Jüdische Orte in Czernowitz: Jüdischer Friedhof, Synagogen, Jüdisches Volkshaus und Museum

Beitrag und Fotos von Luisa Hagen

 

Czernowitz wurde stark geprägt von der ehemals großen jüdischen Gemeinde. Auch wenn die Spuren zum Teil verblasst, zerstört, überlagert oder vergessen wurden, so lässt sich die jüdische Stadtgeschichte und das gegenwärtige jüdische Leben doch an zahlreichen Orten (wieder)entdecken und erfahrbar machen. Auf ein paar prominente Beispiele wird im Folgenden eingegangen.

 

 

Jüdischer Friedhof

Der jüdische Friedhof in Czernowitz wurde 1866 an der heutigen Zelenastraße errichtet. Dieser verfügt über eine Fläche von 14,2 Hektar und über circa 50.000 Gräber, womit er zu den größten jüdischen Friedhöfen in Europa gehört.

 

 

© Universität Augsburg

 

Die Sepulkralarchitektur lässt sich der Gründerzeit zuordnen. Die Stadt Czernowitz verfügte über ein von Heterogenität geprägtes Judentum, welches sich einem orientalischen Stil zuwandte, da er für die Originalität jüdischer Kultur stand. Vor allem an Gräbern in der Nähe der Zeremonienhalle lässt sich dies erkennen.

 

Es lassen sich Grabinschriften in verschiedenen Sprachen – auf Deutsch, Hebräisch, Jiddisch, Russisch und Ukrainisch – vorfinden. Die Grabmäler zeichnet eine individuelle, aufwendige Gestaltung und eine hochwertige Steinmetzkunst aus. Sie sind allerdings zum Teil stark bewachsen und durch die Witterung in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Stadt Czernowitz ist heute für die Verwaltung des Friedhofs zuständig. Sie hat Schwierigkeiten, der Friedhofspflege nachzukommen. Mithilfe mehrerer Workcamps in den vergangenen Jahren, an denen unter anderem internationale Ehrenamtliche, jüdische Nachfahren von Holocaust-Überlebenden aus aller Welt und Personen der lokalen Bevölkerung teilnahmen, wurde der Friedhof zusehends vom Wildwuchs befreit. Es war bereits ein Wald entstanden, der zurückgeschnitten werden konnte. Der Boden in der Gegend ist sehr fruchtbar, was auch das Unkraut sehr schnell nachwachsen lässt, sodass regelmäßige Arbeit notwendig ist. Die Workcamps finden immer im Sommer statt. Die Ehrenamtlichen kommen aufgrund der Hitze nur langsam voran.

 

Der Friedhof spielt eine bedeutende Rolle in der Erinnerung jüdischen Lebens in Czernowitz und der Bukowina, vor allem für die jüdischen Nachfahren der Stadt, die heute größtenteils in der Diaspora auf der ganzen Welt verstreut leben. Diese pflegen die Erinnerung an das einstige jüdische Leben und ihre Vorfahren in der Stadt vor allem auf der Internetseite mit einem Blog: http://czernowitz.ehpes.com/

 

Im Jahr 1905 wurde die heute renovierungsbedürftige Zeremonienhalle am Eingang des jüdischen Friedhofs erbaut. Auf der Kuppel, dem Fliesenboden, der erhaltenen Holzvertäfelung und Verglasung lassen sich orientalisierende Formen vorfinden. Es ist noch ein Teil eines hebräischen Schriftzugs über dem in Richtung Straße gewandten Eingang zu sehen, der Ziduk Haddin, einem Gebet in Versform, welches das Vertrauen in ein gerechtes göttliches Urteil zum Ausdruck bringt. Eine Marmortafel in der ehemaligen Leichenhalle führt auf Deutsch den Gemeindevorstand aus dem Jahr 1905 auf. Das Vorhaben, auf dem Friedhof ein Holocaust Museum zu errichten, erregte die Gemüter; vor allem Nachfahren der Czernowitzer Juden hielten dies für keine gute Idee. Aus ihrer Sicht sei die Erinnerung an den Holocaust zwar von Bedeutung, dazu würde sich allerdings der jüdische Friedhof nicht eignen. Nichtsdestotrotz wird aktuell die Zeremonienhalle des Friedhofs renoviert und zu einer Dependance des jüdischen Museums in Czernowitz als Holocaust Museum umgebaut.

