, in Brixen. Hier wie auch später in Augsburg ‘atmet’ man förmlich die Geschichte, v.a. auf architektonischer Ebene.

 

Mit meinen Eltern habe ich viele Reisen v.a. nach Italien unternommen. Die Identität der Städte und Regionen ist hier sehr ausgeprägt, hat viel mit lokaler Geschichte zu tun (‘Campanilismo’). Wenn man sich mit einem ‘Fiorentino d.o.c.’ unterhält, erzählt er gern die Geschichte seiner Stadt und seiner Vorfahren, oft bis in die ‘Göttliche Komödie’ zurück. Das hat mir imponiert. Als ich mit 16 Jahren Umberto Ecos Buch ‘Der Name der Rose’ gelesen habe, das damals neu erschienen war und für Furore sorgte, hat mich die Faszination für die Kultur des Mittelalters erfasst.

 

In der 10. Klasse war ich mit einem Klassenkamerad 14 Tage bei archäologischen Ausgrabungen zu Keltengräbern in unserer Partnerstadt Bourges; dazu die abendlichen Gespräche im Camp mit dem Grabungsleiter – mich hat das so beeindruckt, dass ich anschließend mit dem Rad noch nach Paray-le-Monial, Vézelay und Cluny weiter gefahren bin. Natürlich habe ich als Abiturfach Geschichte gewählt und meine Facharbeit dann über den italienischen Faschismus geschrieben. Recherche, Archivbesuche, Zeitzeugeninterviews, z.T. auch in der Fremdsprache, haben mir Spaß gemacht.

Welche Qualifizierungen und Initiativen während des Studiums waren wichtig für die spätere Berufswahl?

Impetus für die Berufswahl des Geschichtslehrers waren sicherlich die beschriebenen Erlebnisse. Dazu kam als zusätzliche Motivation das Miterleben des Mauerfalls und des Wiedervereinigungsprozesses 1989/90. Wir durften hier live weltgeschichtliche Ereignisse erleben.

Wer Geschichte studiert, lernt viel über andere Länder, Kulturen und Arbeitsfelder. Geschichte studieren heißt also, Türen zur Welt aufzustoßen, ein vertieftes Verständnis für andere Lebenswirklichkeiten zu entwickeln, abstrahieren, auch einmal den ‘Blick des Gegenübers’ einnehmen zu können.

Mit diesen Kenntnissen und Kompetenzen kann man mit einem Geschichtsabschluss mehr als nur Geschichte betreiben – unter der Voraussetzung, dass man willens und fähig ist, sich rasch zusätzliche Kompetenzen anzueignen, die für ein spezielles Berufsbild bzw. eine bestimmte Tätigkeit notwendig sind.

Wie sind Sie zu dieser Tätigkeit gekommen?

Ich habe beide Staatsexamina abgelegt, um Lehrer am Gymnasium zu werden. Als Fächerkombination habe ich entsprechend meiner Interessen Geschichte, Deutsch, Italienisch und Sozialkunde gewählt und 12 Jahre sehr gerne an verschiedenen Gymnasien in München und Augsburg unterrichtet. Die Arbeit als Fachschaftsleiter hat mir viel Gestaltungsfreude bereitet.

 

Zeitgleich habe ich mich lokal im Kulturleben engagiert. Die Aufarbeitung der Geschichte der Kapelle St. Ägidius in Neusäß, deren Grundmauern im 16. Jh. angelegt wurden, und die Mitarbeit an der Restaurierung des Baudenkmals 1993 brachten mich mit der Ortspfarrei, den Mitarbeitern der Stadtverwaltung, dem Landesdenkmalamt und Stadträten in Kontakt. Als Mitglied der Kirchenverwaltung habe ich Förderanträge betreut und später auch an der Erweiterung des Kindergartens mitgewirkt. Dabei hatte ich immer Gespräche mit der Stadt und Stadträten bzgl. der Zuschussanträge. Aus diesem Kontext heraus wurde ich irgendwann einmal von mehreren Parteien eingeladen, mich auch in der Lokalpolitik zu engagieren. Nach einer gewissen ‘Schnupperzeit’ in mehreren Ortsverbänden entschied ich mich letztlich zur Mitgliedschaft in der CSU.

 

Hier wurde ich vom damaligen Ortsvorsitzenden gefördert und durfte 2008 auf einem guten Listenplatz für den Stadtrat kandidieren, wurde gewählt und gleich stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Das Mitgestalten am eigenen Heimatort, der direkte Bezug zu den Menschen, Vereinen, Institutionen, die – im Unterschied zur Arbeit der politischen Mandatsträger in den von der Lebenswirklichkeit der Menschen manchmal doch sehr weit „entfernen“ Parlamenten – vor Ort unmittelbar sichtbaren Auswirkungen der eigenen politischen Entscheidungen machen den Reiz der kommunalpolitischen Arbeit aus. Kommunalpolitische Arbeit vermittelt vor diesem Hintergrund Sinnstiftung.

