Lisa Rettinger

Projektskizze

Sprachen des Anderen – Sprachen des Selbst

Ethische Fragestellungen in der Kinder- und Jugendliteratur

 

Die Kinder- und Jugendliteratur (KJL) ist seit ihrer Entstehung in einem einzigartigen Spannungsfeld situiert. Neben der literarischen Ästhetik und dem Aspekt der Wissensvermittlung spielen die zugrundeliegenden pädagogisch-erzieherischen Absichten eine bedeutende Rolle. Gerade diese Absichten, die sich seit der Genese der KJL respektive der Epoche der Aufklärung manifestieren, prägen ihre Rezeption bis in die heutige Zeit. Hier setzt das Forschungsvorhaben an: In gegenwärtigen Texten der KJL kommt es zu einer Fokusverschiebung, einem Wandel in der pädagogisch-erzieherischen Ausrichtung. Ziel der gegenwärtigen KJL ist weniger eine ausdrückliche, moralische Belehrung, sondern vielmehr eine Befähigung, Haltungen zu finden, Positionen zu beziehen und ethisch zu reflektieren. Literatur für Heranwachsende wird so zu einer Plattform für ethische Auseinandersetzungen. Dabei sind – so eine Hypothese der Dissertation – insbesondere die Figuren des Anderen von ethischer Signifikanz. Sie erscheinen als disruptives Element der dargestellten (vertrauten) kindlichen Lebenswelt. In Abhängigkeit vom jeweiligen Entstehungskontext des literarischen Textes kommt es ergo zu einer Konfrontation der Normen, Kategorien und Wertmaßstäbe. Neben der Sensibilisierung für die Möglichkeit pluraler Weltkonstruktionen, befähigen die Figuren des Anderen die Rezipierenden (insbesondere Kinder) auch zu ethischen Reflexionen. Was bedeutet Geschlechtlichkeit? Was passiert, wenn ein Haustier zum Menschen wird? Worin liegt die Andersheit von Maschinenwesen begründet? Kann ein Vampir als ‚verwandelter‘ Mensch zum Anderen werden? Neben den Fragen, die mit dem Auftreten des Anderen evoziert werden, sind diese Figuren ferner – so eine weitere Hypothese der Dissertation – bedeutend im Prozess der kindlichen Identitätsbildung. Figuren des Anderen bieten ein Irritationsmoment, das neue Sichtweisen eröffnet und infolge der Auseinandersetzung zwischen Selbst und Anderem auch die Bildung von Identität fördert.

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