 

 

© Universität Augsburg

 

 

Im Jahr 2022 ist die Eröffnung angedacht. Somit kann, wie der Leiter des Czernowitzer Museums für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina, Dr. Mykola Kuschnir, erklärt, die baufällige Zeremonienhalle auch erhalten werden, da ohne eine Angliederung an das Museum die Finanzierung der Renovierungsarbeiten wohl kaum realisierbar gewesen wäre. Zum alljährlichen Czernowitzer Lyrikfestival Meridian fanden vor den Renovierungsarbeiten auch Lesungen in der Zeremonienhalle des Friedhofs statt.

Der jüdische Friedhof, auf dem sich zahlreiche Gräber namhafter Czernowitzer Familien und Personen befinden, steht seit 1995 unter Denkmalschutz. Allerdings gestaltet sich der Denkmalschutz in der Ukraine laut Kuschnir anders als in Deutschland. Die Grabinschriften geben teilweise an, welchen Berufen die Czernowitzer Juden nachgingen. Ein herausragendes Mausoleum auf dem Friedhof ist das des 1907 verstorbenen ersten jüdischen Bürgermeisters Eduard Reiss. Es verfügt über einen viereckigen Pavillon mit wenigen orientalischen Elementen und wurde 2004 restauriert.

 

 

© Universität Augsburg

 

Die durch den Film Herr Zwilling und Frau Zuckermann berühmt gewordenen Protagonisten, Matthias Zwilling und Rosa Roth-Zuckermann, liegen ebenfalls auf dem Friedhof begraben.

 

 

© Universität Augsburg

 

 

Auch der Dichter Elieser Steinbarg (1890-1932) fand hier seine letzte Ruhestätte. Sein Grab wird von einer hebräischen Inschrift – einem von ihm stammenden Zitat – geschmückt:

 

„Traurig ist das Leben, liebe Kinder, traurig und bitter, deshalb wollen wir uns mit einer kleinen Geschichte erheitern.“ 

 

 

© Universität Augsburg

 

Für die Juden, die während der Plünderung durch rumänische Soldaten zu Beginn der Besatzung ermordet wurden, gibt es ein Massengrab, da sie aufgrund der heißen Temperaturen im Sommer rasch beerdigt werden mussten.       

 


Synagogen   

Der Bau des Tempels beziehungsweise der Reform-Synagoge, Neuschil oder ugs. Cinemagoge am Stadtplatz in der Tempelgasse 10 wurde 1857 von dem ehemaligen Landespräsidenten Franz Freiherr von Schmück angeregt. Er wünschte sich eine Synagoge für die reformierten Juden der Stadt. Durch einen Streit zwischen den reformierten und orthodoxen Gemeindemitgliedern konnte erst 1872, nach einer Schlichtung, mit der Errichtung nach dem Entwurf des Architekten Julian Zachariewicz aus Lemberg begonnen werden. 1878 wurde der neomaurisch-orientalische, mit Kupfer gedeckte Tempel mit einer gold-kirschroten Samtausstattung, bunten Mosaikfenstern und einer zweistöckigen Galerie fertiggestellt. Er war bis zur Zwischenkriegszeit ein populäres Motiv für Postkarten. Die Synagoge wurde 1938 im Zuge der Rumänisierung enteignet. 1940 kam es im sogenannten „Russenjahr“ zur Schließung, was sich auf die symbolische Bedeutung des Tempels als Zentrum des akkulturierten, deutschen und erfolgreichen Judentums zurückführen lassen könnte. Die Synagoge wurde, nachdem die Bukowina von Deutschen und Rumänen zurückerobert wurde, in Flammen gesetzt. Wer die Brandstifter waren, ist nicht geklärt. Es wird erzählt, dass uniformierte Männer mit Kanistern in die Synagoge eindrangen. Die Kuppel und das Interieur fielen dem Brand zum Opfer. Die Synagoge sollte 1956 abgerissen werden, doch die massiven Wände verhinderten diesen Plan. Daraufhin wurde sie 1959 zu einem Kino namens Zhovten (Oktober) umgebaut, wodurch die Überreste der jüdischen Ausstattung hinter Betonschichten verbarrikadiert wurden. Seit der ukrainischen Unabhängigkeit trägt das Kino den Namen Cernivci.