 

Mir wurde klar: in der Politik kann ich Zeitgeschichte gestalten. Wichtig ist für mich dabei, den Kontext der Geschichte nicht aus den Augen zu verlieren. Ein Credo dazu lautet „Nie mehr Krieg!“ Das sollten wir alle aus der Geschichte gelernt haben. Im praktischen Handeln bedeutet das: Aufmerksam das Geschehen beobachten, künftige Entwicklungen antizipieren, sehr viel kommunizieren, Probleme identifizieren und benennen, den fairen Interessenausgleich suchen, Kompromisse ausbalancieren, den gesellschaftlichen Frieden im Auge haben…

 

2008 wurde ich vom Stadtrat zum 2. Bürgermeister der Stadt Neusäß gewählt. Zur Kommunalwahl 2014 nominierte mich meine Partei dann als Kandidaten für das Bürgermeisteramt in Neusäß. Ich wurde gewählt und 2020 wiedergewählt.

 

Ich gehe mit einer großen Aufgeschlossenheit, die mir das Geschichtsstudium vermittelt hat, Themen an. Dazu gehört auch immer zu versuchen, Verständnis für andere aufzubringen, Empathie, Integrationsfähigkeit, um alle Menschen ‘mitzunehmen’. Das geht leichter mit Kenntnissen über den eigenen Ort, das Umfeld, in dem ich mich bewege und handle, über die eigene Geschichte. Bei der Vorbereitung der Diskussion von Tagesordnungspunkten geht es darum, den jeweiligen Sachverhalt ganzheitlich aufzuarbeiten, den Dingen auf den Grund zu gehen, ggf. Faktenwissen von Experten beizuholen und anschließend im Entscheidungsprozess auch diplomatisch zu sein. Diese ‘soft skills’ habe ich im Studium schulen können und setze sie jetzt in meinem Arbeitsumfeld ständig ein.

 

 

Spatenstich Kindertageseinrichtung Steppach 01.06.17 © Richard Greiner

Worin besteht genau Ihre Aufgabe im Beruf? Wie sieht der konkrete Arbeitsalltag aus?

Ein Bürgermeister hat viele verschiedene Aufgaben wahrzunehmen. Er hat sowohl administrative als auch repräsentative und politische Aufgaben. Er koordiniert die Stadtverwaltung und ihre Ämter. Er ist Vorsitzender und stimmberechtigtes Mitglied des Stadtrats.

 

Der Arbeitstag ist eng getaktet, beginnt in der Regel kurz vor 8 Uhr morgens und endet meist spät am Abend. In enger Folge finden Abstimmungsgespräche mit Mitarbeitern statt, schließlich erwarten diese rund 20 Entscheidungen pro Tag von ihrem Bürgermeister bzw. Dienstvorgesetzten. Ca. einmal im Monat sind Gesprächstermine in Ministerien in München zu absolvieren.

Montag, Dienstag, Donnerstag sind im Stadtrat Neusäß Sitzungstage, mittwochs finden Unternehmensbesuche, Bürgerversammlungen, Sprechstunden und oft kulturelle Veranstaltungen statt. An diesem Tag treten auch regelmäßig die Gremien von städtischen Beteiligungen wie Zweckverbänden oder Erlebnisbad zusammen.

 

Der Freitagabend ist meistens dem Besuch von Vereinsversammlungen und ähnlichen Terminen vorbehalten, am Samstag finden Jubiläen, Sportwettbewerbe und Veranstaltungen der Sportvereine statt. Am Sonntag wird die Anwesenheit des Bürgermeisters bei festlichen Anlässen der Pfarreien, Vereinsjubiläen, Theater- oder Musikdarbietungen örtlicher Ensembles gefordert.

Soweit das Tagesgeschäft. Sehr spannend und herausfordernd sind darüber hinaus Momente, in denen aktives Krisenmanagement gefordert ist, z. B. die Leitung des Krisenstabs bei einem Katastrophenfall wie dem jüngsten Hochwasserereignis.

 

Im Alltag bedeutet dies oft: Strategien für die Stadtentwicklung zu erarbeiten und für die jeweiligen Prozesse die Öffentlichkeit gewinnen. Ausschuss- und Stadtratssitzungen vorbereiten und die notwendige Priorisierung der Themen vornehmen.

Erkenntnisse zu Papier zu bringen, das Entstehen, Werden, Enden von Prozessen zu durchleuchten, ein Gespür für Ursache-Wirkung zu entwickeln und eine emotionslose Haltung („sine ira et studio“) zu den Themen zu entwickeln. Auch eine zielgruppengerechte Konversation ist wichtig.

Ein öffentliches Gemeinwesen muss funktionieren, natürlich auch haushalterisch. Finanzpolitische Kompetenzen sind hier unabdingbar; aber man kann es nicht (nur) wie eine „Firma“ führen – es braucht Gespür für die Bedürfnisse einer Stadt, Kenntnis der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, ortshistorische Kenntnis, das Austarieren von Ansprüchen, das Moderieren von Entwicklungsprozessen und Planungen und vieles andere mehr. Hier habe ich natürlich sehr von den Anforderungen meines Studiums profitiert.

 

Für ein Bürgermeisteramt ist es natürlich hilfreich, wenn man Jura oder BWL studiert hat. Aber: Das sind eher ‘technische, managementorientierte Ausbildungen; nicht selten ist zu beobachten, dass Manager und Unternehmer ihre eigene Firma kennen, vielleicht auch ihr Business – aber es fehlt ihnen an ‘Komplettheit’, am Überblick, am Allgemeinwissen und dem Gespür, welche gesellschaftlichen Auswirkungen manche Entscheidung haben kann, kurz: an Allrounderqualitäten, die sehr wesentlich für das Unternehmertum sind, in einem geisteswissenschaftlichen Studiengang aber mehr geschult werden als in den betriebswirtschaftlichen Disziplinen.

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