Der Kibbuz von Mevo Hama und die Kibbuzbewegung

Beitrag von Sabrina Haske

 

„Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.“
Mit diesen Worten leitet Theodor Herzl seinen utopischen Roman „Altneuland“ ein. Darin stellt er erste Vorstellungen zu einer genossenschaftlich orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsform vor, welche später im Kibbuz verwirklicht werden sollte. Der Kibbuz (hebräisch: Versammlung) stellt eine Gemeinschaft dar, welche landwirtschaftlich geprägt und nach sozialistischen Prinzipien ausgerichtet ist.

 

Zionismus

 

Abb. 1: Bemalte Hauswand in Tel Aviv.         

                                                                                

Ein wichtiger Wegbereiter für die Entwicklung der Kibbuzbewegung war der Zionismus. Mit dem zunehmenden Antisemitismus im 19. Jahrhundert, entstand das Bedürfnis nach einer neuen jüdischen Identität und der Wunsch nach einer neuen Heimat. Theodor Herzl legte mit seiner Schrift „Der Judenstaat“ und der Organisation des ersten Zionistenkongresses (1897) einen wichtigen Grundstein für die spätere Kibbuzbewegung. Der Zionismus war keine einheitliche Strömung, sondern geprägt von zahlreichen Abspaltungen, unter anderem dem politischen oder dem Kulturzionismus.

 

Für die Kibbuzbewegung war vor allem der sozialistische Zionismus ausschlaggebend. Dieser wurde vorrangig in Gebieten Osteuropas und Russlands vertreten. Hierbei spielte vor allem das große Interesse an der jüdischen Kultur eine wichtige Rolle. Die Synthese aus dem sozialistischen Zionismus und dem Kulturzionismus sowie dem praktischen Siedlungszionismus bildete die Motivationsgrundlage der späteren Kibbuzbewegung.

 

Von der Kvutza zum Kibbuzim

Mit den ersten Einwanderungswellen (Alija) kamen die ersten sozialistischen Chaluzim, unter welchen auch die Gründer der ersten Kvutza, der Vorform des Kibbuz, Degania (Kornblume) waren. Dies stellte den Beginn der Kibbuzgründungen dar. Die Chaluzim gehörten jüdischen Jugendorganisationen an, welche unter dem Dachverband Hechaluz organisiert waren. Eine dieser Jugendorganisationen, Hashomer Hatzair, existiert bis heute. 

                                                                

Ziel dieser Organisationen war die Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina. Dies wurde vor allem in der Hachschara verwirklicht. Die Hachschara führte eine systematische Vorbereitung auf die Einwanderung und ein Leben im Kibbuz durch. Dafür wurden Kurse organisiert, welche auf den Aufbau eines Gemeinwesens vorbereiten und die jüdische Identität der Teilnehmer stärken sollten.  

 

Der Kibbuz spielte vor allem in der anfänglichen Kooperation der Einwanderer zur Existenzsicherung eine wichtige Rolle. Die Idee der Kollektivierung und der Urbarmachung größerer Bodenflächen für die Versorgung der Bewohner konnte vor allem durch die Gründung des Verbandes Kibbuz Hameuchad (Geeinter Kibbuz) verwirklicht werden.

 

Ab den Dreißigern kam es zu einem Aufschwung in der Gründung einzelner Kibbuzim. Bis zum Jahr 1947 stieg die Zahl der Kibbuzim beinahe auf den heutigen Stand. Diese Entwicklung erfüllte wichtige Funktionen für die spätere Gründung des Staates Israels. Sie war eine effektive Organisationsform für neu ankommende Siedler und bildete zudem eine Siedlungsstruktur in abgelegenen Gebieten und zugleich wichtige militärische Stützpunkte.

 

 

Grundzüge des Kibbuz

Die Kibbuzgemeinschaft ist eine Genossenschaft auf freiwilliger Basis. Es gibt ein gemeinsames Eigentum, eine gemeinsame Produktion von Gütern und Nahrungsmitteln, gemeinsame Arbeit und geteilte Einrichtungen der Lebenserhaltung. Der Kibbuz ist nach dem Prinzip „Von jedem das, was er leisten kann, von jedem das, was er braucht“ (Darin-Drabkin, Der Kibbuz, S. 79) ausgerichtet. Alle Arbeiten und wichtigen Ämter werden mittels Rotationsprinzip besetzt, um die Demokratie und Gleichberechtigung zu gewährleisten.                                                                            

 