 

 

© Universität Augsburg

 

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es circa 60 Synagogen und Bethäuser in Czernowitz. Heute gibt es nur noch zwei aktive Synagogen: die 2012 eröffnete Synagoge Korn Shil im ehemaligen jüdischen Viertel, neben der auch ein sehr gutes, koscheres Restaurant besteht, und die aus dem Jahr 1923 stammende Benjamin-Synagoge. Einzigartig ist, dass die Stadt zwei Hauptrabbiner gleichzeitig beschäftigt. Auf dem Gelände der neuen Synagoge Korn Shil befand sich vorher ein Sportplatz. Hier spielt sich das noch bestehende jüdische Leben der Stadt ab. Es befindet sich auch eine kleine Mikwe im Inneren. Auffallend beim Besuch der Synagoge ist, dass sie nicht bewacht wird. Allerdings gab es bisher auch keine nennenswerten Zwischenfälle. Der Czernowitzer jüdischen Gemeinde fehlen aber auch die nötigen Finanzpolster, um Wachpersonal beschäftigen zu können.

 

 

© Universität Augsburg

 

Jüdisches Nationalhaus   

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Czernowitz mehrere Nationalhäuser errichtet, wie das Polnische, Rumänische, Ukrainische und Deutsche Haus. In dieser Phase war die Stadt, so wird es erzählt, von einer großen Toleranz für die vorherrschende Kulturenvielfalt geprägt.        

Das Jüdische Volkshaus wurde 1908 im Geschäftsviertel in der Nähe des deutschen Theaters auf dem Theaterplatz, einem der schönsten Plätze der Stadt, eröffnet. Es beherbergte die Hauptvertretungen der jüdischen Gemeinde. Ideengeber war Dr. Benno Straucher, einem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde. Das Bauwerk wurde nach den Plänen von T. Lewandowski errichtet. Das vierstöckige Gebäude verfügt über eine Fassade mit neoklassischen und neobarocken Elementen. Schräg gegenüber steht das ebenso monumentale Deutsche Volkshaus. 1908 fand im Jüdischen Nationalhaus die erste jiddische Sprachkonferenz statt. Das Jüdische Haus war ein Symbol für die emanzipierten, wirtschaftlich erfolgreichen Juden der Stadt. Es war bis 1940 ein Zentrum für jüdische Politik, Religion, Kultur und Alltag in Czernowitz. Heute ist im Jüdischen Volkshaus ein jüdisches Museum untergebracht, und dient zudem wieder als Treffpunkt der heute stark gealterten und kleinen jüdischen Gemeinde.

 

 

© Universität Augsburg

 

Czernowitzer Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina          

Bereits in den 1920er Jahren wurde versucht, ein jüdisches Museum in Czernowitz zu gründen. Ein weiterer Versuch wurde in den späten 1990er Jahren gestartet, der mangels finanzieller Mittel und wissenschaftlichem Personal scheiterte. Schließlich kam 2008 durch die Initiative der Jüdischen Kulturstiftung Czernowitz die Gründung des Museums zustande. Die Ethnologin Natalja Schewtschenko, die erste Leiterin des Museums, war für die wissenschaftliche Konzeption verantwortlich. Die grafische Gestaltung wurde von dem Lemberger Künstler Roman Batig geleitet. Es ist das erste jüdische Museum in der Ukraine und in Russland.

Das Museum verfolgt das Ziel, die jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina aufzubereiten und einem großen Publikum durch Dauer- und Wechselausstellungen, Publikationen und Events zugänglich zu machen. Das Konzept des Museums orientiert sich an dem spezifischen südosteuropäischen, Bukowiner Judentum zwischen dem Ende des 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts (1777-1941), dessen Atmosphäre durch das Vorstellen von Biografien jüdischer Persönlichkeiten, sowie von Kleidung, Alltagsobjekten und Riten vermittelt werden soll.        

Die Dauerausstellung wird im Erdgeschoss des ehemaligen Jüdischen Nationalhauses in zwei Sälen auf einer Fläche von 53 Quadratmetern präsentiert und ist in drei Ringe aufgegliedert: Der obere Ring zeigt Fotografien jüdischer Architektur, der mittlere Ring stellt das religiöse Jahr im Judentum vor und der untere Informationsring besteht aus Tafeln, die chronologisch das Leben der jüdischen Gemeinde präsentieren. Die Ringe stehen für die andauernde Transformation des Judentums in der Bukowina.

 

 

© Universität Augsburg

 

Förderer des Museums sind unter anderem der Euro-asiatische jüdische Kongress, die Czernowitzer jüdische sozio-kulturelle Stiftung, der Verband der jüdischen Organisationen und Gemeinden der Ukraine (VAAD der Ukraine) und The Rothschild Foundation Europe. Der Leiter des Museums, Dr. Mykola Kuschnir, verdeutlicht, dass das Haus kein Geld von der Stadt erhält, sondern sich hauptsächlich durch Spenden aus dem Ausland finanziert. Auch vor dem Museum, wie bereits bei der Synagoge beobachtet wurde, befand sich kein Sicherheitspersonal. Es sind aktuell drei Mitarbeiter angestellt; auch einige Ehrenamtliche unterstützen das Museum.

