Markus Boerchi M.A.
Projektskizze
Die Zeitungen berichteten ausführlich von Straßenschlachten vor den Fabriktoren, der bayerische Ministerpräsident sprach vom „Terror der Straße“ und in den allabendlich ausgestrahlten Radiosendungen war man sich einig: So könne es nicht weitergehen. Der sogenannte „Bayernstreik“ vom August 1954 ging wegen seiner brutalen Auseinandersetzungen zwischen Streikposten, Polizei und Arbeitswilligen in die Geschichtsbücher ein. Für die Industriegewerkschaft Metall (IGM) hatte der Lohnkampf gravierende Folgen. Die Unternehmer maßregelten tausende engagierte Streikende, Betriebsräte und Vertrauensleute und Gerichte verurteilten über 150 davon zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen. Trotz Lohnsteigerungen und der wichtigen Erkenntnis von funktionierender Solidarität unter den Streikenden musste die IGM den Arbeitskampf als Niederlage verbuchen. Gänzlich konträr dazu verlief der 114 Tage dauernde Streik in Schleswig-Holstein 1956/57. Während dieser 16 Wochen konnten die diszipliniert streikenden Hafenarbeiter wichtige Erfolge bei der politischen Forderung nach der Gleichstellung von Arbeiter:innen und Angestellten erzielen, indem sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erkämpften. Anhand der beiden Arbeitskämpfe in Bayern und Schleswig-Holstein untersucht das Projekt die Rolle von Streiks in der Metallindustrie für die Demokratisierung der noch jungen postfaschistischen Bundesrepublik. Sie stehen dabei sinnbildlich für weitere Streiks in der Ära Adenauer, die in der prosperierenden Zeit der Wirtschaftswunderjahre, aber auch des kalten Krieges zu verorten sind. Bisher beschäftigte sich vor allem die IGM selbst mit der historischen Aufarbeitung der hier behandelten Arbeitskonflikte. Nur wenige externe Aufsätze und eine industriesoziologische Dissertation zum Bayernstreik beleuchten die Streiks meist aus einer organisationsgeschichtlichen Perspektive. Aktuellere Untersuchungen und innovative Ansätze fehlen hingegen gänzlich. Hier möchte das Projekt ansetzen und beispielsweise nach den Bezügen nationalsozialistischer Gewalterfahrungen der am Streik beteiligten fragen. Außerdem gilt es, die Rolle der involvierten Ehefrauen der Streikenden sowie Bilder von Männlichkeit genauer in den Blick zu nehmen. Schlussendlich spürt das Projekt (gewerkschaftlichen) Erinnerungsnarrativen nach und möchte die Bedeutung dieser Arbeitskämpfe näher untersuchen. Um diese vielschichtigen Fragekomplexe beantworten zu können, wird nicht nur klassisches gewerkschaftliches Quellenmaterial gesichtet, sondern die Perspektive um die Hinzunahme von Oral-History Interviews erweitert – eine Quellengattung, auf die die meisten bisher erschienenen Publikationen gänzlich verzichtet haben.
Hochschulstudium
- Geschichte B.A. 1,7
- Historische Wissenschaften M.A. 1,1