Die Kinder werden getrennt von den Eltern erzogen. Sie durchlaufen dabei verschiedene Einrichtungen von der Kinderkrippe bis zur Sekundarschule. Für den Aufbau einer Eltern-Kind-Beziehung wird ein täglicher Besuch des Kindes durch die Eltern sichergestellt. Die Kinder werden von Anfang an polytechnisch erzogen. Aufgrund von staatlichem Druck sind in einigen Kibbuzim Lehrpläne eingeführt worden, welche es den Kindern ermöglicht, das Abitur abzulegen und anschließend zu studieren. Die Erziehung der Kinder übernehmen zwar meist Frauen, aber grundsätzlich herrscht im Kibbuz völlige Gleichstellung von Mann und Frau.

 

Durch die Funktion als sozio-ökonomischer Organismus müssen im Kibbuz viele Dinge geplant und organisiert werden. Dabei geht es vor allem um die Planung der Verbrauchsgüter, die dafür notwenige Arbeit der Bewohner, aber auch die Bereitstellung von kulturellen Programmen, sowie die Organisation der Erziehung. Im Kibbuz gibt es vier Kategorien der Verwaltungseinrichtung: die allgemeine Mitgliederversammlung, das Sekretariat, die Ausschüsse und der Zirkel der Facharbeiter.

 

Die Kibbuzim sind seit 1963 im Dachverband der Förderation der Kibbuzbewegung organisiert. Diese wurde als Zusammenschluss der verschiedenen Kibbuzbewegungen gegründet. Die Aufgabe des Dachverbandes besteht vor allem in der Vertretung aller Kibbuzim und der Organisation gemeinsamer Aktivitäten.

 

 

Mevo Hama

Der Kibbuz von Mevo Hama liegt in den von Israel besetzten Golanhöhen. Er wurde 1968 von den Bewohnern der umliegenden Kibbuzim Ein Gev und Ha On gegründet. Mevo Hama wurde auf der ehemaligen   syrischen Militärstützbasis Emrit Ez Edeen errichtet. Von dieser wurde im Rahmen des Sechs-Tage-Krieges 1967, von syrischer Seite auf die umliegenden Kibbuzim geschossen. Den Namen erhielt Mevo Hama durch die nahegelegenen heißen Quellen Hamat Gader, welche dank des Tourismus eine wichtige wirtschaftliche Einnahmequelle darstellen.

 

Abb. 2: Sonnenuntergang im Kibbuz Mevo Hama.

 

 

Der Kibbuz heute

Heute existieren ca. 268 Kibbuzim in Israel. Auch wenn es zur Zeit der Staatsgründung Israels 1948 zu zahlreichen Neugründungen kam, steht der Kibbuz vor zunehmenden Problematiken. Die Größte ist dabei die zunehmende Überalterung, da die jungen Leute meist durch die Abnahme wirtschaftlicher Attraktivität aus den Kibbuzim ausziehen. Durch ökonomische Probleme kam es in einigen Kibbuzim zu grundlegenden Veränderungen.  Diese zeichneten sich durch eine zunehmende Privatisierung sowie einer Differenzierung der Gehälter aus. Die Reformen führten zu einer ideologischen Krise, aus Angst die Kibbuzim würden sich zu dörflichen Ansiedlungen entwickeln und von ihren Prinzipien abweichen. Seitdem werden die Kibbuzim in verschiedene Kategorien unterteilt: Kollektiver Kibbuz, Stadt Kibbuz, sich erneuernder Kibbuz und Kibbuz der Verbindung.

 

 

Literatur

  • Becker, Claus Stefan (Hrsg.): Kibbuz, Moschaw und Freiwilligendienste- Israel, 1997 Freiburg.
  • Darin-Drabkin, H. (Hrsg.): Der Kibbuz. Die neue Gesellschaft Israel, Stuttgart 1967.                                                                                           
  • Fölling-Albers, Maria/ Fölling, Werner (Hrsg.): Kibbutz und die Kollektiverziehung. Entstehung-Entwicklung-Veränderung, Opladen S.2000.
  • Hagemann, Steffen (Hrsg.): Israel. Wissen, was stimmt, Wiesbaden 2011.
  • Melze, Wolfgang/ Neubauer, Georg (Hrsg.): Der Kibbutz als Utopie. Mit einem Nachwort von Ludwig Liegle, Beltz 1988.

 

 

Abbildungen

Abb. 1 und 2: © Sabrina Haske, 2018.

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