 

 

Czernowitzer Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina

  1. Öffnungszeiten: Dienstag–Freitag: 11:00–15:00,         
  2. Samstag: 11:00–14:00, Sonntag: 10:00–13:00 Uhr       
  3. Eintrittspreise: Erwachsene: 12 UAH, Studenten: 6 UAH
  4. Adresse: Teatralna Platz 5, 58000 Czernowitz, Ukraine (Zentraler Kulturpalast, ehemaliges Jüdisches Nationalhaus)    
  5. E-Mail: jm.chernivtsi@gmail.com      
  6. Webseitehttp://www.muzejew.org.ua/Index-De.html

 


Literatur

  • Anonym: Erfahrungen in der Stadt der fünf Sprachen. Junge Freiwillige bemühen sich um die Rettung des jüdischen Friedhofs in Czernowitz (11.12.2015), <https://www.rausvonzuhaus.de/wai2/showcontent.asp?waidummy=1&ThemaID=4186> (07.07.2017).
  • Fisher, Gaëlle: The Right (to) Commemoration. Jewish Chernivtsi in the Present (11.10.2016), <http://historytothepublic.org/the-right-to-commemoration-jewish-heritage-in-chernivtsi/> (01.07.2017).
  • Friedrich, Jens: Kreuz und quer durch Galizien und die nördliche Bukowina. Ein kleiner Reiseführer. Jüdische Spurensuche in einer (fast) vergessenen Welt. Bonyhád 2007.  
  • Grilj, Benjamin: Synagogen in Czernowitz. Die Zerstörung Jerusalems am Pruth. In: Juden in Mitteleuropa (2015), S. 72–83.
  • Hausleitner, Mariana (2001): Die Rumänisierung der Bukowina. Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Anspruchs Grossrumäniens 1918-1944. München (Südosteuropäische Arbeiten, 111).
  • Heilingsetzer, Georg Christoph (2013): Eine versunkene Welt – der Mythos von Czernowitz. In: Die Welt, <https://www.welt.de/reise/staedtereisen/article112703923/Eine-versunkene-Welt-der-Mythos-von-Czernowitz.html> (10.07.2017).  
  • Khilko, Ihor: Czernowitz. Die Gewerbeschule (Bauabteilung) und ihr Einfluss auf die Entwicklung der Architektur. In: Stiller, Adolph (Hg.): Ukraine. Städte, Regionen, Spuren [anlässlich der gleichnamigen Ausstellung]. Salzburg/Wien 2012 (Architektur im Ringturm, 28), S. 74–89.
  • Larsson, Bo; Skoog, Göran: Multi-ethnic built heritage in West Ukraine and Moldova. A challenge for urban planning and development. Lund 2009.
  • Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina (2011), <http://www.muzejew.org.ua/Index-De.html> (12.07.2017).  
  • Reisenthel, Amalia: Orientalismus als Mittel zur Identitätsfindung. Sepulkralarchitektur auf dem Jüdischen Friedhof Breslau, Lohestraße. Berlin 2015 (Kasseler Studien zur Sepulkralkultur, Band 22).
  • Rychlo, Peter: Zum Problem der Synthese der Bukowiner Multikultur. In: Corbea-Hoişie, Andrei/Rubel, Alexander (Hg.): „Czernowitz bei Sadagora“. Identitäten und kulturelles Gedächtnis im mitteleuropäischen Raum. Iaşi/Konstanz 2006 (Contribuţii Ieşene de Germanistică, 10), S. 183–192.
  • Sha'ary, David: Die jüdische Gemeinde von Czernowitz. In: Heppner, Harald (Hg.): Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Köln 2000, S. 103–128.
  • Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas: Holocaustdenkmäler in Czernowitz. Erinnerung,  
  • <https://www.memorialmuseums.org/eng/denkmaeler/view/1179/Holocaust-memorials-in-Chernivtsi> (12.07.2017).    
  • Winkler, Markus: Jüdische Identitäten im kommunikativen Raum: Presse, Sprache und Theater in Czernowitz bis 1923. Bremen 2007 (= Die jüdische Presse – Kommunikationsgeschichte im europäischen Raum/The European Jewish Press - Studies in History and Language 4).

Suche